Autor Damon Galgut

Südafrikanischer Chronist des Übergangs

29:51 Minuten
Damon Galgut angelehnt an ein Podest, auf dem zwei Bücher stehen.
Damon Galgut hat 2021 den Booker Prize gewonnen. © picture alliance / empics / David Parry
Von Dirk Fuhrig · 22.04.2022
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In seinem Roman "Das Versprechen" verdichtet Damon Galgut die jüngere Geschichte Südafrikas. Das mit dem Booker Prize ausgezeichnete Werk zeigt den schwierigen Übergang von der schuldbehafteten Zeit der Apartheid zu einer demokratischen Gesellschaft.
„Das ist einer meiner Lieblingsplätze in Kapstadt. Weil er auch eine symbolische Bedeutung hat: Die ersten holländischen Siedler legten diesen Garten hier an. Damit markierten sie den Ursprung von Südafrika“, sagt Damon Galgut, der für das Treffen die „Company’s Gardens“ vorgeschlagen hat: seit Mitte des 17. Jahrhunderts ein Stützpunkt der niederländisch-ostindischen Handelskompanie, heute eine grüne Oase, ein Park im englischen Stil, dessen Blickachse auf den Tafelberg ausgerichtet ist.
„Südafrika wäre ohne diesen Garten nicht das Land, das es heute ist - dieses verrottete Land, um es offen zu sagen. Die Siedler mussten Gemüse anbauen, um die Schiffe für den Weg in den fernen Osten auszurüsten. In gewisser Weise steht dieser Garten also für das gesamte Land, das von hier aus urbar gemacht wurde.“

Ein symbolischer Ort

Rund um die langgestreckte Anlage herum wurden vom 17. bis 19. Jahrhundert Parlaments- und Regierungsgebäude errichtet. Etwa einen Kilometer lang zieht sich die imperiale Meile von der St. Georges’s Cathedral bis hoch zum Iziko South African Naturkundemuseum. Hier steht, anders als vor der Universität, wo sie nach Protesten entfernt wurde, immer noch eine heroische Statue des umstrittenen Nationalhelden Cecil Rhodes, Symbol der kolonialen Eroberung des Landes.
Diese Keimzelle der Stadt steht aber auch für den demokratischen Wandel: Auf den Stufen der City Hall hatte Nelson Mandela am 11. Februar 1990 seine erste Rede nach der Freilassung von der Gefängnisinsel „Robben Island“ gehalten. Ebenfalls ein äußerst symbolischer Ort für die Geschichte des Landes.
Damon Galguts 2021 mit dem Booker Prize ausgezeichneter Roman „Das Versprechen“, im Original: „The Promise“, spielt in der Region, in der der Autor 1963 geboren wurde: rund 1500 Kilometer nördlich von Kapstadt, im bodenständigen Herzland Südafrikas. 

Damon Galgut: "Das Versprechen"
Übersetzt von Thomas Mohr
Luchterhand Verlag, München 2021
368 Seiten, 24 Euro

Das Cover des Buches "Das Versprechen" von Damon Galgut vor einem grafischen Hintergrund.
© Deutschlandradio / Penguin Random House Verlagsgruppe
In einer zentralen Szene des Romans fährt Anton Swart, Spross einer alteingesessenen Buren-Familie, von seiner Farm mit einem Freund im Auto ins nahegelegen Pretoria - dem südafrikanischen Regierungssitz, während in Kapstadt die Exekutive, also das Parlament tagt; eine Besonderheit des Landes. Es ist kurz nach dem Ende der Apartheid.
„Eine neue, demokratische Regierung in den Union Buildings! Als sie in die Stadt kommen, sieht er in der Ferne die ehrwürdigen Sandsteinfassaden, die sich im milden Schein der Wintersonne gegen das Grün des Hügels abzeichnen. Ob Mandela wohl gerade da drin an seinem Schreibtisch sitzt? Aus der Zelle auf den Thron, ich hätte nie gedacht, dass ich das noch erleben darf. Komisch, wie schnell einem das alles ganz normal vorkommt.“ (aus: „Das Versprechen“ von Damon Galgut)

Ein gebrochenes Versprechen

Der Roman beleuchtet schlaglichtartig mehrere Momente vor und nach der politischen Wende 1990. Im Vordergrund stehen die Konflikte der Geschwister Anton, Astrid und Amor Swart, die nicht wissen, wie sie mit ihrem Erbe,- der Farm, aber auch dem historischen Umbruch -, umgehen sollen. Und was aus dem „Versprechen“ werden soll:
„Ich will keinen Streit, ich will es nur nicht unnötig verkomplizieren. Du solltest tun, was sie wollte. Und zwar alles. Dazu gehört auch, Salome das Haus zu schenken, falls du das versprochen hast.“ (aus: „Das Versprechen“ von Damon Galgut)  
Die Mutter der drei Geschwister hatte ihrem Mann am Sterbebett die Zusage abgerungen, der schwarzen Hausangestellten Salome das kleine Nebengebäude der Farm, in dem sie mit ihrem Sohn wohnt, zu übereignen. Amor hatte als Kind das Gespräch der Eltern mit angehört und erinnert ihren Vater an dessen Versprechen. Doch der denkt gar nicht daran, es einzulösen.

Vertraut mit den Figuren, die er zeichnet

Alison Lowry freut sich über den Erfolg des Romans. Sie ist mitverantwortlich dafür, dass der Schriftsteller im November 2021 für seinem neunten Roman den mit Abstand wichtigsten Literaturpreis der englischsprachigen Welt erhalten hat. Als Lektorin bei verschiedenen Verlagen hat sie Galguts Werk über Jahrzehnte hinweg betreut.
Sie erinnert sich daran, wie er ihr Ende der 1980er-Jahre sein erstes Manuskript vorbeibrachte - mit 16! Ihr sei sofort klar gewesen, dass er Talent habe, wie sie erzählt: „So geht es eben manchmal. Ich arbeitete damals für einen kleinen Verlag. Ich ging zum Verleger Jonathan Ball und sagte: Das Buch will ich veröffentlichen. „Aber er ist erst 16!“, meinte Jonathan. Und ich sagte: Ich weiß, aber da steckt etwas drin … Lass es mich machen.“
Mit „Der gute Doktor“ hatte der Autor bereits 2005 und mit „In fremden Räumen“ 2010 auf der Shortlist zum Booker Prize gestanden. Alison Lowry findet es bemerkenswert, dass ihr Schützling im aktuellen Roman erstmals tiefer in die Atmosphäre seiner Heimatregion eingetaucht ist: „Pretoria, wo Damon Galgut als weißer Südafrikaner aufgewachsen ist, ist eine sehr konservative Gegend, geprägt von den Buren, den Afrikaanern. Zum ersten Mal hat er eines seiner Bücher dort verortet. Mit diesen Landschaften ist er vertraut, mit den Typen, den Menschen, die er zeichnet. Jeder Südafrikaner erkennt diese Figuren sofort wieder.“
Die exakte Art, wie die Charaktere gezeichnet sind, habe wohl auch die Jury des Booker Preises überzeugt, vermutet Alison Lowry.

„Da steht kein Wort unbedacht“

Das sagt Thomas Mohr, der alle Romane, die von Galgut in Deutschland erschienen sind, übersetzt hat. Für die Übersetzung des knapp 400 Seiten dicken Romans hatte er nach dem Booker Prize nur wenige Wochen Zeit. Er weiß sehr gut, wie präzise der Schriftsteller seine Wörter setzt und hat ein feines Gespür für die unterschiedlichen Tonlagen, zwischen denen Damon Galgut so leichthändig wechselt.
Die vielen umgangssprachlichen Ausdrücke, das mitunter assoziative Hin- und Herspringen, kurze, abgehackte, schnell hingeworfene Bemerkungen im Wechsel mit langen Satzkaskaden und immer wieder unvermittelt eine direkte Ansprache der Leser*innen - Galguts Text ist das Gegenteil eines gemächlich dahingleitenden Erzählflusses. Eine Herausforderung für jeden Übersetzer.

Wenig Hoffnung auf Veränderung

Beim Gang durch die Company’s Gardens auf die historischen Parlamentsgebäude zu kommt das Gespräch unweigerlich auf die politische Lage des Landes. Galgut sagt: „Heute sind die Apartheid-Gesetze natürlich abgeschafft. Als ich aufwuchs, war der Alltag von widerlichen rassistischen Vorfällen geprägt, die alle von der Gesetzgebung gedeckt waren.“
Der Autor hat trotzdem wenig Hoffnung, dass sich die soziale Ungleichheit bessern könnte. Das stetige Auseinanderdriften von Arm und Reich sieht er mit Sorge: „Die eigentliche Absicht der Apartheid war es ja, Bevölkerungsgruppen ökonomisch zu trennen und die privilegierte Position den Weißen vorzubehalten. Die Schwarzen wurden in Abhängigkeit gehalten und sollten sich um die Bedürfnisse der Weißen kümmern. Daran hat sich nicht sehr viel geändert.“
Auch der junge Musiker und Schriftsteller David Cornwell ist nicht allzu optimistisch, was die Zukunft seines Landes angeht, das ökonomisch durch die Covidkrise stark gelitten hat: „Die ANC-Regierung hat die Erwartungen nicht erfüllt. Sie waren ja die Vorkämpfer des Widerstands, aber sie haben, um Damons Buchtitel aufzugreifen, ihr Versprechen nicht gehalten. Der Titel ist wirklich brillant, denn er verweist direkt auf die seltsame Situation, in der wir uns gegenwärtig befinden.“

Der Spirit des Landes

Er habe gar nicht Südafrikas politische Entwicklung kommentieren wollen, sagt der Booker Prize -Träger, sondern erfahrbar machen, welcher Geist, welcher „Spirit“ im Land herrsche: „Seit dem Ende der Apartheid gab es verschiedene Epochen, die jeweils von einem Präsidenten geprägt waren. Das gegenwärtige Elend des Landes ist ohne Jacob Zuma nicht vorstellbar. Andererseits wären der Optimismus und die Euphorie in den 1990ern ohne Nelson Mandela nicht möglich gewesen. Sie waren vielleicht nicht für alles direkt verantwortlich, aber sie symbolisieren eine bestimmte Entwicklung.“
Auch wenn im Roman die gesellschaftliche Realität in Vergangenheit und Gegenwart ständig präsent ist: Rassentrennung, das Herrenmenschengebaren weißer Grundbesitzer, die Korruption im Regierungsapparat oder die enorme Gewaltkriminalität - die Tagesaktualität sei in diesem dichten literarischen Text nicht das Eigentliche, sagt Galgut: „Ich wollte zeigen, wie sich die Zeit auf die Leben und die Körper und die Gesichter dieser speziellen Gruppe von Menschen auswirkt. Erst danach kam mir die Idee, im Hintergrund auch die gesellschaftliche Veränderung aufscheinen zu lassen. Ich war amüsiert, wie viele Leute das Buch als Roman über Südafrika aufgefasst haben. Mir geht es mehr um die Zeit im Allgemeinen - und wie sie die Menschen verändert.“

Ringen mit der Identität

Auch der Journalist Mark Gevisser, seit vielen Jahren mit Damon Galgut befreundet, betont den Stellenwert des Zerfalls einer Epoche, einer Lebenswelt: „Der Aufstieg und Niedergang des Landes wird sowohl durch die Augen der Familie als auch durch die verschiedenen Erzählstimmen geschildert.“

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Gevisser ist, wie Damon Galgut, Mitte der 1960er-Jahre geboren. Für ihn geht es in „Das Versprechen“ vor allem um die ambivalente Wahrnehmung der eigenen Persönlichkeit: „Der Erzähler ringt mit seiner Identität als weißer Südafrikaner. Er stellt verschiedene Charaktere auf die Bühne und lässt sie untereinander einen Konflikt austragen, vor allem Anton und Amor. In einem Interview mit mir hat Damon einmal gesagt, dass das für ihn die beiden Seiten seines eigenen Bewusstseins als weißer Südafrikaner sind.“
Anton, der Beharrende; seine Schwester Amor, die an der Schuld der Apartheid Leidende - beide nicht in der Lage, die Vergangenheit mit der Gegenwart in Einklang zu bringen.

Ohne eigene Stimme

Mark Gevisser weist auf einen weiteren Aspekt in dem Roman hin: auf die  Tatsache, dass die schwarze Hausangestellte Salome, der das Haus versprochen wurde, als Figur keine eigene Stimme habe: „Im Zusammenhang mit der Debatte über kulturelle Aneignung, darüber, wer das Recht hat, was über wen zu sagen, finde ich es sehr interessant, dass Damon sich hier entschieden hat, sich gerade nicht in diese marginalisierte schwarze Frau hineinzuversetzen. Es ist, als ob er sagen würde: Ich habe nicht das Recht dazu. Das ist ein unglaublich starkes Statement. Und ein Kommentar nicht nur zur südafrikanischen Politik, sondern zur weltweiten gegenwärtigen Diskussion über kulturelle Aneignung und Repräsentation“.
Damon Galgut beschreibt die Tatsache, dass wir von Salomes Innenleben, anders als von dem der drei Geschwister, so gut wie nichts erfahren, als literarischen Kunstgriff: „Es war eine ganz bewusste Entscheidung. Es ging mir um Stille, um eine Abwesenheit im Zentrum des Buches. Ich wollte, dass die Figur als Problem erscheint. Für mich ist es eine Entscheidung auf der Ebene der Literatur. Ich mag Bücher, die einen verwirrt zurücklassen. Im Sinne von: Etwas, das eigentlich gelöst hätte werden sollen, bleibt ungelöst.“
(DW)

Mitwirkende: Nico Holonic und Toni Jessen
Regie: Giuseppe Maio
Ton: Christiane Neumann
Redaktion: Dorothea Westphal

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