Daniel Suarez: "Bios"

Im Körper der Verbrechers

Daniel Suarez: "Bios"
Daniel Suarez: "Bios" © Rororo, dpa
Von Kolja Mensing · 05.01.2018
Überführt durch DNA-Material - das ist heutzutage wohl die sicherste Methode in der Kriminalistik. Doch was, wenn die DNA beliebig manipulierbar ist? - Daniel Suarez' neuer Krimi ist rasantes und zugleich ziemlich düsteres Kopfkino.
Daniel Suarez hat sich darauf spezialisiert, technische und wissenschaftliche Entwicklung der Gegenwart zu Horrorszenarien hochzurechnen. In dem ambitioniert recherchierten Thrillern des ehemaligen Softwarentwickels übernehmen Algorithmen die Kontrolle über die sozialen Netzwerke ("Daemon") und Kriege werden von bewaffnete Kampfroboter geführt ("Kill Decision").
Jetzt stürzt Suarez sich auf das Feld der Genforschung. "Bios" spielt im Jahr 2045, mitten in der Epoche der "vierten industriellen Revolution", in der Produkte nicht mehr von Maschinen hergestellt werden, sondern von maßgeschneiderten Organismen, die Autokarrosserien "wachsen" lassen, nachhaltige Kleidung oder tierleidfreies Fleisch. Und auch Menschen werden inzwischen maßgeschneidert: Gen-Editing mit der CRISPR-Technologie ist zum Standard geworden und hat eine milliardenschwere Schattenwirtschaft entstehen lassen. Werdende Eltern aus der ganzen Welt reisen nach Singapur, um – und das ist in dieser Zukunft so gerade noch ungesetzlich- ihre zukünftige Kinder genetisch aufrüsten zu lassen, sie also ein bisschen intelligenter, ein bisschen gesünder, ein bisschen leistungsstärker zu machen.

Mehr als ein klassischer Science-Fiction-Thriller

In Singapur arbeitet Kenneth Durand als Fahnder für die Abteilung "Genkriminalität" von Interpol. Er spürt mit Hilfe von softwaregestützen Analysen illegale Gen-Labore auf und bekommt den Auftrag, Markus Wyckes zu jagen, den Kopf eines Kartells, das sich auf den verbotenen Handel mit genetischen Daten spezialisiert hat.
Bis dahin könnte "Bios" einfach nur ein klassischer Science-Fiction-Thriller sein, aber Daniel Suarez hat sich einen wirklich irren Dreh einfallen lassen. Eines Morgens wacht Kenneth Durand auf und hat er sich in seinen Gegenspieler verwandelt. Er sieht aus wie Markus Wyckes, er hat seine Fingerabdrücke, seine Zähne, und, ja, genau: seine DNA. Durand ist Opfer eines Gen-Edits "an einem lebenden komplexen Organismus" geworden, was selbst im Jahre 2045 eine ziemlich spektakuläre Angelegenheit ist. Er steckt also im Körper eines Verbrechers – und wird vom Jäger zum Gejagten. Daniel Suarez liefert wieder einmal rasantes und zugleich ziemlich düsteres Kopfkino: Die abenteuerliche Flucht vor den eigenen Kollegen führt den Polizisten durch halb Asien und in die dunkelsten Winkel der Biotechnologie-Landschaft, in denen in genetischen Produktionsstätten Kindersoldaten und Sklaven gezüchtet werden.

Die Zukunft der Kriminalliteratur

Gleichzeitig – und darum gehört dieses Buch unbedingt auf die Krimibestenliste – kann man "Bios" wie einen Kommentar zum Genre lesen. Wenn man sich die Geschichte der Kriminalliteratur anschaut, von den ersten Detektivgeschichten im 19. Jahrhundert an, dann steht immer die Frage nach der Identität des Täters im Mittelpunkt – und die Zuversicht, dass diese Identität sich am Ende der Ermittlungen mit den jeweils verfügbaren technischen Mitteln festgestellt werden kann. Glaubt man Daniel Suarez, dürfen die Polizisten darauf in Zukunft nicht mehr hoffen: "DNA war der Grundpfeiler der Fornsik. Ja, der Identität als solcher. Wenn man sich nicht mehr darauf verlassen konnte, dass die dann einer Person unveränderlich war, wie konnte man dann jemandem die Schuld an einer Straftat nachweisen?" Und das ist eben nicht nur ein juristisches Problem, sondern auch ein literarisches: Wie wohl die Kriminalromane im Jahre 2045 aussehen werden?

Daniel Suarez: Bios
Aus dem Amerikanischen von Cornelia Hollfelder-von der Tann
Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2017
541 Seiten, 12,99 Euro

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