"Das arme Mönle"

Karin Andert im Gespräch mit Joachim Scholl · 25.05.2010
Legionen von Büchern wurden über die Familie Mann bereits verfasst, doch über Monika Mann ist wenig bekannt. Die Literaturwissenschaftlerin Karin Andert schließt mit ihrer Biografie über die Schriftstellerin eine Lücke.
Joachim Scholl: Was sind wir für eine sonderbare Familie! Man wird Bücher über uns schreiben. – Diese Notiz hat Klaus Mann schon 1936 formuliert und er hat recht behalten. Bis ins zweite und dritte Glied, bis zu den Schwieger- und Großeltern ist die Familie des Nobelpreisträgers Thomas Mann biografisch erforscht. Aber eine fehlt: Für die Tochter Monika Mann nämlich, das vierte Kind von Katia und Thomas Mann, hat sich bislang fast niemand genauer interessiert. Für die Familie war sie das ungeliebte Mönle und für die Nachwelt anscheinend ebenso. Jetzt aber gibt es eine, die erste Biografie über Monika Mann, verfasst von der Literaturwissenschaftlerin Karin Andert. Sie ist jetzt im Studio, guten Morgen, Frau Andert!

Karin Andert: Ja, guten Morgen!

Scholl: 1910 wurde Monika Mann geboren, gestorben ist sie 1992, und diese Nachricht war damals auch nur eine Randnotiz. Wie kam es, dass man diese Monika fast komplett übersehen hat?

Andert: Das hängt einmal mit der Familienkonstellation zusammen, dass sie schon innerhalb der Familie nicht sehr geliebt war. Diese erwähnte Notiz zu ihrem Tod wurde auch verspätet an die Presse gegeben und dafür war Golo Mann, ihr Bruder, verantwortlich. Er hat diese Nachricht erst später herausgegeben, sodass sie eben an ihrem, ja an ihrem Grab im Grunde genommen niemand stand.

Scholl: Wieso haben Sie sich für diese Frau interessiert?

Andert: Das war ein Zufall. Ich habe zufällig, in meiner vormaligen Tätigkeit als Studienleiterin bekam ich mit, dass es keine Biografien zu Monika Mann gibt, auch niemand gibt, der sich für sie interessiert. Das war ausgelöst durch die, durch das Buch von Inge und Walter Jens damals zu Katia Mann. Ich habe Tagungen geplant zu den Frauen der Manns und eben für Monika fand ich niemanden. Und da hieß es immer, da gibt es nichts, was ich mir nicht vorstellen konnte, und das hat mich interessiert.

Scholl: Was hat denn die Tochter so ungeliebt oder so unbeliebt, wie Sie es nennen, in der Familie gemacht?

Andert: Thomas Mann übersah sie gerne oder liebte ... Sie gehörte eben nicht zu den geliebten Kindern und sie hat sich in der Rolle des sonderbaren Kindes eingerichtet, indem sie schwieg. Und das war in der Familie das Schlimmste eigentlich, was man tun konnte, also eben muffig zu schweigen, während die Familie am Tisch sitzt oder Thomas Mann etwas vorliest. Und das hat sie ja deshalb provoziert.

Scholl: Alle diese sechs Kinder – Klaus, Erika, Golo, Michael und Elisabeth – haben ihren eigenen Strauß mit dieser Familie ausgefochten, vor allem mit dem übermächtigen Vater. Wie war das Verhältnis von Monika zum Zauberer, wie der Vater ja respektvoll genannt wurde?

Andert: Sie hat ihn bis zum Ende ihres Lebens verehrt und bewundert und hat ihm das nicht nachgetragen, dass er sie gerne übersehen, übersah oder auch ja kaum Anerkennung von ihm fand. Also sie hat ihn bewundert und hat auch sehr schöne Porträts über ihn geschrieben.

Scholl: Die Mutter Katia hatte ja anfangs durchaus eine tiefe Zuneigung zu dem Kind empfunden, es gibt ein kleines Monika-Büchlein, verfasst von der Mutter über die ersten Lebensjahre der Tochter, die verraten eine große Zärtlichkeit. Diesen Text haben Sie Ihrer Biografie angefügt, Frau Andert – warum hat sich die Mutter Katia dann aber so abgewandt von dieser Tochter? Weil sie so ein kleiner Muffkopf war?

Andert: Das hat sich dann entwickelt, als zwischen zehn und zwölf Jahren der berühmte Übergang zur Pubertät und, aber Katia war auch immer zunehmend, war zunehmend stärker in Anspruch genommen von Thomas Mann und den nächsten beiden Kindern. Also sechs Kinder und den Haushalt und den ganzen Schriftverkehr für Thomas Mann zu erledigen, das hat sie zu einer sehr harten Frau gemacht. In diesem Zuge der Entwicklung konnte sie mit einer Tochter, die eher auch weiblich und zärtlich war, nichts mehr anfangen und hat sie abgelehnt.

Scholl: Zu dieser biografischen oder zu dieser familienbiografisch unglücklichen Situation kommt ein großes, furchtbares Traume, das Monika Mann durchlitten hat: Im September 1940 wollte sie von England aus nach Kanada ins Exil per Schiff zusammen mit ihrem frisch angetrauten Ehemann Jenö Lányi, einem ungarischen Kunsthistoriker, und dieses Schiff wurde von einem deutschen U-Boot versenkt. Jenö Lányi ertrank förmlich vor Monika Manns Augen, sie selbst wurde gerettet. Was hat dieser Schlag für die junge Frau bedeutet?

Andert: Ja das hat bedeutet, dass sie die nächsten zehn Jahre traumatisiert war. Es war nicht nur der Tod des Ehemannes vor ihren Augen, sondern sie sah viele Kinder, etwa 80 Kinder ertranken auch vor ihren Augen und schwammen auf dem Meer, und ich glaube das hat sie noch viel stärker traumatisiert als der in den Wellen verschwindende Ehemann. Das hat bedeutet eben, dass sie zehn Jahre wirklich darunter gelitten hat, aber dennoch sehr gerne gelebt hat. Von Anfang an sagt sie immer, ich bin froh, gerettet zu sein.

Scholl: Dieser Schicksalsschlag hat ja ihr dann auch so eine merkwürdige Sonderstellung in der Familie beschert. Das wurde respektiert, sie wurde auch bemitleidet, aber letztlich war die Familie dann auch genervt.

Andert: Von Anfang an war die Familie genervt. Also sie wurde bemitleidet und sie hieß auch immer das arme Mönle, was ja schon sehr typisch ist, sehr abschätzig auch. Aber wirkliche Hilfe hat man ihr nicht geboten, weder professionelle Hilfe – also heutzutage wäre das undenkbar, dass man ja nicht mal die Möglichkeit bekommt, eine Therapie zu erhalten –, und noch hat man Geduld mit ihr gehabt. Sie sollte möglichst schnell wieder funktionieren.

Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Karin Andert, sie hat die erste Biografie über Monika Mann, die Tochter von Thomas Mann, verfasst. Die Zeit während des Exils, belegen viele Notizen, wie problematisch dieses Verhältnis zwischen Eltern und Tochter war. Im Tagebuch spricht Thomas Mann von ihrer Wunderlichkeit, an einer anderen Stelle vom recht trüben Problem Moni. Sie hat es dann aber auch ein bisschen drauf angelegt, weil sie nämlich einfach nichts tat, also keinen Beruf anstrebte, so vom Geld der Eltern lebte. Das wäre wohl in jeder Familie nicht so gut angekommen, in dieser erst recht nicht?

Andert: Das stimmt nicht so ganz, sie hat die letzten 40 Jahre geschrieben, und zwar Feuilletons. Das war natürlich später, als sie dann ja auf Capri lebte. Also das heißt, dieses Bild, dass sie nichts tat, stimmt nicht. Sie hat auch in New York, nach dem Unglück, als sie dann auf der Suche war, war sie verzweifelt, das kann man im Tagebuch nachlesen, hat etwas gesucht, was sie tun kann. Und sie fing dann an zu schreiben, nämlich genau mit diesem Tagebuch 1945, und publizierte 1947 ihre ersten Texte. Danach schrieb sie über 30 Jahre lang regelmäßig Feuilletons und kleine Bücher.

Scholl: Das geschah alles auf Capri. Sie haben dieses New York-Tagebuch auch Ihrer Biografie angefügt, das kann man nun zum ersten Mal überhaupt lesen, 2007 haben Sie auch die ersten dieser Feuilletons von Monika Mann veröffentlicht. Was war sie für eine Schriftstellerin?

Andert: Man kann sie nicht vergleichen mit ihrem Vater, auch nicht mit Klaus Mann oder Golo Mann, aber sie hatte ihren eigenen Stil. Sie passt in die Reihe der Kleinen Prosa, also beispielsweise Robert Walser, Polgar, also das, sie hat kleine Stücke geschrieben, sehr genau beobachtet, an ihnen gefeilt; sie hat Gedichte geschrieben, Märchen, aber auch Alltagsgeschichten. Also sie hat die Menschen beobachtet und hat darüber geschrieben. Es ist ein eher assoziativer, degressiver Stil, sie schweift manchmal auch ab, aber sehr modern, könnte man das heute sagen. Man tut ihr Unrecht, wenn man sie vergleicht mit Thomas Mann.

Scholl: Und diese literarischen Arbeiten wurden von der Familie wiederum mit ätzender Häme begleitet. Herzlich unbedeutend, schrieb Vater Thomas, und das war noch gar nichts gegen die Urteile von Mutter Katia und vor allem der Tochter Erika Mann, da gibt es richtig böse Stellen. Hat denn Monika Mann irgendwann doch eine Art Frieden mit dieser Familie schließen können?

Andert: Sie hat vieles nicht wissen wollen und hat deshalb auch den Frieden behalten können. Sie hatte bis zum Schluss ihre Mutter besucht und hat auch die Anfeindungen von Erika ... , weil sie tat das Schlimmste, was man überhaupt tun konnte, sie schrieb und schrieb über den Vater. Und dieses Erinnerungsbuch von ihr war ja auch eine große Konkurrenz für Erika Mann. Aber sie hat den Frieden in dem Sinne gefunden, dass sie sich eine eigene Welt bewahrt hat und auch nie den Faden durchschnitten hat.

Scholl: Zu dieser eigenen Welt gehörte auch ein privates Lebensglück mit Antonio Sbadaro, einem italienischen Maurer, mit dem sie auf Capri 30 Jahre verbrachte, der ein feiner Mensch gewesen sein muss, aber natürlich keineswegs standesgemäß. War das eine Art auch privater Emanzipation von der Familie?

Andert: Sie hat Geborgenheit gesucht, und die hat sie gefunden bei Antonio und wenn es auch keine direkt gleichberechtigte Beziehung war, hat er ihr sehr viel gegeben. Es muss ein wirklich feiner Mensch gewesen sein, er kannte zwar keine Literatur, aber er hatte Herzensbildung. Und man kann es aber nicht so sehen, als wenn es jetzt eine Provokation gegenüber der Familie war, oder es hat sich auch so zufällig ergeben. Sie hat einen Menschen gesucht, sie hat eine schöne Landschaft gesucht und hat es gefunden.

Scholl: Frau Andert, hat sich Ihr eigener Blick auf den Thomas-Mann-Clan eigentlich durch diese Beschäftigung jetzt mit der Tochter Monika verändert?

Andert: Natürlich, ich weiß sehr vieles, viel mehr als man sonst auch in den Biografien erfährt, auch vieles, was nicht veröffentlich wird, ganz bewusst nicht veröffentlicht wird auch von Katia Mann, also es gibt da ganz böse Briefe. Aber ich maße mir nicht an, jetzt über diese Eltern oder auch die Geschwister zu urteilen. Das war so.

Scholl: Monika Mann – jetzt schließt sich diese Lücke mit der ersten Biografie über die Tochter Thomas Manns. Karin Andert hat das Buch geschrieben, es ist im Mare-Verlag erschienen, 326 Seiten zum Preis von 24 Euro. Herzlichen Dank für Ihren Besuch und das Gespräch, Frau Andert!

Andert: Bitte sehr!