Das Assisi-Dilemma

Von Norbert Sommer · 22.10.2011
Am Donnerstag begibt sich Papst Benedikt XVI. mit Vertretern anderer christlicher Kirchen und verschiedener Weltreligionen nach Assisi, um sich mit ihnen für den Frieden in der Welt einzusetzen.
Als Papst Benedikt XVI. Anfang des Jahres ein erneutes Friedensgebet der Religionen in Assisi ankündigte, sprach selbst Radio Vatikan von "allgemeiner Überraschung". Außerdem wurde daran erinnert, dass das erste Treffen dieser Art im Oktober 1986 sowie das zweite 2002 zwar auf Anregung von Papst Johannes Paul II. stattfanden, aber keineswegs uneingeschränkt von allen im Vatikan begrüßt und unterstützt wurden. Besonders der damalige Kardinal Joseph Ratzinger soll erhebliche Vorbehalte gehabt haben, auch wenn es jetzt aus Rom heißt, bei dieser Interpretation handele es sich um ein Vorurteil.

Als Papst schickte Joseph Ratzinger nun seiner Einladung anlässlich des 25. Jahrestages des spektakulären Ereignisses die Bemerkung voraus, er wolle damit an die historische Geste seines Vorgängers erinnern. Eingeladen seien "alle christlichen Brüder der verschiedenen Konfessionen, Vertreter der religiösen Traditionen der Welt und ideell alle Menschen guten Willens". Konkret heißt das, dass auch fünf Nichtglaubende eingeladen sind, denn schließlich hätten sie Glaubenden auch etwas zu geben und seien mit ihnen auf dem gleichen Weg.

Dieser neue Akzent ist aber leider auch das einzig wirklich Erwähnenswerte im Blick auf das kommende Treffen. Ansonsten bleibt nämlich nicht viel übrig von der ursprünglichen Idee und Durchführung. Das Sperrfeuer aus den Reihen der Piusbruderschaft und anderer erzkonservativer christlicher Gruppen gegen das – wie sie es nennen – interreligiöse Assisi-Gräuel zeigt offensichtlich Wirkung. Mit tausend Sühnemessen und einer eigenen Pilgerfahrt nach Assisi Anfang September wollten sie das erneute Treffen noch verhindern. Das erinnert an den massiven Widerstand des Gründers der Piusbruderschaft, Erzbischof Lefebvre, der nach dem Weltgebetstreffen von 1986 den endgültigen Bruch mit Rom vollzog und anschließend die unerlaubten Bischofsweihen vornahm. Er sprach damals von "heiliger Empörung", weil die "Ehre des einzigen wahren Gottes, Unseres Herrn Jesus Christus", geschändet werde.

Damals wie heute die gleichen Argumente: Das Konzil mit seinen Aussagen zur Ökumene und zur Würdigung der anderen Religionen habe den schlimmsten Irrtum gefördert. Dadurch werde die Mission der Kirche verhindert. Die Katholiken verfielen in Gleichgültigkeit gegenüber ihrem Glauben. Mit anderen Worten: Der Alleinvertretungsanspruch der Katholischen Kirche nach dem Motto "Außerhalb der Kirche kein Heil" werde in Frage gestellt. Auf Assisi bezogen fügen sie hinzu: Ohne Christus handele es sich nur um einen falschen Frieden. Diese Angst vor Synkretismus, also einer Vermischung der Religionen, und damit vor Relativismus trieb wohl Kardinals Ratzinger schon vor 25 Jahren um. Abgelegt hat er sie bis heute nicht, auch wenn er die radikale unversöhnliche Haltung der Traditionalisten sicherlich nicht teilt.

Aufschlussreich ist jedenfalls seine schriftliche Antwort auf eine kritische Anfrage des evangelischen Missionstheologen Peter Beyerhaus, der ebenfalls seine Besorgnis über das neue Assisi-Treffen geäußert hatte. Benedikt XVI. teilte ihm mit, die Initiative für diese Jubiläumsveranstaltung sei nicht von ihm ausgegangen. Er werde jedoch hingehen und versuchen, die Richtung des Ganzen zu bestimmen und alles tun, damit eine synkretistische oder relativistische Auslegung des Vorgangs unmöglich wird. Und das sieht dann so aus: Aus dem Weltgebetstreffen der Religionen für den Frieden wurde ein Weltfriedenstreffen der Religionen. Es ist weniger ein Gebetstreffen als eine "gemeinsame Pilgerreise" ganz in Stille und in persönlicher Betrachtung. Selbst mit den anderen christlichen Kirchen oder gar mit den anderen monotheistischen Religionen ist kein gemeinsames Gebet vorgesehen. Stattdessen nur Appelle für den Frieden. Ein Armutszeugnis, eine Kapitulation, eine Alibi-Veranstaltung ohne große Bedeutung.
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