Das alte Testament als Stoff für Dramen

Von Jonathan Scheiner |
Im Jahr 2009 jährt sich der Geburtstag von Georg Friedrich Händel zum 250. Mal. Ein Musik-Genre, in dem er brillierte, war das Oratorium. Nicht wenige seiner Singstücke verarbeiten alttestamentarische Stoffe.
Wenn Michael Jackson der King of Pop ist und Elvis der King of Rock 'n' Roll, dann ist Georg Friedrich Händel der König des Barock. Kein anderer deutscher Komponist war zu seiner Zeit auch nur annähernd so berühmt wie der 1685 in Halle geborene Musiker. Noch heute zählt Händels Messias mit dem berühmten "Halleluja" zu den meist gespielten Musikstücken. Mehr als 40 Opern und 25 Oratorien hat der Meister komponiert. Was aber kaum bekannt ist: Gut die Hälfte der Oratorien hat alttestamentarischen Hintergrund. Saul, Salomon oder Judas Maccabäus sind nicht nur wohlvertraute Figuren aus dem Tanach. Das sind auch die Namen von Händel-Oratorien. Eines von Händels frühesten geistlichen Singstücken heißt "Saul". Es wurde 1739 in London uraufgeführt.

(Musik: Ausschnitt aus Einspielung unter Leitung von John Eliot Gardiner)

Der Erfolg des "Saul” lag im Geschmack des barocken Publikums begründet. Arien wie die eben gehörte wurden von den besten und teuersten Sängern der Zeit gesungen, damals von Kastraten, heute von Sängern wie dem Countertenor Derek Lee Ragin, der hier begleitet wird vom Monteverdi-Chor und den Englischen Barocksolisten unter der Leitung von John Eliot Gardiner. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich ein lauthals schluchzendes Publikum vorzustellen. Der Erfolg des Saul lag aber vor allem in seiner dramatischen Qualität begründet. König Saul wird als ambivalente Figur dargestellt. Einerseits ist er mutig im Kampf - andererseits ist er missgünstig gegenüber seinem Stiefsohn David. Über Sauls schicksalhaften Niedergang weiß auch Bernd Lamin Bescheid. Der Musikwissenschaftler hat über die alttestamentarischen Händel-Oratorien einen Vortrag im Rahmen der "Langen Nacht der Wissenschaften" gehalten.

"Es ist ein Opernstoff. Erst mal ist der Saul selbst eine äußerst gebrochene Figur, es hat ja schon fast so etwas Shakespearhaftes, ich denke jetzt an Macbeth, wobei bei Macbeth ist es ein anderer Antrieb. Hier ist es Neid, warum, er ist neidisch, das ist sein Charakterzug, er geht an diesem Neid zugrunde und seine Familie letztlich auch. Dieser Saul ist fast prophetisch für die Oper geschrieben, es ist eine verkappte Oper."

Als Vorlage für das Libretto haben Bibeltexte aus dem 1. und 2. Buch Samuel gedient. Händel und sein Librettist Charles Jennens haben daraus ein Musikdrama ersten Ranges komponiert. Dass es keine szenische Handlung gibt, stellt für einen Meister wie Händel kein Problem dar. Die dramatische Entwicklung wird ausschließlich mit musikalischen Mitteln anschaulich gemacht. Der Chor ist nicht nur Träger der Handlung, sondern er kommentiert auch gleichzeitig das Geschehen. Mit dem Triumphgesang auf den Sieg Davids über Goliath beginnt der erste Akt.

Im Mittelpunkt steht die Figur des Saul. Sein Neid auf den allseits beliebten David steigert sich zu blankem Hass. Selbst Sauls Sohn Jonathan soll zum Mord an seinem Stiefbruder angestiftet werden. Doch Jonathan ist seinem Bruder treu und verweigert sogar dem eigenen Vater den Gehorsam.

"Das ist in dem Fall speziell für Saul, wenn man jetzt die Musik zu David vergleicht, ist die Musik für den König Saul sehr affektgeladen, emphatisch und hat vom Gesang her etwas Abgerissenes, das heißt, es sind keine schönen Legatomelodien, es sind Sprünge innerhalb der Szenen, jetzt musikalisch Quintsprünge, fast brutal, die Musik."

Saul ist besessen von dem Gedanken, er habe mit David eine Schlange in seinem Schoße groß gezogen. Als Saul schließlich die Hexe von Endor aufsucht, um sich seine Zukunft vorhersagen zu lassen, besiegelt sich sein Schicksal. Auf Geheiß der Hexe wird der Geist des Propheten Samuel herbeigerufen, der Sauls und Jonathans Tod im Kampf gegen die Phillister vorhersagt. Sauls Reich aber werde in die Hände Davids übergehen und damit das Goldene Zeitalter beginnen. Auch Davids Sohn Salomon ist ein Teil dieser glänzenden Zukunft. Diesem Salomon hat Händel ein weiteres Oratorium gewidmet, doch es war nicht halb so erfolgreich. Im Gegenteil:

"Salomon ist ja nun auch zum Saul als Werk völlig konträr. Da liegen nicht nur zehn Jahre dazwischen, sondern da liegen Welten dazwischen. Der Salomon ist das Oratorium, das am wenigsten für die Oper geeignet ist, aber trotz alledem nicht langweilig ist. Es passieren ja am laufenden Band Dinge, die aber keine durchgehende Handlung haben, sondern Tableaus sind, ob das nun Salomon als Richter, wo er dann verherrlicht wird vom Chor, oder dann der große Staatsempfang für die Königin von Saba, mit prachtvoller Musik, oder dann auch zum Ende des 1. Aktes nach diesen ganzen Lobpreisungen des Chores, diese intime und musikalisch einfach hinreißende, also die Musik schafft eine Atmosphäre, das man das fast schon sehen kann, diese Intimität zwischen Salomon und seiner Gemahlin, der Tochter des Pharao."

"Salomon ist ein lyrisch-episches Oratorium im Gegensatz zum dramatischen vom Saul. Ein Sujet fehlt, es sind selbstständige Tableaus, die in musikalischen Reflexionen die Weisheit, die Idylle, die Gerichtsschau verehrt und zum Schluss Gotteslob, dafür findet Händel diese prunkvolle Musik. Wir kennen ja nun die Feuerwerksmusik. Ein bisschen kann man das vergleichen"

Händel hat den Salomon als Parabel auf die Regentschaft des englischen Königs George II. konzipiert, der schon als Kurfürst von Hannover sein Landesherr war. Salomons Regentschaft, gekennzeichnet durch salomonische Urteile, wird übertragen auf König George. Diese künstliche Überhöhung als einziges dramaturgisches Moment wirkt allzu dick aufgetragen, weshalb das Stück beim damaligen Publikum glatt durchfiel. Heutzutage allerdings gilt Salomon als eines der schönsten Oratorien von Georg Friedrich Händel.