Das andere Gesicht der Pariser Vorstadt

Von Katja Bigalke |
Die Vororte von Paris gelten in der öffentlichen Wahrnehmung als Orte der Kriminalität und der Gewalt. Dass aber auch hier Menschen leben, die Träume haben oder an die Liebe glauben, schildert die 19-jährige Französin arabischer Herkunft Faïza Guène in ihrem Buch "kiffe kiffe demain".
"Kiffe kiffe demain: Das kommt aus dem arabischen und heißt so viel wie "morgen - immer das gleiche". Und dann hat es noch eine umgangssprachliche Bedeutung und die ist: lieben. "

Faiza Guène, 19 Jahre, sitzt auf einem Betonblumenkübel an einer trostlosen Durchgangsstraße und wartet auf eine Freundin. Sie ist nicht besonders groß, trägt auffällige, runde Silberohrringe und ein kleines, buntes Dreieckstuch im Haar.

"Ich bin schon ein romantisches Mädchen. Ich bin da sehr naiv ich glaube sehr an so Dinge wie jemanden lieben. Ich bin halt sehr optimistisch. "

Fatima kommt - zwei Zigaretten und viele sprudelnde Worte über Liebe und Beton später. Die beiden setzen sich an den Tisch des einzigen Bistros weit und breit, bestellen Kaffee und Cola. Alles beisammen: Stärkung, Verstärkung. Faiza legt los.

"Ich habe immer gerne geschrieben. Schon als Kind. So für mich ohne zu wissen, was draus wird. Und dann hat der Vorsitzende von unserem Schreibatelier das Manuskript von "kiffe kiffe demain" gelesen. Aus Zufall, und der hat das dann den Verlag weitergegeben. "

So kommt es, dass Faiza nun ein Star in Frankreich ist. Seit sie Doria erfunden hat, die Hauptfigur ihres Überraschungsbestsellers.

Doria ist eine 15-jährige Französin algerischer Herkunft. Verträumt und verschlossen, aber nicht auf den Mund gefallen. In Ich-Person erzählt sie vom Alltag zwischen Sozialhilfe und Therapie. Von neugierigen Nachbarn und ihrer ersten Liebe. Sie lebt allein mit ihrer Mutter in einem Sozialbau der Pariser Banlieue.

Staubige Straßen, herunter gekommene Hochhäuser. Wenig Grün - viel Sperrmüll. Trostlos: wäre da nicht Aziz, der freundliche Gemüsehändler, der allen Rabatt gibt, oder Hamoudi, der feinsinnige Kiffer, der Rimbaud liest. Faizas Protagonisten sind etwas durcheinander, aber liebenswert. Und sehr realistisch.

"Nach dem Buch haben auf einmal alle gesagt: aber das ist außergewöhnlich für eine Vorortgeschichte - die sind alle so nett. Wir sind hier eben nicht alle Monster. Es gibt eine starke Solidarität. Und es kann auch sehr herzlich und freundlich hier zugehen. "

Natürlich kennt Faiza auch Töchter, die von ihrer Familie unterdrückt werden. Sie kennt Jungs, die im Gefängnis sitzen, wegen Drogengeschichten. Vor ihrer Schule explodieren Autos, in ihrem Häuserblock werden Omas überfallen.

"Ich konnte nicht erzählen: alles ist toll. Es ist auch schwierig. Das ist ein vernachlässigter Ort. Es gibt soziale Probleme. Aber eben auch Liebe und Zuneigung. Ich erzähl die Geschichten meiner Leute. Das ist ein Cocktail aus dem was ich erlebt und gesehen habe. "

Anders als ihre Heldin Doria hat Faiza Bruder und Schwester und lebt mit ihren algerischen Eltern zusammen. Ein behütetes, fröhliches Mädchen, das schon früh seine Ideen umsetzt, weil die Familie sie unterstützt. An einem Ort, wo es an Anregungen eher mangelt, ist ihr Zuhause die wichtigste Motivation.

"Das, was hier angeboten wird, ist immer dasselbe Klischee: Rap und Fußball. Dabei gibt es viele talentierte Leute hier. Aber wenn man die fragt, was sie werden wollen, fällt denen nur Verkäuferin oder Friseuse ein - nie malen oder schreiben. Einfach, weil sie nie träumen durften. "

Faiza hat Glück - sie bekommt eine Inspirationsquelle vor die Nase gebaut. Als sie 13 wird, eröffnet ein kommunales Kulturzentrum in Pantin. Einzigartig in der Banlieue. Hier gibt es Schreib-Ateliers, Kinoseminare und eine große Bibliothek

"Ein Buch, das mir sehr gefallen hat, war Fänger m Roggen von Salinger. In der Schule liest man so anstrengende Bücher von Molière und Flaubert und so und dann denkt man immer - Bücher schreiben ist super Arbeit, aber dann hab ich das gelesen und dachte, hey das kann auch einfach Spaß machen. "
Der Sound ihrer Geschichten ist ähnlich. Viele kleine Dialoge, viel Umgangssprache. Faiza schreibt, wie sie spricht. Nicht selbstverliebt, nicht poetisch. Eher wie eine Soap.

"Für mich ist das Fernsehen eine echte Referenz. Es gibt hier kein Kino, kein Theater. Das wichtigste ist Fernsehen und das ist für mich ist genauso nobel wie all die anderen kulturellen Quellen. Es ist eben nicht elitär. Das Fernsehen gehört allen. "

Pantin Paris - Dazwischen liegt der Peripherique - die Stadtautobahn. Er trennt zwei Welten voneinander.

"Das ist keine physische Grenze sondern eine psychische. Die Pariser kommen nur her um Drogen zu kaufen. Umgekehrt finden die Leute hier Paris zu bourgeois. Da fällt man auf. Für uns Mädchen geht das noch - wir gelten da als die armen Frauen, die der Bruder zusammenschlägt, wir erzeugen Mitleid. Unsre Jungs werden aber immer wie Verbrecher angeguckt. "

Faiza hat es weit über den Peripherique hinaus geschafft. In Paris hat ihr eine Produktionsfirma ein Büro zur Verfügung gestellt, wo sie gerade an dem Drehbuch für kiffe kiffe demain arbeitet. Und trotzdem wird sie noch eine Weile in Pantin bleiben. In einer engen Drei-Zimmerwohnung, die sie mit ihren Eltern und den beiden Geschwistern teilt.

" Alle hier fragen mich immer, warum ich noch hier bin, jetzt wo ich ein Buch geschrieben habe. Aber ich bin glücklich hier und ich würde auch nicht weggehen, nur weil ich Erfolg gehabt habe. Das würde ja heißen, dass alle, die hier bleiben Versager sind. Ich hätte mit 13 gerne jemanden in der Umgebung gehabt, der ein Buch geschrieben hat. Einfach um zu glauben: das könnte ich auch machen. "