Das 17. Poesiefestival Berlin

Worte wie Diamanten in der Dunkelheit

Lesung beim Poesiefestival Berlin 2016
Lesung beim Poesiefestival Berlin 2016 © Imago / Rolf Zöllner
Von Tobias Wenzel · 11.06.2016
Das 17. Poesiefestival Berlin hat in diesem Jahr ein sehr politischen Schwerpunkt: Es geht um den Umgang mit Krisen, Krieg und Flucht.
Souleymane Diamanka: "Gute Reise!"
Wünschte Souleymane Diamanka den Zuhörern bei der Eröffnungsveranstaltung des Poesiefestivals Berlin in der Akademie der Künste. Und dann sang und rezitierte der gebürtige Senegalese in der Tradition seiner Vorfahren.
Souleymane Diamanka performt auf Französisch:
"Es gibt nur ein einziges Volk
aus vielerlei Sprachen, Kulturen
und farbigen Häuten."
Trotz des Slogans "Kein schöner Land" hatte Festivalleiter Thomas Wohlfahrt Dichter aus 37 Ländern eingeladen.
Thomas Wohlfahrt: "Wenn man sagt 'Kein schöner Land', dann ist in Zeiten von Globalisierung natürlich die Welt gemeint. Und es gibt nur eine, und die ist in keinem guten Zustand, in einem ganz schlimmen sogar."
Krisen, Kriege, Flüchtlinge – wie gehen Dichter heute damit um? Und wie war das früher? Vergil habe zum Beispiel beschrieben, wie Aeneas bei seiner Flucht aus Troja auf dem Meer umherirrte, weil ihn die Götter mit ihren mehrdeutigen Zeichen verwirrten, erläuterte in einem der wenigen überraschenden Momente des Festivals die Latinistin Melanie Möller:
Melanie Möller: "So haben sich die Götter mit ihren leeren Versprechungen in gewisser Weise als Schlepper des hermeneutisch unterbelichteten Flüchtlingstrosses schuldig gemacht."

"Wie ein Olivenbaum am Nordpol"

Ghayath Almadhoun liest Gedicht auf Arabisch:
"Das Problem mit dem Krieg
sind nicht jene, die sterben,
sondern jene, die am Leben bleiben."
Heißt es in einem Gedicht des syrisch-palästinensischen Lyrikers Ghayath Almadhoun, der heute in Schweden lebt und sich dort, wie er sagte, "wie ein Olivenbaum am Nordpol" fühlt. Klar wurde: Durch Krieg und Flucht verursachte Traumata verlangen unterschiedlich viel Zeit, um, auch von Dichtern, versprachlicht werden zu können. Zum Beispiel vom US-Amerikaner Brian Turner, der in Bosnien und im Irak kämpfte, oder von seiner Landsfrau Carolyn Forché, die während des Bürgerkriegs in El Salvador einen Oberst traf, der ihr seine Sammlung abgeschnittener Menschenohren zeigte:
Carolyn Forché liest englisches Gedicht:
"[...] Er fegte die Ohren mit einer Armbewegung vom Tisch und hielt sein fast leeres Weinglas in die Luft. Das war etwas für die Dichterin, nicht wahr? sagte er. Ein paar von den Ohren auf dem Boden hörten den Dreck, den er sagte."
Solch große Momente im poetischen Umgang mit Krieg, Flucht und Exil waren selten.
Fiston Mwanza Mujila trägt, lachend und schreiend, Gedicht auf Französisch vor.
Der nach Graz emigrierte Autor Fiston Mwanza Mujila versuchte in einem Gedicht geradezu, die Sorge um seine von bestialischer Gewalt geprägte Heimat Kongo aus sich heraus zu lachen und zu schreien. Oft schien allerdings bei diesem Festival den dichtenden Migranten die poetische Kraft zu fehlen und den Dichtern mit poetischer Kraft eine prägende existenzielle Erfahrung. Die hat die in der Türkei aufgewachsene und zeitweise verhaftete Kurdin Bejan Matur sehr wohl gemacht:
Bejan Matur: "Als ich 38 Tage in einer stockfinsteren Zelle eingesperrt war, habe ich durch diese Dunkelheit hindurch eine Art Musik in Form von Poesie gehört. Die Worte wirkten wie Diamanten in dieser Dunkelheit. Seitdem schreibe ich Dichtung und überlebe durch Dichtung."
Ein Dichter könne zwar keinen Krieg beenden, aber an ihn mahnend erinnern, sagte sie. Der aus dem Jemen stammende Autor Jalal al-Ahmadi betonte, mit einer differenzierten poetischen Sprache könne man einen feineren Blick auf die Welt vermitteln. Was schon viel ist in Zeiten der aufkommenden Fremdenfeindlichkeit und des erstarkten Nationalismus, wollte man ergänzen.
Gerhard Falkner - liest Gedicht:
"[...] Die Glut
der Sonne verlötet meine DNA
mit den Rotlichtspuren blühenden Mooses
Die Äste ticken in den Bäumen
Zeit ist das aber nicht [...]"
Machte Gerhard Falkner wunderbar feinfühlig beim vielfachen Blick in dieselbe Landschaft Schorfheide Unterschied um Unterschied aus und zeigte, was Poesie vermag. Oder wie es Souleymane Diamanka formulierte:
Souleymane Diamanka performt auf Französisch:
"[...] Mein Schreiben macht Sinn
wenn ich damit auf der Realität
so rumhüpf wie auf einem Trampolin."
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