Darstellung von Arbeit und Arbeitslosigkeit im Fernsehen

Von Anke Petermann · 26.04.2005
Das ZDF veranstaltet seine 38. Mainzer Tage der Fernsehkritik. "Bilder des sozialen Wandels - Das Fernsehen als Medium gesellschaftlicher Selbstverständigung" lautet das diesjährige Thema. Diskutiert wird vor allem, wie man Politik und den Wandel der sozialen Verhältnisse gelungen im Fernsehen abbilden kann.
Zwischenruf zum "Kostenfaktor Arbeit". Werner Rügemer, Publizist aus Köln:

" Manche mahnen nun zögerlich an, dass es sich beim Kostenfaktor Arbeit doch um Menschen handle. "Gewiss", sagen die Kostensenker, "aber das ist eigentlich nicht unser Problem." Der Kostenfaktor Arbeit soll nicht denken, nicht fühlen, sich kein Bild von sich selbst und von denen machen, die ihn so behandeln. Der Faktor ist ein Faktor, er hat im buchstäblichen Sinne nichts zu sagen, er muss schweigen, das tut er auch, sonst rutscht er noch weiter nach unten – das befürchtet er zurecht. Er lebt und arbeitet in einem echolosen schalltoten Raum."

Und was tun die Medien, um ihn daraus zu befreien? Inzwischen wieder genug, meint Martin Doerry, stellvertretender Chefredakteur des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". Vor einem Jahr, so gesteht er ein, hätten sich viele Medienmacher einer gewissen Hartz-IV-Euphorie hingegeben, hätten den Reformgesetzen eine große Chance eingeräumt, neue Kreativität und damit Fortschritt zu bewirken.

" Dass dieser Fortschritt aber von einigen bezahlt werden muss, ist da zunächst ein bisschen ausgeblendet worden, und ich will da kein Medium ausnehmen. Das hat sich aber nach meinem Eindruck in den letzten Monaten sehr geändert. Das heißt, man guckt da schon ein bisschen auf die Modernisierungsverlierer. Und die gibt's überall, die gibt's nicht nur unter uns Journalisten, sondern vor allem bei den Menschen in den unteren Lohngruppen, bei den Menschen, die sowieso nicht viel verdient haben und die jetzt noch weniger haben. Das ist eine Wahrnehmung, die man, glaube ich, medial machen kann. Ich habe nicht den Eindruck, dass das in den Medien nicht vorkommt, aber das ist eine Wahrnehmung, die etwas neuer ist."

Ganz anders der Eindruck von Frank Thomsen, Ressortleiter Politik und Wirtschaft beim "Stern". Lange Zeit hätten sich die Medien ausgiebig den Notleidenden gewidmet, bis es keiner mehr habe hören und sehen wollen:

" Da gibt es unter Journalisten den flapsigen Ausdruck des 'Sozial-Porno'. Wir haben immer wieder auf die geguckt, denen es schlecht geht und haben nie darauf geguckt, woran liegt es eigentlich, dass es ihnen schlecht geht, was sind die Hintergründe. Das hat dann begonnen vor fünf oder zehn Jahren - zu gucken, woran liegt es. Darüber sind uns nicht die Armen oder Arbeitslosen aus dem Blick geraten, sondern es ist endlich der Blick geweitet worden für die Ursachen und die Phänomene. Hätte das ganze Land, auch die Journalisten, früher aufgehört, nur auf die Problembeladenen zu gucken und hätte versucht, die Systeme zu verstehen, wäre vielleicht was anderes gelaufen."

Haben die Medien als Frühwarnsystem versagt? Sie sind kein Frühwarnsystem, sondern Teil der Gesellschaft, kontert Nikolaus Brender, ZDF-Chefredakteur. Roger Schawinski, Ende 2003 überraschend zum Geschäftsführer von Sat.1 berufen, meint, dem Journalismus im Programm des Privatsenders zu einem neuen Stellenwert verholfen zu haben, er will eine gesellschaftspolitische Talk-Show wagen und ist sehr stolz auf aktuelle Bezügen in der Telenovela:

" Wir versuchen, sie in die Realität von heute einzubetten. Da findet Hartz IV statt bei "Verliebt in Berlin", da hat der Vater von Lisa plötzlich die Stelle verloren und muss einen Ein-Euro-Job annehmen etc. und auf diese Art versuchen wir, in einem Genre, wo wir sehr viele Leute erreichen, im Gegensatz zu den Talk-Shows bei ARD und ZDF, wo ja die 14 -49-Jährigen relativ spärlich vorhanden sind, solche Themen anzugehen, versuchen wir hier sogar, in die Telenovela etwas Realität hereinzubringen."

... welchen Erkenntniswert das haben könnte, ging allerdings unter im lautstarken Gemurmel des Publikums der Mainzer Tage der Fernsehkritik. Doch immerhin: die Frage des Genres, das geeignet wäre, den sozialen Wandel eindrücklich zu thematisieren, war damit aufgeworfen. Die Sozialreportage habe man in den letzten Jahren überstrapaziert, meint Martin Doerry:

" Was wir brauchen, sind Geschichten, die darüber hinausgehen, im Fernsehen genauso wie im Print-Medium. Geschichten, die eine Verbindung herstellen zwischen der notwendigen politischen Aktion und den sozialen Verhältnissen. Diese Verbindung ist natürlich schwerer dazuzustellen, es entzieht sich ein bisschen dem Reporterblick und der reine politische Redakteur hat auch wieder ein bisschen Mühe mit der Basis. Also die Geschichten, die beide Ebenen ineinander schrauben, die brauchen wir, und davon haben wir, glaube ich, zu wenige."

Zwischenruf:

" So soll und wird der Faktor Arbeit immer das Maul halten, von jetzt in alle Ewigkeit, hier und weltweit, urbi et orbi. Es herrscht Lärm im Lande, bunter Lärm auf öffentlichen und privaten Plätzen. Der Reichtum beschallt die Armut. Wir leben in einer Mediengesellschaft, heißt es. So hört es sich an, wenn man nichts hört, wenn man nicht dort hinhört, wo geschwiegen wird – scheinbar. Applaus "

Service:

Die 38. Mainzer Tage der Fernsehkritik werden vom ZDF veranstaltet und finden am 25. und 26. April 2005 statt.

Link:

zdf.de: 38. Mainzer Tage der Fernsehkritik