Das Ballett der Fische

Von Jörg Taszman · 23.02.2010
Nach ihrem Erfolg "Nomaden der Lüfte" sind die französischen Filmemacher Jacques Cluzaud und Jacques Perrin mit der Kamera ins Meer hinabgestiegen. Neben der Schönheit der Unterwasserwelt thematisiert der poetische Film auch die Grausamkeit der Natur - und des Menschen.
"Ozeane" heißt diese filmische Sinfonie schlicht im Original. Dort, tief unter der Wasseroberfläche, findet man noch nie gesehene Kreaturen, die manchmal aussehen wie prähistorische Minidinosaurier, quallenartige Riesenpilze oder Fantasiegeschöpfe von Brueghel und Bosch. Die Macher dieses bild- und tongewaltigen Epos appellieren an unsere Gefühle, unsere Fantasie. Alles dreht sich um die Schönheit und Vielfalt der Natur im Wasser. So entstehen Momentaufnahmen von Zärtlichkeit und Wildheit, die eine fast anarchistische Urgewalt und Freiheit beschwören. Jacques Cluzaud, einer der beiden Regisseure, beschreibt, wie man den Film szenisch vorbereitete:

"Zu Beginn hatten wir ein ausführliches Drehbuch geschrieben, einen Leitfaden, den wir dann aber wieder zur Seite gelegt haben. Wir hatten nicht genau festgelegt, welche Tiere wir wann und wo filmen würden. Aber wir hatten eine Liste mit Emotionen, die wir im Film zeigen wollten. Zum Beispiel: Wie können wir Geschwindigkeit darstellen, wie zeigen wir Zärtlichkeit unter den Tieren, wie vermitteln wir die Feste des Meeres. Genau darum ging es in unserem Drehbuch."

Das ambitionierte Werk ist nach "Nomaden der Lüfte" die zweite Regie-Zusammenarbeit zwischen Jacques Cluzaud und Jacques Perrin, der auch als Produzent fungierte. Perrin, der seine Karriere als Schauspieler begann, produzierte unter anderem "Z" von Costa Gavras und "Die Kinder des Monsieur Mathieu", in dem er auch eine kleine Rolle spielte. Zu Beginn der 1970er-Jahre half er durch sein Engagement politischen Filmen, die sonst niemand produziert hätte. Seit einigen Jahren sorgt er dafür, dass Filme wie "Mikrokosmos" oder "Nomaden der Lüfte" auf die große Leinwand gelangen.

Jacques Perrin: "Ich mag alle dreidimensionalen Welten, die Luft und das Meer ... . Wenn man diese Filme macht, dann ist man engagiert. Wir setzen uns für die Umwelt und die Natur ein. Und so war uns klar, die Vögel sind wichtig als Ausdruck für Freiheit. Wie bei Braque oder Picasso. Aber es gibt andere Tiere, die noch viel unbekannter sind als Vögel. Wenn der Vogelflug einsetzt, wissen wir, es ist Frühling. Aber wenn Wale oder Fische durchs Meer strömen, haben wir keine Ahnung, weil es unter der Oberfläche geschieht. Wir sehen immer nur die Oberfläche, dabei spielen sich im Wasser Tragödien und Umweltkatastrophen ab. Wir wollten die Verletzungen zeigen, die dem Meer zugefügt werden. Aber auch alle Menschen und Organisationen, die sich um die Ozeane kümmern."

An 54 Drehorten und Oasen der Natur haben die Filmemacher Jacques Perrin und Jacques Cluzaud über vier Jahre mit drei Teams gedreht. Erstmalig gelang es auch, Bilder mit beweglichen Kameras aufzunehmen, die vor allem die Bewegungen von Delfinen, Haien oder Walen einfingen. Entstanden ist so ein choreografiertes Ballett, rasant geschnitten und gefilmt, unterlegt mit einer hypnotischen Musik von Bruno Coulais.

In einer grandiosen Sequenz sieht man, wie Vögel aus der Luft wie Raketen blitzschnell in das Meer eintauchen, kleine Fische fangen, die ebenfalls von Delfinen tief unter der Meeresoberfläche durcheinandergewirbelt werden. Auch in diesem sehr poetischen Film wird die Grausamkeit der Natur nicht banalisiert. Man sieht beispielsweise, wie ein Killerwal Seerobben verschlingt oder frisch geschlüpfte Schildkrötenbabys ihren ersten Weg ins Meer nicht überleben. Deshalb ist auch der Vorwurf, der Film würde nur in Schönheit schwelgen, nicht berechtigt. Jacques Perrin legt aber Wert darauf, einen engagierten, aber keinen dogmatischen Film gedreht zu haben:

"Wir sind bei diesem Thema sehr aufmerksam. Als Weltbürger haben wir ein Bewusstsein entwickelt für die Erderwärmung oder das Aussterben von Tierarten. Aber es kann nicht immer nur um kluge Reden gehen. Wenn man über Ökologie spricht, muss man auch über die Verletzungen reden. Nach all den Konferenzen von Kyoto oder Johannesburg ist es wichtig, einmal etwas anderes zu zeigen. Man muss der Zivilgesellschaft auch eine Hoffnung geben. Man muss die Schönheit zeigen, um sie zu schützen. Zeigt man nicht die Schönheit, sondern nur die Katastrophen, dann bleibt auch nur die Katastrophe übrig."

Auf zu viel Kommentar haben die Filmemacher bewusst verzichtet, denn er würde nur das Sehen und Empfinden einschränken und einengen, meint Perrin. Man kann ihm nur dankbar sein, im Kino einfach staunen zu dürfen, sich so den eigenen Empfindungen und Gefühlen hingeben zu können.

Filmhomepage "Unsere Ozeane"