Darwin und die Kunst

Von Carsten Probst |
Zum 200. Geburtstag des Evolutionsforschers Charles Darwin zeigt die Frankfurter Schirn Kunsthalle rund 150 Gemälde, Zeichnungen und Lithographien. Außerdem ist seltenes Dokumentationsmaterial von Künstlern wie Alfred Kubin und Gabriel von Max zu sehen.
Was kann das Walten Gottes in der Natur eindrücklicher beweisen als das Federkleid des Argusfasans? John Gould, Naturforscher und George Douglas Campbell, seines Zeichens 8. Duke of Argyll, mühten sich nach Kräften, zu retten, was von der Schöpfung noch zu retten war: Das Muster des Argusfasans ist von wahrhaft göttlicher Perfektion, aber vollkommen sinnlos, eine Verschwendung von Pracht und Glanz. Darwin wies jedoch ein paar Jahre später nach, dass auch dieses perfekte Federkleid keineswegs perfekt war, sondern kleine Fehler in den Zeichnungsmustern enthielt.

Die paarungswilligen Weibchen des Argusfasans suchten sich stets auch nur die Männchen mit den prächtigsten Federn. Also musste der Federschmuck das Ergebnis sexueller Selektion sein. Dieses kleine Beispiel am Anfang der Ausstellung zeigt, worum es geht. Die Kunstgeschichte hatte schon die Reformation und den Bildersturm der Aufklärung erlebt. Aber Darwins Evolutionslehre bedeutete den absoluten Gipfel der Nüchternheit. Wo bleibt das Geistige in der Kunst, wenn der Mensch eigentlich ein Tier ist?

Kort: "Diese Ausstellung enthält neue Forschungen zur Kunst. Ich bin zwar nicht die einzige, die über diese Fragen nachgedacht hat; derzeit ist es aber die einzige Ausstellung, die das tut. Es ist nicht so, dass es in den letzten fünfzehn Jahren keine Forschungen zu Odilon Redon, Martin Johnson Heade, Frederic Edwin Church und so weiter gegeben hätte. Aber was es nicht gab, ist der Versuch, alles das einmal in einer Ausstellung zusammenzubringen und die verschiedenen Möglichkeiten auch zu zeigen."

So Kuratorin Pamela Kort. Das Resultat, ihre Ausstellung, ist sehr komplex und handelt viele Themen auf einmal ab. Dafür ist sie verblüffend klar gegliedert und gehängt. Es gibt viele prächtige und ungewöhnliche Bilder zu sehen. Man fühlt sich gut unterhalten, obwohl es eigentlich der Ehrgeiz dieser Ausstellung ist, die jüngere Kunstgeschichte umzuschreiben. Ihr These lautet, dass Darwin direkt oder indirekt auf die Entwicklung der Modernen Kunst eingewirkt hat. Die Moderne sei mithin nicht mehr nur nach Stilfragen zu beurteilen, sondern nach ihrer Beziehung zur Evolutionstheorie.

Kort: "”Wir reden zu Beispiel oft über die stilistischen Verbindungen zwischen Max Ernst und Arnold Böcklin. Aber das lässt außer Acht, was ihrer beider Werk wirklich verbindet, nämlich jenes viel größere Paradigma: Darwins Buch von 1859 war eine wissenschaftliche Revolution. Es veranlasste Künstler, nach neuen Formen zu suchen für das, was gesehen werden könnte. Die Evidenz des Missing Link unter den Fossilien zum Beispiel, die Darwin diskutierte, also Zeugnisse einer evolutionären Stufe, die bislang fehlen. Und der künstlerische Dialog zwischen Ernst und Böcklin ist von diesem Paradigma geformt. Das sollte man immer im Hinterkopf behalten, nicht nur die Fragen nach Symbolismus, Dadaismus, Surrealismus.""

Böcklins Ungeheuer waren demnach keine aus einer zeittypischen Naturmystik geborenen Fantasiewesen, sondern Visualisierungen eines Kontinuums der Natur, ihren ununterbrochenen Murmelns, das trotz immer neuer evolutionärer Katastrophen und zahlloser Variationsstufen der Artenentwicklung immer weitergeht. Böcklins Ungeheuer waren sozusagen das, was unter dem Eindruck von Darwins ernüchternder Weltsicht noch an Übermenschlichem übrig war.

Ähnlich die seltsamen Mischwesen eines Odilon Redon, die bislang eigentlich eher als mögliches Ergebnis inspirierender Rauchwaren galten. Max Ernst wiederum schuf Halbwesen aus Pflanze, Tier oder Mensch, um die aberwitzige Sinnfrage zu stellen, was denn überhaupt noch Fortschritt sei, wenn die Evolution nicht zielgerichtet verläuft, wie von Darwin postuliert?

Kort: "Viele Arbeiten hier zeigen hybride Figuren, Mischwesen, wie man auf Deutsch sagt. Und thematisieren sie nicht auch Metamorphosen? Metamorphosen bedeuten auch, dass sie von Tod begleitet werden. Bilder, die die Evolution thematisieren, handeln von Lebewesen, die aussterben, die irgendwo aufhören zu sein. Und wir finden das in den Gemälden wieder. Diese Mischwesen sind nicht so sehr Fantasie-Kreaturen der Künstler. Sie versuchen einer Entwicklungskette eine Form zu geben, die über eine lange Zeit andauert."

Diese Thesen sind nicht ganz neu, klingen auch interessant, aber da und dort nach wie vor auch ein wenig bemüht. Der Naturforscher Ernst Haeckel wird hier noch einmal in seinem Einfluss auf den Jugendstil vorgestellt. Aber war der Jugendstil deshalb gleich eine Darwinistische Kunstform? Ist jeder Naturbezug in der Kunst nach Darwin unausweichlich eine Folge seiner Theorie?

Immerhin aber ist dies einmal wieder eine Ausstellung, der es nicht nur um Augenschmaus geht, sondern um einen ernsthaften Forschungsbeitrag. Und Augenschmaus gibt es trotzdem, und nicht zu knapp. Denn ganz nebenbei entreißt die umtriebige Pamela Kort eine ganze Reihe großartiger Künstler dem Vergessen. Zu allererst den Tiermaler Gabriel von Max mit seinen unglaublichen Gemälden von Primaten, die an sich schon als gemaltes proto-surrealistisches Manifest taugen könnten.

Der Amerikaner Martin Johnson Heade war lange vergessen und wurde erst in letzter Zeit mit seinen außerordentlichen Pflanzen- und Tierstudien wieder entdeckt. Ebenso der Landschaftsmaler Frederic Edwin Church oder der Franzose Léon Faivre mit seinen großformatigen Urzeitszenen.

Hollein: "Es gibt, das muss man sagen, Ausstellungen dieser Art nurmehr ganz wenige.."

Sagt Schirn-Direktor Max Hollein. Darin kann man ihm diesmal nur recht geben.