Daniel Finkelstein

"Hitler, Stalin, meine Eltern und ich" - eine Überlebensgeschichte

05:58 Minuten
Buchcover - Daniel Finkelstein: "Hitler, Stalin, meine Eltern und ich"
© Hoffmann und Campe

Daniel Finkelstein

Barbara Schaden

Hitler, Stalin, meine Eltern und ichHoffmann und Campe, Hamburg 2024

512 Seiten

28,00 Euro

Von Arno Orzessek · 15.01.2024
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Daniel Finkelstein erzählt in seinem neuen Buch, wie seine Eltern den Terror der Nationalsozialisten und der Stalinisten überlebten. "Hitler, Stalin, meine Eltern und ich" erzählt von starken Menschen in den Todesmühlen ihrer Zeit.
Der letzte Satz vor der Danksagung klingt aberwitzig und ist doch auf seine Weise unangreifbar korrekt: „Im Kampf gegen Hitler und Stalin gehört der Sieg Mum und Dad.“ Wie die Eltern von Daniel Finkelstein, bevor sie sich kennenlernten, inmitten unzähliger Gefahren, umgeben von Leid, Hunger, Krankheit und Tod, deportiert, entrechtet und geknechtet den Holocaust, KZ und Gulag überlebten – davon handelt „Hitler, Stalin, meine Eltern und ich“. Aber längst nicht nur davon.
Indem Finkelstein seine Familiengeschichte ausbreitet und die Lebenswege vieler Menschen verfolgt, zeigt er, wie das braune und das rote Terrorregime die europäische Zivilisation nahezu im Gleichschritt verheert haben – und ist sich sicher: „Für jedes Verbrechen, dessen die Richter in Nürnberg die Nationalsozialisten anklagten, hätten auch die Sowjets vor Gericht gestellt werden müssen.“

Die Wehrmacht marschiert

Finkelstein erzählt von „Mum“ und „Dad“ abwechselnd – und zunächst von deren Eltern. Alfred Wiener aus Potsdam, Daniels Großvater mütterlicherseits, erkannte das mörderische Wesen der Nazis lange vor 1933. Er sammelte belastendes Material, gründete die Wiener Library, nahm sie in den 30er-Jahren mit ins holländische, später auch ins britische und amerikanische Exil und beriet im Krieg die US-Regierung.
Seine Frau Grete und die drei Töchter, darunter Daniels Mutter, ließ er in Amsterdam, glaubte sie in Sicherheit – da marschierte die Wehrmacht ein. Als Juden ins Elend gezwungen, überlebten Grete und die Töchter eine Weile unweit des Hauses, in dem Anne Frank ihr Tagebuch schrieb, wurden ins KZ Bergen-Belsen verschleppt, entgingen teils in letzter Minute den Weitertransporten „nach Osten“ (sprich: ins Gas) und gelangten auf abenteuerliche Weise über die Schweiz ihrerseits in die USA.

Gulag und Konzentrationslager

Währenddessen hauste Amalia Diamantstein mit dem kleinen Ludwik (später Daniels Vater) in einer unfertigen Hütte aus Kuhdung-Ziegeln im sibirischen Gulag, geplagt von Hitze und Kälte, Läusen und Schikanen. Sie waren aus dem multikulturellen Lwów deportiert worden, damals polnisch, wo sie im gehobenen Wohlstand...
Aber lesen Sie selbst! Finkelstein verknüpft Großes und Kleines, weil es zusammengehört. Er erläutert den Hitler-Stalin-Pakt und die Rezeptur schlichter Gulag-Mehlsuppe, die britische Anti-Flüchtlingspolitik und den Überlebenskampf bei minus 40 Grad, die Organisation der Konzentrationslager und die Kniffe beim Pässe-Fälschen.

Geist der Überwindung

Vor allem aber zeigt Finkelstein, wie seine Verwandten und andere Menschen der Erniedrigung und Verfolgung, der materiellen Not und ständigen Bedrohung ihres Lebens standzuhalten versuchten – und wie sie daraus hervorgingen, sofern sie überlebten. Das Buch ist arm an Heldengeschichten, aber überreich an Zeugnissen menschlicher Stärke, ohne Schwächen zu leugnen.
Finkelstein philosophiert nicht, er verdeutlicht jedoch die geistigen und seelischen Herausforderungen angesichts der Vernichtungsexzesse. Sein Tonfall ist gefasst, manchmal sogar heiter – und nicht von ungefähr. Seine Mutter Mirjam wollte „in erster Linie als Person und nicht als Überlebende gesehen werden. [Denn] als Opfer definiert werden heißt gefangen sein.“
Beide Elternteile, so Finkelstein, hätten weder vergessen noch verziehen, aber „sie überwanden“. Und der Geist der Überwindung – der weht auch durch das Buch.
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