Das berückende Absolute

Von Peter Kirsten · 23.04.2008
Nur ganz wenigen Wissenschaftlern gelingt es, mit ihren Forschungen ein neues Weltbild zu schaffen. Obgleich dafür auch immer ein Nobelpreis vergeben wurde, hat längst nicht jeder Nobelpreis diese Dimension. Max Planck gehört zu den ganz wenigen, denen dies gelang. Ausgestattet mit einem konservativen Geist hat er die Physik revolutioniert. Heute vor 150 Jahren wurde er in Kiel geboren.
"Ich stamme mit meiner ganzen Familie aus den Schwabenland. Mein Urgroßvater ist von Nürtingen bei Stuttgart nach Göttingen gezogen, und von da an sind seine Kinder, Enkel und Urenkel in Norddeutschland herumgezogen und haben sich da verbreitet. Die meisten von ihnen waren Theologen, Philologen und ich bin wohl der Einzige, der aus der Art gesprungen ist und Naturwissenschaftlicher geworden bin."

"Was mich zu meiner Wissenschaft führte und von Jugend an für sie begeisterte, ist die durchaus nicht selbstverständliche Tatsache, dass unsere Denkgesetze übereinstimmen mit den Gesetzmäßigkeiten im Ablauf der Eindrücke, die wir von der Außenwelt empfangen..."

"Ich schiebe das auf die Umwelteinflüsse, denn in meiner Schule wurde ich angeregt durch meinen Mathematiklehrer, der hieß Hermann Müller, ein sehr humoristischer, strenger Mann, der uns aber für alles begeisterte, was mit Mathematik und Naturwissenschaften zusammenhing..."

"...dass es also dem Menschen möglich ist, durch reines Denken Aufschlüsse über jene Gesetzmäßigkeiten zu gewinnen..."

"...einerseits die Strenge der mathematischen Methode, andererseits die Erhabenheit und Schönheit der Gesetze, die in der Natur herrschen. Und damals schon ist mir das Ideal meiner ganzen wissenschaftlichen Tätigkeit aufgegangen, dem ich heute noch nachhänge: "

"Dabei ist von wesentlicher Bedeutung, dass die Außenwelt etwas von uns Unabhängiges, Absolutes darstellt, dem wir gegenüberstehen, und das Suchen nach den Gesetzen, die für dieses Absolute gelten..."

"...der Harmonie nachzuspüren, welche herrscht einerseits zwischen der Strenge der Mathematik und andererseits zwischen der Fülle der Naturgesetze, die uns umgeben ... "

"...erschien mir als die schönste wissenschaftliche Lebensaufgabe."

"So kam es, dass ich als erstes Gesetz, welches unabhängig vom Menschen eine absolute Geltung besitzt, das Prinzip der Erhaltung der Energie, wie eine Heilsbotschaft in mich aufnahm. Unvergesslich ist mir die Schilderung, die Müller uns zum Besten gab, von einem Maurer, der einen schweren Ziegelstein mühsam auf das Dach eines Hauses hinaufschleppt. Die Arbeit, die er dabei leistet, geht nicht verloren, sie bleibt unversehrt aufgespeichert, vielleicht jahrelang, bis vielleicht eines Tages der Stein sich löst und unten einem Menschen auf den Kopf fällt."

Das sind trauliche Erinnerungen. Man hat ihm nachgesagt, dass er im betagten Alter viel als Vortragsreisender unterwegs war, in Deutschland und anderswo, während der dunklen Zeit nationalsozialistischer Herrschaft. Etwas trieb ihn zu den Menschen. In diese Jahre fallen sein 75. Geburtstag, sein 80. und auch sein letzter runder Geburtstag - der fünfundachtzigste, zu dem ihm wie früher wieder viele Unbekannte gratulieren, aber auch Gerhard Hauptmann und - befremdlich für ihn - der "Führer" Adolf Hitler. Seine Botschaften kreisen um den Sinn und die Grenzen der exakten Wissenschaft, seiner Wissenschaft vor allem, der Physik, die er für fähig hält, Trost zu spenden.

"Wer in unserer sturmbewegten Zeit, die so vieles ins Wanken gebracht hat, nach einem festen inneren Halt sucht, der richtet seinen Blick wohl auch auf die exakte Wissenschaft, die mit ihren strengen logischen und mathematischen Methoden sich vor allen anderen geistigen Betätigungen auszeichnet."

Seine Stimme wird noch immer gehört in Deutschland, oder vielleicht wieder mehr gehört, da die Nationalsozialisten andere große Namen wie den Albert Einsteins, fast ein Freund eine Zeit lang, nicht mehr zulassen.

Im Jahr der Machtergreifung 1933, im Jahr seines fünfundsiebzigsten Geburtstages, schreibt er dem gemaßregelten, dem vertriebenen Einstein deutliche Zeilen, Abschiedsworten gleich.

"...Denn es sind hier zwei Weltanschauungen aufeinander geplatzt, die sich nicht miteinander vertragen. Ich habe weder für die eine noch für die andere volles Verständnis. Auch die Ihrige ist mir fern, wie Sie sich erinnern werden von unseren Gesprächen über die von Ihnen propagierte Kriegsdienstverweigerung.
Das alles hindert nicht, sich persönlich zu achten..."


Er ist die Autorität in jenen ersten Dezennien des vergangenen Jahrhunderts, in denen in Berlin die Physik zu Weltruhm und Weltspitze aufsteigt - Einstein ist das Genie. Beide hatten für diese Aura mit geltenden Lehrmeinungen, mit ehernen Auffassungen ihres Faches brechen müssen. Aber während Einstein aus der Abgeschiedenheit eines schweizerischen Patentamtes im Jahre 1905 seinen Fachkollegen in kurzer Folge drei Theorien gesandt hatte, die in der physikalischen Welt das große Grübeln auslösten, mochte er die Bodenhaftung zu den akademischen Kreisen und ihren vertrauten Gewissheiten nicht aus den Augen verlieren.

"Meine letzten Jahre studierte ich in Berlin und fing dann an meine Laufbahn als Privatdozent, auf diese Weise verlief dann mein Leben in ganz gewöhnlichen Formen. Ich wurde Privatdozent und wurde später dann Professor in Kiel und Berlin, und seit 1889 bin ich hier in Berlin an der Universität, erst als Extraordinarius, dann als Ordinarius und bin jetzt emeritiert, also eigentlich ein alter Berliner..."

Also mit 31 Jahren nach Berlin. Da war die Familiengründung schon vollzogen, der Älteste, Sohn Karl, schon geboren. Drei Kinder, zwei Mädchen und ein Junge, kommen bis zur Jahrhundertwende noch dazu. Wilhelm II. hat in Berlin gerade den Thron bestiegen, Kanzler Bismarck wird bald abdanken. In diesen Jahren boomen Industrie und Wissenschaft im Reich und die Entwicklung der Hauptstadt sowieso. Der junge Professor ist der Monarchie wohl gesonnen. Das wird so bleiben.

Um 1900 entsteht ein Familienfoto. Er steht im Hintergrund mit gesenktem leicht geneigtem Kopf und schaut auf seine Frau, die aus einem Buch vorliest. Seine Hand liegt sacht auf ihrer Schulter, rechts von ihm der Älteste, um die Mutter herum die beiden Zwillinge und der Kleinste. Ein Familienidyll, das anrührend wahr ist und begrenzt in der Zeit.

"Und in Berlin vollzog sich dann die Wendung zu dem Hauptthema meiner ganzen Arbeitsrichtung, zum Studium der Hauptsätze der Thermodynamik. Denn die Mechanik, die schien mir schon völlig ausgeschöpft zu sein. Während die Hauptsätze der Thermodynamik für alle Naturvorgänge Gültigkeit beanspruchen, unabhängig davon, welche Vorstellungen man sich von der Beschaffenheit der Materie macht, ob man sie sich atomistisch oder kontinuierlich konstituiert denkt."

Thermodynamik, das ist die Lehre von der Wärme, von der Wärmeenergie. Diese Lehre hat es geschafft, eine der wirkmächtigsten Erfindungen des Industriezeitalters, die Dampfmaschine zu verstehen. Doch auf diesem Feld gibt es immer wieder neue Rätsel, zum Beispiel wie es sich verhält mit der Wärmestrahlung, die die Körper aussenden und die man so leicht spüren kann - ob es der heimische Ofen zu Hause ist oder die gerade erfundene Glühbirne. Man mag sich ja die Beschaffenheit der stofflichen Materie atomistisch oder kontinuierlich konstituiert denken können, die Wärmestrahlung hingegen muss wie alle Energie kontinuierlich sein. Bei seinen Forschungen und der Auswertung von Meßreihen gelangt er an die Grenzen dieses Paradigmas.

"So erwies es sich als notwendig eine neue universelle Konstante einzuführen, die ich mit h bezeichnete und, da sie von der Dimension des Produktes Energie mal Zeit ist, das elementare Wirkungsquantum nannte."

"Und diese Voraussetzung führte notgedrungen zur Annahme von solchen Strahlungsatomen oder Strahlungsquanten von ganz bestimmter Größe, die durch die vorliegenden Messungen ganz genau bekannt sind. Ich wagte anfangs diese Hypothese nur ungern..."

"Darum bemühte ich mich alsbald, das Wirkungsquantum h irgendwie in den Rahmen der klassischen Theorie einzuspannen. Aber allen solchen Versuchen gegenüber erwies sich diese Größe als sperrig und widerspenstig..."
Jener Tag im Dezember 1900, an dem er in der Physikalischen Gesellschaft den Berliner Physikern seine Strahlungsformel mit der neuen noch etwas geheimnisvollen Naturkonstante h vorstellt, wird einmal die Geburtsstunde der Quantentheorie genannt werden. Strahlungsquanten ... es ist als hätte einer - selbst noch ungläubig - aus der alten, vertrauten analogen Welt plötzlich eine digitale hervorgezaubert mit ihren Bits und Bytes. Nur reicht sie viel tiefer, reicht als Naturgesetz bis an den Anfang der Zeit und bis zu ihrem Ende.

Er ist nicht mehr ganz jung, 42 Jahre alt. Einstein bekommt im gleichen Jahr als Einundzwanzigjähriger gerade sein Diplom als Fachlehrer für Mathematik und Physik. Nur fünf Jahre später wird er auf der Grundlage des Wirkungsquantums eine revolutionäre Theorie des Lichts entwerfen, die seltsamerweise beim Mentor der Quantentheorie keine Beifallsstürme auslöst, um so mehr dafür seine Relativitätstheorie. Ablehnung und Anerkennung - in den späten Jahren folgen gerechtere Urteile, die von den einst heftigen Kämpfen absehen und ein Lied auf die Wunder der Erkenntnis singen.

"Als erstes Wunder müssen wir mit Fug und Recht die Tatsache verzeichnen, dass wir überhaupt in der Natur Gesetzmäßigkeiten vorfinden, die für die Menschen aller Länder, Völker und Rassen genau die gleichen sind. Das ist eine Tatsache, die durchaus nicht selbstverständlich ist. Und die folgenden einzelnen Wunder sind, dass diese Gesetze zum großen Teil einen Inhalt haben, wie wir ihn uns vorher niemals hätten träumen lassen können. So steigert sich mit der Entdeckung jedes neuen Gesetzes das Wunderbare im Aufbau unseres Weltbildes.

Die Richtung ist offenbar eine beständige Verfeinerung des Weltbildes durch Zurückführung der in ihm enthaltenen realen Elemente auf ein höheres Reales von weniger naiver Beschaffenheit. Das Ziel aber ist die Schaffung eines Weltbildes, dessen Realitäten keinerlei Verbesserung mehr bedürftig sind und die daher das endgültig Reale darstellen. Eine nachweisliche Erreichung dieses Ziels wird und kann niemals gelingen. Um aber einen Namen dafür zu haben, bezeichnen wir das endgültig Reale als die reale Welt im absoluten, metaphysischen Sinn."

"Und so weit ich sehe, zeigt sich diese Tendenz nicht nur in der Physik, sondern in jeglicher Wissenschaft, ja, nicht nur auf dem Gebiet des Wissens, sondern auch auf dem des Guten und dem des Schönen."

Von der Tauentzienstraße in Berlin-Charlottenburg zieht die Familie 1905 nach Grunewald, wo sie eine neu erbaute Villa in der Wangenheimstraße bezieht. Auch hier wird viel musiziert. Die Eltern legen wert auf eine musische Erziehung ihrer Kinder. Der Jüngste, Erwin, versucht sich mit dem Cello, die Zwillinge spielen Geige. Er selbst steht in dem Ruf, ein wunderbarer Klavierspieler und auch Sänger zu sein.

Die Musik lieben lernen - so teilt sich ganz außerhalb der Physik die Suche und Sehnsucht nach dem Unvergänglichen mit. Im neuen Viertel in Grunewald wohnen die Professorenkollegen nebenan. Der sacht einsetzende Ruhm fördert Freundschaften und Amtswürden - und vielleicht auch fachübergreifende Diskussionen. Als er nach Berlin kam, war die theoretischen Physik, deren Lehrstuhl er zu besetzen hatte, ein noch ziemlich unbedeutendes Fach. Mit der neuen Quantentheorie wird die Wirkungskraft der Theorienbildung bei der Suche nach dem Absoluten auch für jeden zweifelnden Experimentator langsam offenbar. Die theoretische Physik schickt sich an, zu einer etablierten und bald auch führenden Wissenschaftsdisziplin zu werden.

"Der Experimentator steht in vorderster Linie, er ist es, der die entscheidenden Versuche und Messungen ausführt. Ein Versuch bedeutet die Stellung einer an die Natur gerichteten Frage, und eine Messung bedeutet die Entgegennahme der von der Natur darauf erteilten Antwort. Aber ehe man einen Versuch ausführt, muss man ihn ersinnen, das heißt, man muss die Frage an die Natur formulieren. Und ehe man eine Messung verwertet, muss man sie deuten, das heißt man muss die von der Natur erteilte Antwort verstehen. Mit diesen beiden Aufgaben beschäftigt sich der Theoretiker und ist dabei in immer steigendem Maße genötigt, sich abstrakter mathematischer Hilfsmittel zu bedienen.

Jedes Mal wenn durch einen experimentellen Befund ein Widerspruch mit der bestehenden Theorie festgestellt ist, kündigt sich ein neuer Fortschritt an, denn dann wird eine Veränderung und Verbesserung der Theorie notwendig. Die Frage aber, an welchem Punkte und in welcher Weise diese Veränderung vorzunehmen ist, bietet oft große Schwierigkeiten, denn je bewährter eine bestehende Theorie ist, um so empfindlicher und widersetzlicher zeigt sie sich gegenüber allen Abänderungsversuchen.

Sie gleicht darin einem kunstvollen weitverzweigten Organismus, dessen einzelne Glieder sich gegenseitig bedingen und derartig eng zusammenhängen, dass ein Eingriff, den man an einer Stelle vollzieht, sich zugleich auch an ganz anderen scheinbar weit entfernten Stellen geltend macht. Das gibt dann Anlass zu neuen Fragen, die experimentell geprüft werden können, und führt dadurch manchmal zu Konsequenzen, an deren Tragweite anfangs niemand gedacht hatte. So ist die Relativitätstheorie entstanden, so die Quantentheorie."

Im konkreten Forschungsprozess vollzieht sich die Annäherung an das Absolute. Sie geschieht nicht im Sturmlauf, wie er am Beispiel der Quantentheorie erfährt. Und auch Einstein, jetzt mit einer Professur an der Züricher Universität betraut, weiß um den zähen Fluß, mit dem die Wahrheit vorankommt. Aus Berlin, wie gesagt, erhält er vom Entdecker des Wirkungsquantums ein wohlwollendes Urteil über die Relativitätstheorie. Dagegen findet seine Hypothese, nach der das Licht aus Quanten besteht, wenig Gnade.

Einstein ist mit dieser Auffassung den entscheidenden zweiten Schritt gegangen. Einen zuviel nach Meinung des Älteren, denn in einem Brief aus Berlin an ihn wird ziemlich deutlich gesagt, dass das Wirkungsquantum nicht an das materiefreie Vakuum, die alleinige Domäne des Lichts, gebunden werden sollte.

"Ich suche die Bedeutung des elementaren Wirkungsquantums oder Lichtquants nicht im Vakuum, sondern an den Stellen der Absorption und Emission, und nehme an, dass die Vorgänge im Vakuum durch die Maxwellschen Gleichungen genau dargestellt werden. Wenigstens sehe ich noch keinen zwingenden Grund, von dieser Annahme, die mir einstweilen die einfachste scheint, abzugehen."

Langsam, vielleicht unmerklich langsam, wird er - jenseits der 50 - die vorderste Reihe der Physiker, die den Erkenntnishorizont mit ihren Forschungen erweitern, verlassen. Jüngere rücken nach, so wie Einstein. Mit seiner wachsenden Autorität und seinem ausgeprägten Gespür für die Belange der Wissenschaft dient er ihr als Organisator, als Politiker, später als Doyen seines Faches.

Als Rektor der Berliner Universität und Sekretär der Preußischen Akademie der Wissenschaften gelingt ihm ein exzellenter Schachzug. Er fährt mit einem komfortablen Angebot in der Tasche höchst selbst nach Zürich und überredet Einstein, nach Berlin zu kommen. So werden jetzt zwei Theoretiker der Extraklasse nahe beieinander wirken und eine Personalunion schaffen, die den so genannten goldenen Jahren der Physik in der Hauptstadt das weltberühmte Gesicht verleihen. Seine Ämter, seine Verantwortung geben fortan ein Blickfeld vor, dass er nicht mehr verlassen kann.

"Der erste Schritt, die aus dem Leben heraus führende Ausgestaltung des Weltbildes, ist Sache der reinen Wissenschaft, der zweite Schritt, die Verwertung des wissenschaftlichen Weltbildes für die Praxis, ist Aufgabe der Technik. Die eine Arbeit ist genauso wichtig wie die andere, und da jede von ihnen den ganzen Menschen in Anspruch nimmt, so ist der einzelne Forscher , wenn er sein Werk wirklich fördern will, genötigt, all seine Kräfte auf einen einzigen Punkt zu konzentrieren und die Gedanken an andere Zusammenhänge und Interessen einstweilen beiseite zu lassen.

Darum schelte man nicht allzu sehr die Weltfremdheit des Gelehrten und seine Zurückhaltung gegenüber wichtigen Fragen des öffentlichen Lebens. Ohne solche einseitige Einstellung hätte weder Heinrich Hertz die drahtlosen Wellen noch Robert Koch den Tuberkelbazillus entdeckt."

"Großmutter redet von nichts anderem mehr als Deinen Würden" schreibt ihm einmal der Jüngste nach Hause. Aber als er seine Würden tragen lernen muss, lebt seine Frau nicht mehr. Von diesem Schicksalsschlag an scheint es, als wäre das Glück nie mehr ganz auf seiner Seite, als würde es ihm, ganz seinem Alter und seiner Kraft entsprechend, immer nur einmal kürzere, einmal längere Erholungspausen gönnen, um dann wieder mit einem noch mächtigeren Schlag auszuholen. Seine einem Schutzengel würdige Erklärung über die Weltfremdheit der Gelehrten nimmt er für sich nicht in Anspruch, darf es wohl auch nicht, die "Würden" verbieten es.

Und so unterschreibt er am Beginn des Ersten Weltkriegs, ganz im Gegensatz zu Einstein, den berühmt-berüchtigten Aufruf "An die Kulturwelt" der guten deutschen Intellektuellen, um ihn wegen des Protestes in der internationalen Wissenschaft bald wieder zu dementieren. Seine patriotische Gesinnung für das kaiserliche Deutschland reicht tief. Er unterstützt ausdrücklich, wie so viele Väter neben ihm, dass seine beiden Söhne an die Front gehen. Der Jüngste kehrt zurück, er hat Glück, weil er schnell in Gefangenschaft gerät. Der Älteste fällt vor Verdun. Aber der bittere Kelch ist noch längst nicht geleert.

"Lieber Kollege Einstein !
Wenn es gestern ein Mittel gegeben hätte, mich in die Physikalische Gesellschaft zu locken, so wäre es die Anregung gewesen, die sie meiner Tochter Emma am Telephon übermittelten. Aber ich muss Ihnen sagen, dass ich mich in diesen Tagen physisch nicht leistungsfähig fühle. Nur das absolut Notwendige geht mir von der Hand. Denn der Schmerz um meine in der vorigen Woche in meinen Armen entschlafenen Tochter nagt noch zu stark an meinen Gedanken, als dass diese ihre Bewegungsfreiheit wie gewöhnlich ausüben können. Nach Pfingsten wird es wieder besser sein. Bis dahin haben sie Nachsicht
mit Ihrem getreuen Kollegen Max Planck
Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass, wenn es wirklich Subelektronen gibt, diese sich auch noch in anderer Weise bemerklich machen werden, als in dem Vortrag, den ich versäumen muss..."


Um seinen 60. Geburtstag verliert er seine beiden Zwillingstöchter, erst Grete, dann Emma. Beide sterben im Wochenbett an einer Lungenembolie. Nun gibt es von den Kindern nur noch den Jüngsten Erwin und den kleinen Hermann, der in der zweiten Ehe mit Marga entstanden ist. Einstein, der ihn in diesen Tagen getroffen hat, wird erzählen, wie erschüttert er beim Anblick des gramgebeugten Mannes gewesen ist.

In der Zeit tiefsten Leids gelangt die Nachricht von der Verleihung des Physik - Nobelpreises zu ihm. Es ist keine blasierte Höflichkeit, sondern sein tief empfundenes Verständnis von Wissenschaft, das ihn bewegt, in seinen Dankeszeilen nach Stockholm sofort auf seine Kollegen hinzuweisen.

"Ich empfinde die mir durch die Verleihung des Nobelpreises für Physik erwiesene Ehre als Auszeichnung von so hoher Art, dass sie mich bedenklich stimmen würde, wenn ich nicht von dem Bewusstsein durchdrungen wäre, dass an dem Werk, dessen Gelingen mir zugute gerechnet wird, seit nunmehr bald 20 Jahren zahlreiche Forscher experimentell wie theoretisch auf das Erfolgreichste mitgewirkt haben."

1930, mit 72 Jahren noch einmal eine berufliche Zäsur. Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, eine der potentesten Forschungsorganisationen in Europa mit erlesenen Direktoren an der Spitze ihrer Institute, sucht einen neuen Präsidenten. Die Wahl fällt auf ihn und er nimmt an. Er ahnt zu dieser Zeit noch nicht die Schwierigkeiten, in die ihn das Amt und die politischen Ereignisse führen werden. Kurz nach der Machtergreifung Hitlers, im April 1933, in diesen Monat fällt sein 75. Geburtstag, verliert er einen seiner vertrautesten Kollegen.

"Bei alledem freue ich mich darüber, dass Sie mir in alter Freundschaft entgegen gekommen sind und dass auch die stärksten äußeren Belastungen es nicht vermocht haben, unsere gegenseitigen Beziehungen zu trüben..."

schreibt ihm Einstein nach der Trennung nobel aus Belgien. Eines der ersten und zugleich prominentesten Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns verschwindet für immer aus Deutschland. Er zweifelt am Sinn eines Protestes, den ihm Schüler wegen der massiv einsetzenden Vertreibung jüdischer Kollegen nahe legen, und verwehrt ihn.

Sein Weg führt in die "widerstrebende Anpassung", die zur Bewahrung der deutschen Wissenschaft auf rettende Kontinuität setzt. Er rät seinen Kollegen, trotz allem in Deutschland zu bleiben. Und es ist ja nicht so, dass hierzulande nichts vorzuweisen wäre.

"Ich kann mir es nicht versagen, hier zum Schluss auf einen erst in neuerer Zeit aufgetauchten eindrucksvollen Beleg für die manchmal ganz unvermutet engen Beziehungen zwischen Wissenschaft und Technik noch etwas einzugehen. Durch die Untersuchung von Otto Hahn und seinen Mitarbeitern ist festgestellt worden, dass bei der Aufspaltung, welche ein Uranatom erleidet, wenn es von einem Neutron beschossen wird, zwei bis drei Neutronen frei werden ...

Eine Berechnung hat ergeben, dass auf diese Weise in einem Kubikmeter Uranoxydpulver innerhalb einer Zeit von weniger als einer hundertstel Sekunde ein Energiebetrag entwickelt wird, der ausreicht, um ein Gewicht von einer Milliarde Tonnen 27 Kilometer hochzuheben. Das ist ein Betrag, der die Leistungen aller großen Kraftwerke der ganzen Welt auf viele Jahre ersetzen könnte."

Es ist die Zeit, in der er seine Botschaften über den Sinn der Wissenschaften zu den Menschen trägt und versucht, ihren Blick aus den Niederungen von Terror und Leid herauszuführen.

Das Kriegsende erlebt er in Rogätz, einem kleinen Ort an der Elbe, in der Nähe von Magdeburg. Fast wäre er hier, ärmlichsten Lebensverhältnissen ausgesetzt, vergessen worden. Im Mai bringen ihn amerikanische Soldaten zu Verwandten nach Göttingen. Er nimmt sein Thema wieder auf. Nur einmal geht er auf das Ereignis des Kriegsendes ein. Die Dienstbarkeit der Wissenschaft im Dritten Reich gerät nicht mehr in seinen Blick.

"Die ursprünglich rein theoretische Berechnung hat inzwischen durch die Konstruktion der Atombombe eine überraschende Bestätigung gefunden. Freilich nicht zum Segen der Menschheit, denn statt zu nützlicher Arbeit verwendet zu werden, hat die gewaltige Energiemenge unermesslichen Schaden angerichtet. Es bleibt nur die Hoffnung, dass es in nicht allzu ferner Zeit gelingen muss und gelingen wird, die ungeheuren Beträge friedlichen Zwecken dienstbar zu machen.

Wenn wir unseren Blick auf die Summe des unsäglichen Leides und der beständigen Zerstörung von Gut und Blut werfen, von denen die Menschen seit unvordenklichen Zeiten stets heimgesucht werden, so können wir versucht sein, den Philosophen des Pessimismus beizupflichten, welche den Wert des Lebens verneinen und die Meinung verfechten, dass von einem dauernden Fortschritt, von einer Höherentwicklung des Menschen nicht die Rede sein kann.

Man musste nur den Standpunkt der Betrachtung etwas erweitern und nicht mit Jahrhunderten, sondern mit vielen Jahrtausenden rechnen. Oder will jemand im Ernst bestreiten, dass der Homo Sapiens während der letzten hunderttausend Jahre einen Fortschritt, eine Vervollkommnung erfahren hat ? Warum sollte diese Höherentwicklung nicht weitergehen, wenn nicht in geraden Richtung so doch in Wellenlinien?

Freilich: Dem Einzelnen ist mit solchen Überlegungen auf weite Sicht nicht gedient, sie können ihm keine Hilfe in der Not, keine Heilung seiner Schmerzen bringen. Diesem bleibt nichts übrig als ein geduldiges Ausharren im Lebenskampf und ein stille Ergebung in den Willen der höheren Macht, die über ihm waltet."

Es ist etwas passiert, etwas, dass bis zum Ende alles überschatten wird, etwas immer noch Unfassbares. Wenige Monate vor Kriegsende, im Januar 1945, wird sein letzter Sohn aus erster Ehe, sein Lieblingssohn von Anfang an, wegen seiner Beteiligung am Attentat vom 20. Juli hingerichtet. Er hat gebeten, er hat den "Führer" an die eigenen Verdienste für das deutsche Volk erinnert. Es hat nichts genützt.

"Das Einzige, was wir mit Sicherheit als unser Eigentum beanspruchen dürfen, das höchste Gut, was uns keine Macht der Welt rauben kann und was uns wie kein anderes auf Dauer zu beglücken vermag, das ist eine reine Gesinnung, die ihren Ausdruck finden in gewissenhafter Pflichterfüllung. Und wem es vergönnt ist, an dem Aufbau der exakten Wissenschaft mitzuarbeiten, der wird sein Genügen und sein innerliches Glück finden in dem Bewusstsein, das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren."

1947 im Oktober stirbt er in Göttingen. Aus dem fernen Amerika erreicht die Witwe ein Schreiben von Einstein. "Die Stunden, die ich in ihrem Haus verbringen durfte," heißt es da "und die vielen Gespräche, welche ich unter vier Augen mit dem wunderbaren Manne führte, werden für den Rest des Lebens zu meinen schönsten Erinnerungen gehören. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass uns ein tragisches Geschehen auseinander gerissen hat ... "

Ein Jahr nach Kriegsende notiert ein Dichter als Fragment auf ein Blatt Papier:

Wenn die Materie in sich selbst verbrennt
Und der enttrübte Geist sich selbst erkennt...
Wenn aus den Blöcken, heut zu Stein verdammt
Der neue Stoff, die neue Flamme flammt ...


Gottfried Benn.

"Das Glück des Forschers besteht nicht darin, eine Wahrheit zu besitzen, sondern die Wahrheit zu erringen. Und in diesem fortschreitenden erfolgreichen Suchen nach der Wahrheit, da liegt die eigentliche Befriedigung. Wenn der Quell versiegt, wenn die Wahrheit gefunden ist, dann ist es zu Ende, dann kann man sich geistig und körperlich schlafen legen. Aber dafür ist gesorgt, dass wir das nicht erleben, und darin besteht unser Glück."