Das "Beastie Boys Buch"

Sehnsucht nach dem New York der 80er

Die Hip-Hop-Band Beastie Boys, aufgenommen 1987
Die Hip-Hop-Band Beastie Boys, aufgenommen 1987 © imago/ZUMA Press
Fabian Wolff im Gespräch mit Andreas Müller · 29.11.2018
Ihr erstes Album vermengte HipHop mit Rock, danach waren sie die Könige des Samplings: Im "Beastie Boys Book" erzählen Mike D und Ad-Rock ihre Geschichte – und erinnern dabei an das alte New York der 80er und vor allem an ihren verstorbenen Bandkollegen MCA.
Andreas Müller: Nach dem Tod von Adam Yauch vor sechs Jahren haben sich die Beastie Boys aufgelöst, trotzdem steht der Name des New Yorker Trios immer noch hoch im Kurs – gerade bei Leuten, die eigentlich keinen HipHop mögen. Jetzt haben Mike Diamond und Adam Horovitz zu zweit die Geschichte der Band aufgeschrieben, das "Beastie Boys Book" enthält nicht nur ihre Erinnerungen, sondern auch Beiträge von Schriftstellern, Comedians und Kritikern.
Fangen wir mal beim Anfang der Geschichte an, mit "Rhymin & Stealin", dem ersten Song auf "Licensed To Ill", dem Debüt der Beastie Boys von 1986. Das Schlagzeug im Hintergrund stammt aus "When The Levee Breaks" von Led Zeppelin, damals konnte man die Band noch einfach so samplen. Fabian Wolff, wegen solcher Sounds wurden die Beastie Boys Mitte der Achtziger erfolgreich. Warum gerade sie, und wie sah das Genre damals aus?
Fabian Wolff: Kurz vorher hatte ihr Produzent Rick Rubin Aerosmith und Run-DMC zusammengeführt, mit "Walk this way". Die Beastie Boys waren Teil der gleichen Strategie. Rap, HipHop sollte Rock ablösen, und diese sehr offenkundig prominenten Rock Samples sollten ein wenig die Geburtshelfer sein.
Die Band hatte ja wirklich ihre Ursprünge in der New Yorker Hardcore-Szene –in der ersten Konfiguration damals noch mit einem weiblichen Mitglied. Der Wandel zur Rap-Gruppe hatte damals aber nichts mit dem Markt zu tun. Der war wirklich ehrlich hardcore, schreiben sie. Es wird auch deutlich, dass sie sich schon sehr früh als richtigen Teil dieser New Yorker HipHop-Szene gesehen haben.
Müller: Es gab in den letzten Jahren ja viele Nacherzählungen über die Entstehung von HipHop. Welche neuen Aspekte kann denn das Buch hinzufügen?
Wolff: Es unterstreicht etwas, was immer ein bisschen ignoriert wird, nämlich diese starken Querverbindungen zwischen HipHop, New Wave, Punk, der Kunstszene Downtown und auch zwischen verschiedenen sozialen Schichten und natürlich zwischen schwarz und weiß.
Der Schriftsteller Jonathan Lethem untersucht das in einem eigenen Essay über das Phänomen des "white boy" in verschiedenen Kontexten. Er war auch selbst so ein "white boy" und hat über diese Dynamiken ganze Romane geschrieben. Er hat auch eine interessante, wenn auch nicht ganz plausible Lesart, dass dieses Debütalbum "Licensed To Ill" von 1986 das erste Gangsta-Rap-Album sei. Und er macht klar: Wir in New York wussten, die machen jetzt nur Witze. Alle anderen außerhalb von New York haben das nicht verstanden.

Dumme, sexistische Witze

Müller: Zur Verkaufsstrategie von Rick Rubin gehörte ja, die Band vor allem mit Hilfe der Single "You Gotta Fight For Your Right To Party" an weiße College-Prolls zu bringen. War das auch nur Teil des Humors?
Wolff: Die Beasties sind ja inzwischen kanonisiert, deswegen wird immer ein bisschen vergessen, wie unangenehm ihr Frühwerk sein kann, also wie prollig. Gerade vor dem Hintergrund der Anhörungen von Brett Kavanaugh in den USA kommt diese eklige weiße Proll-College-Kultur nach vorne. Da waren die Beastie Boys tatsächlich Teil davon. Vielleicht, ohne es zu wollen.
Das Debütalbum sollte ja ursprünglich "Don't Be A Faggot" heißen. Das war ein Vorschlag von Rick Rubin, den sie sehr lustig fanden, schreiben sie in dem Buch. Dafür entschuldigen sie sich auch, weil sie sagen, Homophobie ist nichts Lustiges. Es sollte immer eine Parodie auf diese "frat boys" sein.
Das Problem war, dass die dann vielleicht diesen Witz nicht erkannt haben. Es gibt auch noch einen Essay von Ada Calhoun, der sich mit mit diesem ironischen Sexismus auseinandersetzt und zum Ergebnis kommt: Das waren bescheuerte Witze dummer Jungs. Aber sie sind erwachsen geworden.
Müller: Dieser Wachstum war auch in der Musik zu hören, das zweite Album "Paul's Boutique" hatte wenig mit dumpfem Party-Rap zu tun, sondern gilt noch heute als Gold-Standard des Samplings. Das ist fast 30 Jahre her, in denen sich HipHop sehr verändert hat. Welche Spuren haben denn die Beastie Boys hinterlassen?
Wolff: Die Beats auf Paul's Boutique sind tatsächlich immer noch unfassbar komplex, was aber auch damit zu tun, dass das Album vor so ein paar legendären Gerichtsentscheiden entstanden ist, wo man noch nicht jedes Sample einzeln klären und viele Lizenzgebühren zahlen musste. Im Sound hatten sie sich nach diesem zweiten Album ein bisschen von dem verabschiedet, was gerade im HipHop passiert. Wenn man sich dann "Check your head" und "Hello nasty" von 1998 anguckt und dann guckt, was sonst so 1998 passiert ist, dann wird klar: Die beiden Sachen haben nicht mehr so viel miteinander zu tun.
Die Abspaltung hat vielleicht auch damit zu tun, dass sie vom Flow her eigentlich nie das Jahr 1985 verlassen haben. Und diese sehr betonte Quäkigkeit, die dann auch zehn Jahre später kam, Eminem, total von den Beastie Boys beeinflusst war. Der dann auch interessanterweise Homophobie wieder groß gemacht hat. Aber im Gegensatz zu den Beastie Boys hat Eminem sich nie davon so wirklich verabschiedet. Im Gegenteil: sein letztes Album hat ja sogar das Cover-Motiv von "Licensed To Ill" wieder aufgegriffen. Da schließt sich wieder der traurige Kreis.

Anfangs traten sie als "3 Bad Jewish Brothers" auf

Müller: Die Beastie Boys sind ja nicht nur weiße Rapper, sondern auch jüdische Rapper. Und kaum ein Artikel über "jüdische Popkultur" kommt ohne ein Foto von ihnen aus. Inwiefern ist das Teil ihrer Geschichte?
Wolff: Ganz am Anfang treten sie mal als Gag als "3 Bad Jewish Brothers" auf, verkleidet als Chassiden, mit einer Parodie auf "My Adidas" von Run-DMC namens "My Deli", später gibt es dann ein paar Brocken Jiddisch oder einen Bezug auf die Bibel. Ansonsten sehe ich das trotzdem vor allem als deutsche Projektion einerseits.
Andererseits gab es mal eine Szene in der Late-Night-Show von Conan O'Brien, bei der ein Comedian zu den drei damals schon angegrauten Herren auf dem Festival meinte: Es sei unmöglich, noch mehr wie drei alte Juden auszusehen als sie.

Echte New Yorker Jungs

Es ist natürlich Teil ihrer Identität. Das macht sie auch irgendwie aus. Aber ich würde trotzdem sagen, das ist eigentlich viel mehr Teil dieses viel größeren Suds aus New York der 80er, für das sie viel quintessenzieller stehen. Das fängt das Buch sehr gut ein, gerade durch seine Plauderhaftigkeit. Auch wenn es in der deutschen Fassung vielen schludrige Fehler gibt, die den Gesamteindruck ein bisschen trüben.
Dieser Verlust des alten New Yorks und natürlich der Verlust ihres Bandmitglieds Adam Yauch das ist so ein wenig das emotionale Rückgrat des Buches. Und gleichzeitig ist es auch von dieser Freude geprägt, mit beiden, mit dem alten New York und Adam Yauch nochmal Zeit verbringen zu können.

Adam Horovitz und Mike Diamond: "Beastie Boys Buch"
Heyne, 542 Seiten, 40 Euro

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