Das Auge des Jazz

Von Annette Selg · 06.03.2012
Quincy Jones, Louis Armstrong und Ella Fitzgerald: Sie hatte alle großen Jazzmusiker vor der Kamera. In den 40er- bis 60er-Jahren porträtierte die mittlerweile 90-jährige Susanne Schapowalow nicht nur die Stars, sondern die Musik selbst. Erst vor wenigen Jahren sind die Aufnahmen der Hamburger Fotografin wiederentdeckt worden.
Susanne Schapowalow ist eine kleine, leger gekleidete Frau mit ungestümen weißen Haaren. In der Backsteinvilla im holsteinischen Malente, in der sie mit ihrer Tochter wohnt, kommt man sich vor wie in einem Museum des Jazz. An der Wand hinter dem Eingang hängt bereits ein erstes großes Foto: Louis Armstrong, wie er rücklings auf einem Holzstuhl sitzt und in die Kamera lacht, in Schapowalows Kamera.

Im Flur weitere Berühmtheiten in Schwarz-Weiß – Eartha Kitt, Chet Baker, Miles Davis, Duke Ellington oder Quincy Jones. Sie alle hat die Fotografin in den 50er und 60er Jahren porträtiert, viele davon in Hamburg, andere in Stockholm, Paris oder New York.

Jazz hat die 1922 geborene Schapowalow mit ihren Hamburger Freunden schon während des Nazi-Regimes gehört, auf ausländischen Sendern und von Platten.

"Es ergab sich dadurch ein bestimmter Kreis, in dem sich das abspielte. Was ja doch gefährlich war in gewisser Weise. Man musste schon aufpassen, wer davon wusste."

Umso eindrücklicher erlebt die junge Fotografin die Befreiung, als der Krieg vorbei ist, 23 Jahre alt ist sie da. Bei Olga Linckelmann am Jungfernstieg, einer bekannten Hamburger Porträtfotografin, hat sie bereits eine dreijährige Lehre absolviert.

"Da hab ich also die Geschichte von der Pike auf gelernt. Wenn ich heute daran denke, war die Zeit zwar schön, ich hab sie genossen, aber völlig überflüssig. Also, diese typische Atelierfotografie hat mich nie interessiert."

Bei ihren eigenen Porträts fotografiert sie ganz anders: draußen, in ungestellten Situationen, und fast immer mit natürlichem Licht. Gemeinsam mit den Eltern, der Großmutter und der kleinen Tochter bewohnt sie nach dem Krieg fünf Zimmer in Blankenese.

"Ich hatte ja in unserer Toilette eine eingerichtete Dunkelkammer, wie das eben so war, nicht."

Von Nataschas Vater Boris Schapowalow, einem russischen Ikonenmaler, hat sich die Fotografin nach einer kurzen Ehe bald nach Kriegsende wieder getrennt. Die Eltern und auch die Großmutter haben sich um die Tochter gekümmert, während sie für Aufnahmen unterwegs war, erzählt sie.

Als Ende der 40er Jahre die ersten ausländischen Jazzmusiker nach Deutschland kommen, ist Susanne Schapowalow zur Stelle. Den Musikern gefällt die lebhafte dunkelhaarige Frau mit der Rolleiflex und ihre Bilder gefallen auch und so wird sie empfohlen und weitergereicht.

"Es gab da mal eine lustige Szene. Ich saß natürlich immer in der ersten Reihe, die is ja frei, und da fiel mir so ein ziemlich geräuschvolles Instrument runter während eines Konzertes von Ellington. Oh Gott, und was sagt er? Oh, ein neuer Klang im Orchester! Na ja, und da wurde gelacht und alles war ok. Und daraus ergab sich dann auch eine ziemlich intensive und langjährige Freundschaft."

Die Fotografin hat nicht nur Musiker porträtiert. Auch Gottfried Benn saß ihr Modell in seiner Berliner Wohnung, sie hat Marlene Dietrich bei den Festspielen in Edinburgh fotografiert, Nobelpreisträger Albert Schweitzer, oder den Verleger Ernst Rowohlt.

"Ich mag Menschen, das ist alles. Das klappt auch meistens oder ich nehme dann gleich Reißaus. Menschen haben mich eben immer interessiert und wenn es dann noch berühmte Menschen waren, umso besser."

Von einer Begegnung schwärmt die 90jährige noch heute.

"Ich bin ja nach Paris gefahren für eine Gelegenheit, Quincy Jones zu fotografieren. Der Name sagte mir überhaupt nichts. Aber ich hatte Freunde, die mir eben sagten: Das musst du wahrnehmen, wenn die hier in Europa sind Und daraus ergab sich einfach, dass ich da hängen blieb."

Der US-amerikanische Jazztrompeter Quincy Jones reist zu dieser Zeit, im Frühsommer 1960, mit seinem Orchester mehrere Wochen durch Europa. Die Fotografin ist dabei und hält die Konzerte, das Leben auf Tour fest – in vielen schönen, sehr berührenden Aufnahmen.

"Ja, dann käme ich nie auf die Idee, bei einem Solo klick zu machen., ja?"

Ab Ende der 60er Jahre fotografiert Susanne Schapowalow weniger. Sie gründet in Hamburg eine Fotoagentur. Ihre eigenen Bilder, allein über 11 000 Jazz-Aufnahmen, lagern derweil im Keller. Erst als Schapowalows Enkel Felix Brüggemann, auch er ein Fotograf, vor einigen Jahren nach Jazz-Aufnahmen für das Berliner Hotel "Ellington" gefragt wird, kommen die Fotos wieder ans Licht.

"Und das ganze Hotel ist nur mit meinen Bildern ausgestattet."

Die Berliner Fotografengalerie "Camera Work" stellte 2009 ihre Arbeiten aus. Vor wenigen Monaten ist ein erster großer Bildband mit Schapowalows Jazz-Bildern erschienen.

"Ich freue mich, dass man das nicht als altmodischen Kram empfindet, sondern dass man das heute noch gelten lässt, ja?"