Das Atom in Bildern

04.01.2010
In "Atombilder" sichten die Herausgeber Bilder und Fotografien, die im 20. Jahrhundert entstanden und die Geschichte des Atoms begleiteten. Es ist ein spannendes Buch, das von einem wesentlichen Kapitel der modernen Wissenschafts- und Kulturgeschichte erzählt.
Das Atom ist eine Metapher des 20. Jahrhunderts, die für Erkenntnisfähigkeit und Fortschrittsgläubigkeit steht - für den epochalen Nutzen physikalischen Wissens und zugleich seinen Handreichungen für apokalyptische Desaster. Diese komplexe Geschichte mit den Methoden der heute viel beschworenen Ikonografie zu sichten lag sicher nahe – bleibt aber dennoch ein großes Verdienst der Herausgeber Charlotte Biggs und Jochen Hennig, die ein wissendes und hin und wieder detailverliebtes internationales Autorenkollektiv um sich versammelt haben.

Die Anfänge dieses Buches liegen in einer Ausstellung, die das Deutsche Museum München mit dem gleichen Titel "Atombilder" im Frühjahr 2007 zeigte und die die Herausgeber kuratierten. Wenn man diese Herkunft bedenkt, erscheint die Grundannahme der Ikonografie und so auch des Buches, nach der man beim Bild von einem Eigenwert auszugehen hat, gar nicht so neu. Allein die zahlreichen Bemühungen um eine visuelle Umsetzung des Themas Atom im Deutschen Museum im Lauf der Jahrzehnte zeugen von ihr.

Aber hier geht es nicht bloß um Wissensvermittlung im Sinne des Funktionierens, die eine bestimmte Skizze etwa befördern soll, sondern vor allen Dingen um den Rückblick, das heißt um die Sichtung von Bildern und Fotografien, die im 20. Jahrhundert entstanden und die Geschichte des Atoms begleiteten. In einer Folge von 24 Beiträgen werden teils ungemein spannende Einblicke geboten, die die Denkräume der Akteure spiegeln.

Seien es die von Physikern wie Henri Becquerel, der mit Hilfe von Fotopapier zufällig 1896 die Radioaktivität entdeckte, oder Niels Bohr, der mit seinem Planeten-Atom-Modell in England weit weniger Furore machen konnten als in Deutschland, oder Arnold Sommerfeld, der für das Deutsche Museum ein Gold-Atom-Modell entwarf und dafür den Unmut des Nazi-Physikers Johannes Stark erregte, der ein kugelförmiges Atom rundweg ablehnte. Oder seien es die gar nicht mehr personell zu fassenden Interpretationen, die sich um den Atompilz ranken, der in den USA zunächst überwiegend positiv gesehen wurde, weil mit ihm das Kriegsende in Japan assoziiert wurde, in Europa dagegen nicht. Oder die Manifestationen des Atoms auf den Weltausstellungen in Paris 1937 und in Brüssel, bei denen sich nationale Prestigeambitionen entfalteten.

Die Herausgeber haben das Buch in drei Abschnitte gegliedert: Atom-Darstellungen, Atom-Ausstellungen, Atom-Zeitalter. Etwas spitzfindig könnte man die Teilung von Darstellung und Ausstellung anzweifeln, weil ja die Darstellungen – nehmen wir Becquerels Fotos – sicher auch in den Ausstellungen vorkamen. Aber das ist ein Nebenaspekt, der der Lesbarkeit des Buches keinen Abbruch tut. Auch nicht der kleine und trotzdem etwas ärgerliche Fehler in der Einleitung von Bigg und Hennig: Die Radioaktivität wurde nicht 1903 entdeckt, sondern da bekam der Entdecker den Nobelpreis.

Aber dennoch folgt man der Grundstruktur gern, denn sie vollzieht nach, was die Menschheit in einem Jahrhundert mit dem Atom zu schaffen hatte. Das sogenannte Atomzeitalter begann mit dem Abwurf der Atombombe in Japan, es beförderte Hoffnungen über unerschöpfliche Energiequellen und es ereilte ein epochales Fiasko mit der Katastrophe von Tschernobyl. Der Schatten von Hiroshima – hier keineswegs metaphorisch gemeint, sondern real als Schatten eines Menschen, der durch die Atomexplosion in eine Wand gebrannt wurde oder der Kontrolltraum des Blocks 4 von Tschernobyl, verrostet im Jahr 2001 – sind Bilder, die lange nachwirken.

"Atombilder" ist ein spannendes Buch, das von einem wesentlichen Kapitel der Wissenschafts- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts erzählt und oft zur Hand genommen werden sollte.

Besprochen von Peter Kirsten

Charlotte Bigg/Jochen Hennig (Hrsg.): Atombilder - Ikonografie des Atoms in Wissenschaft und Öffentlichkeit des 20. Jahrhunderts
Wallstein Verlag, Göttingen 2009
214 Seiten, 29.90 Euro