"Das alles muss verändert werden"

Moderation: Hanns Ostermann |
Die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Herta Däubler-Gmelin (SPD), hat den US-Einsatz im Süden Afghanistans scharf kritisiert. Die Aktivitäten der US-Armee beeinträchtigten die Zivilbevölkerung "in einem Ausmaß, das wir nicht akzeptieren können", sagte Däubler-Gmelin im Deutschlandradio Kultur vor der morgigen Bundestagsentscheidung über die Verlängerung des deutschen Afghanistan-Mandats.
Hanns Ostermann: Morgen ist es soweit: Nach monatelangen Diskussionen entscheiden die Abgeordneten des Bundestages über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan. Während sich in Umfragen eine Mehrheit der Deutschen für den schnellen Rückzug ausspricht, wird das Votum im Parlament genau andersherum ausfallen. Das Mandat dürfte verlängert werden. Nur Die Linke ist geschlossen dagegen.

Am Telefon von Deutschlandradio Kultur begrüße ich um 6:51 Uhr Herta Däubler-Gmelin von der SPD, sie ist die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Ich grüße Sie.

Herta Däubler-Gmelin: Guten Morgen.

Ostermann: Frau Däubler-Gmelin, warum sind Sie für eine Verlängerung des Mandats?

Däubler-Gmelin: Es ist eine schwere Entscheidung, Herr Ostermann, ganz ohne Zweifel. Aber ich denke, dass der Schaden, wenn wir jetzt zurückgingen gerade auch für die zivile Seite der Hilfe in Afghanistan noch größer wäre.

Ostermann: Nun bleibt die Lage am Hindukusch schwierig, das bestreitet ja niemand. Die Zahl der Selbstmordanschläge steigt, der Drogenanbau nimmt von Jahr zu Jahr zu. Wo stellen Sie trotzdem Fortschritte fest?

Däubler-Gmelin: Beim Bau der Schulen, der Hospitäler, der Tatsache, dass junge Mädchen beispielsweise eine Ausbildung bekommen können, die Möglichkeit, dass Frauen zum Beispiel wieder Berufstätig sein können. Alles das muss man natürlich auch sehen.

Aber ich würde jetzt sehr gerne Ihnen in einem recht geben: Die Deutschen sind stark in der zivilen Seite, wir können besonders vieles auch international dazu beitragen, dass zum Beispiel Institutionen, Schulen, Krankenhäuser, Polizei, Justiz aufgebaut werden, und wir haben keinen großen Ehrgeiz in der militärischen Seite. Das ist alles völlig richtig. Und wir sind deswegen bei der Verlängerung des Einsatzes gerade auch in Afghanistan sehr stark darauf aus, die zivile Seite zu stärken.

Ostermann: Aber stimmt das Verhältnis, die Balance zwischen militärischem und humanitärem Engagement? Dies bezweifelt ja zum Beispiel Die Linke.

Däubler-Gmelin: Ja, und es ist auch gut, dass man darüber in der Öffentlichkeit sehr sorgfältig redet, weil wir ja doch ein etwas merkwürdiges Phänomen ständig haben. Es reden alle, übrigens einschließlich der Medien, über Militäreinsätze, während die zivile Hilfe einfach nicht spektakulär genug ist, obwohl sie wirksamer ist als alles andere, um darüber kontinuierlich zu berichten.

Ich meine, da gibt es viel, was uns richtig stört. Sie haben erwähnt die Frage der Drogen. Hier müssen Änderungen her. Und Sie haben noch nicht erwähnt, aber das kommt sicherlich auch, dass der Einsatz insbesondere der US-Armee im Süden sehr häufig auch die Zivilbevölkerung in einem Ausmaß beeinträchtigt, dass wir nicht akzeptieren können. Das alles muss verändert werden, und wir legen großen Wert darauf, dass die Deutschen das auch sagen.

Ostermann: Das tun Sie ja wahrscheinlich, zumindest hinter verschlossenen Türen, das ist ja völlig klar. Aber was kann getan werden, damit im Süden beispielsweise Unschuldige nicht Opfer von Bombenanschlägen werden?

Däubler-Gmelin: Ich denke, dass das hinter den Türen alleine zu sagen nicht ausreicht, sondern das muss man sehr laut und deutlich sagen. Und wir legen auch Wert darauf, dass das in den Städten der Militärs gesagt wird. Und ich denke, wenn wir das in der Öffentlichkeit, also nicht nur in Gesprächen, solche wie wir sie jetzt gerade haben, sondern auch in öffentlichen Diskussionen und im Bundestag immer wieder deutlich machen, dann wird der Einfluss auch größer werden.

Ostermann: Die Welthungerhilfe kritisiert die schleichende Dominanz des Militärischen. Hilfsorganisationen, ich zitiere, arbeiteten nicht dort, wo es nötig sei, sondern sie seien dort im Einsatz, wo sicherheitspolitische Gründe den Ausschlag gäben. Kurzum, man brauche eine deutliche Zivilisierung, wie es heißt, der internationalen Unterstützung. Teilen Sie eigentlich diese Position?

Däubler-Gmelin: Ja, ich teile die. Und morgen haben wir ja nun ganz offiziell den Tag der humanitären Hilfe. Ich bin der Auffassung, dass dieses nicht nur deutlich gesagt, sondern auch gemacht werden muss. Im Prinzip gilt das allerdings für Deutschland sehr deutlich, die Welthungerhilfe sagt das hauptsächlich in Bezug auf Afghanistan. Und da hat man natürlich die andere Seite, dass sie auch zivile Hilfe durch zivile Organisationen, und das ist das, worum es geht, nicht machen können, wenn nicht ein Mindestgrad an Sicherheit vorhanden ist.

Ostermann: Das heißt also Hilfe ohne Sicherheit und ohne militärischen Einsatz, diese Hilfe ist undenkbar.

Däubler-Gmelin: Nein, sie ist in sehr vielen Bereichen sehr wohl denkbar. Und wenn wir uns die einzelnen Konflikte anschauen auf der Welt, wo ziemlich leichtfertig über Militäreinsätze geredet wird: Da wäre mit ziviler Hilfe und Aufbau von Institutionen sehr viel mehr sehr viel nachhaltiger bewirkt. Nur im Bereich Afghanistan ist es glaube ich zutreffend, dass ein Sicherheitsbestand da sein muss, damit überhaupt zivile Hilfe geleistet werden kann.

Ostermann: Um zum Ausgangspunkt zurück zu kommen, Frau Däubler-Gmelin, warum gelingt es der Politik nicht, uns Bürger von der Notwendigkeit des Einsatzes am Hindukusch zu überzeugen? Es ist doch nicht allein Schuld der Medien.

Däubler-Gmelin: Nein, nein, wir versuchen es ja auch. Aber ich glaube, es ist doch ganz gut, wenn man weiß, dass natürlich Medien das Spektakuläre lieben und darüber berichten, während die kontinuierliche Hilfe gerade auch der zivilen Organisationen beim Aufbau von Schulen, bei der Ausbildung von Polizei, bei der Errichtung von Gerichten, oder auch beim Elend der Flüchtlinge - da flaut das Interesse manchmal ein bisschen ab.

Ich bedauere das auch, aber Sie haben völlig recht, es ist auch die Aufgabe der Politik, immer wieder darauf hinzuweisen, dass hier die notwendige und wirklich wirksame Hilfe sitzt.

Ostermann: Und trotz der Misserfolge, die ja offensichtlich da sind, Sie halten den Einsatz auch nach sechs Jahren für gerechtfertigt und sehen mehr Licht als Schatten?

Däubler-Gmelin: Ja, ich glaube, er ist in dieser Situation notwendig. Wir werden das immer wieder überprüfen müssen. Und Sie haben völlig recht, dass wir die zivile Komponente und auch die Veränderung des Einsatzes hauptsächlich im Süden immer wieder auf die Tagesordnung bringen müssen.