Das alte England aus der Schlüsselloch-Perspektive
Es ist ein einzigartiges kulturhistorsches Dokument über Sex und Erotik: das Tagebuch des Samuel Pepys, der im England des 17. Jahrhunderts vom kleinen Mann zum angesehenen Mitglied der Oberschicht aufstieg und sein Leben auf rund 4000 Tagebuchseiten festhielt. Jetzt ist die erotische Essenz des Diariums erschienen, klug ausgewählt von Helmut Krausser und hervorragend übersetzt von Gerd Deggerich.
Er kam aus kleinen Verhältnissen, am Ende seines Lebens war er wohlhabend und ein angesehenes Mitglied der englischen Oberschicht. Als der ehemalige hohe Beamte derer Königlichen Admiralität, Samuel Pepys, am 26. Mai 1703 im Alter von 70 Jahren starb, vermachte er einem Neffen seine schöne Bibliothek mit nahezu 3000 Bänden. Darunter befanden sich sechs stattliche, in Kalbsleder gebundene Folianten mit stenographischen Aufzeichnungen aus Pepys‘ eigener Hand.
Niemand mochte sich damit befassen. Auch später nicht, als die Bibliothek in den Besitz des Magdalene College der Universität Cambridge überging. Über 100 Jahre lagen die Manuskripte unbeachtet im Regal. Und wenn sich nicht 1818 der Theologiestudent John Smith für ein Taschengeld an die Entschlüsselung des Textes gemacht hätte, wären Namen und Biographie von Samuel Pepys wohl völlig unbekannt geblieben.
So aber wurde er unversehens zum vielleicht wichtigsten Zeitzeugen für das Leben im London des 17. Jahrhunderts, und sein "secret diary", sein geheimes Tagebuch, gilt heute als eines der wertvollsten kulturhistorischen Werke Englands.
Täglich führte Samuel Pepys sein Journal, über acht Jahre lang, es war eine aufregende Zeit, im öffentlichen wie im privaten. Er erlebte die Krönung von Charles II., verkehrte später selbst am Hofe. Pepys notierte alles, große und die kleine Erlebnisse, Gespräche, Intrigen, Skandale und Ränke. Spektakulär ist seine Beschreibung der furchtbaren Pestepidemie des Jahres 1665, der ein Fünftel der Einwohner Londons zum Opfer fiel: 100.000 Menschen. Pepys und seine Familie überlebten die Seuche wie auch den großen Brand von 1666, der halb London einäscherte.
Es sind jedoch nicht nur diese für die Zeitgeschichte unschätzbaren Beobachtungen, die Samuel Pepys‘ Diarium zu einem solch außerordentlichen authentischen Dokument machen. Seine immense Popularität verdankt das Buch auch einer unbekümmerten privaten Offenheit, mit der Pepys Moral und Sitten der Epoche schildert. Er war ein hemmungsloser Schürzenjäger, der keine Gelegenheit zu einem erotischen Abenteuer ausließ.
Eifersüchtig bewachte er zwar seine eigene Gattin, ging jedoch jedem Dienstmädchen an die Wäsche. Beständig und erfolgreich auf der Pirsch, beschrieb er seine Eroberungen so ausführlich, dass das Tagebuch im puritanischen England des 19. Jahrhunderts als pornographisches Machwerk verfemt war und von so manchem Gentleman nur heimlich gelesen wurde. Aus Angst vor Entdeckung, die ihn wohl Kopf und Karriere gekostet hätte, verschlüsselte Pepys den Text mit der damals gerade in Mode gekommenen Stenographie.
Der bekannte deutsche Romancier Helmut Krausser hat nun aus den 4000 Seiten des "Geheimen Tagebuchs" einen "erotischen Pepys" destilliert: das alte England aus der Schlüsselloch-Perspektive.
Krausser hat klug die schönsten Stellen ausgewählt, die zahlreichen Redundanzen des Originals eliminiert. So entsteht eine rasante und saftige, zugleich burlesk-drollige, erotische Komödie eines Lebens und einer Epoche. Hervorragend übersetzt und kommentiert vom anerkannten Pepys-Experten Gerd Deggerich, bildet diese Auswahl den perfekten Appetizer und Einstieg in die Gesamtausgabe.
Rezensiert von Joachim Scholl
Samuel Pepys: Der erotische Pepys
Ausgewählt von Helmut Krausser; übersetzt und kommentiert von Georg Deggerich
Verlag Eichborn, Berlin 2007
238 Seiten. 19,90 Euro
Niemand mochte sich damit befassen. Auch später nicht, als die Bibliothek in den Besitz des Magdalene College der Universität Cambridge überging. Über 100 Jahre lagen die Manuskripte unbeachtet im Regal. Und wenn sich nicht 1818 der Theologiestudent John Smith für ein Taschengeld an die Entschlüsselung des Textes gemacht hätte, wären Namen und Biographie von Samuel Pepys wohl völlig unbekannt geblieben.
So aber wurde er unversehens zum vielleicht wichtigsten Zeitzeugen für das Leben im London des 17. Jahrhunderts, und sein "secret diary", sein geheimes Tagebuch, gilt heute als eines der wertvollsten kulturhistorischen Werke Englands.
Täglich führte Samuel Pepys sein Journal, über acht Jahre lang, es war eine aufregende Zeit, im öffentlichen wie im privaten. Er erlebte die Krönung von Charles II., verkehrte später selbst am Hofe. Pepys notierte alles, große und die kleine Erlebnisse, Gespräche, Intrigen, Skandale und Ränke. Spektakulär ist seine Beschreibung der furchtbaren Pestepidemie des Jahres 1665, der ein Fünftel der Einwohner Londons zum Opfer fiel: 100.000 Menschen. Pepys und seine Familie überlebten die Seuche wie auch den großen Brand von 1666, der halb London einäscherte.
Es sind jedoch nicht nur diese für die Zeitgeschichte unschätzbaren Beobachtungen, die Samuel Pepys‘ Diarium zu einem solch außerordentlichen authentischen Dokument machen. Seine immense Popularität verdankt das Buch auch einer unbekümmerten privaten Offenheit, mit der Pepys Moral und Sitten der Epoche schildert. Er war ein hemmungsloser Schürzenjäger, der keine Gelegenheit zu einem erotischen Abenteuer ausließ.
Eifersüchtig bewachte er zwar seine eigene Gattin, ging jedoch jedem Dienstmädchen an die Wäsche. Beständig und erfolgreich auf der Pirsch, beschrieb er seine Eroberungen so ausführlich, dass das Tagebuch im puritanischen England des 19. Jahrhunderts als pornographisches Machwerk verfemt war und von so manchem Gentleman nur heimlich gelesen wurde. Aus Angst vor Entdeckung, die ihn wohl Kopf und Karriere gekostet hätte, verschlüsselte Pepys den Text mit der damals gerade in Mode gekommenen Stenographie.
Der bekannte deutsche Romancier Helmut Krausser hat nun aus den 4000 Seiten des "Geheimen Tagebuchs" einen "erotischen Pepys" destilliert: das alte England aus der Schlüsselloch-Perspektive.
Krausser hat klug die schönsten Stellen ausgewählt, die zahlreichen Redundanzen des Originals eliminiert. So entsteht eine rasante und saftige, zugleich burlesk-drollige, erotische Komödie eines Lebens und einer Epoche. Hervorragend übersetzt und kommentiert vom anerkannten Pepys-Experten Gerd Deggerich, bildet diese Auswahl den perfekten Appetizer und Einstieg in die Gesamtausgabe.
Rezensiert von Joachim Scholl
Samuel Pepys: Der erotische Pepys
Ausgewählt von Helmut Krausser; übersetzt und kommentiert von Georg Deggerich
Verlag Eichborn, Berlin 2007
238 Seiten. 19,90 Euro