Daddeln bis zum Tod
In Südkorea haben sich PC-Spiele zum Massenphänomen - und zu einer zunehmenden Gefahr entwickelt: Von "Todesursache Computerspiel" ist die Rede, wenn ein Spieler vor dem Bildschirm verdurstet oder vor Erschöpfung stirbt.
Ulrike Timm: Wer heute spielsüchtig ist, der spielt nicht mehr Karten oder Roulette, der sitzt vor dem Computer und daddelt stundenlang, tagelang, wochenlang, nichts anderes zählt, weshalb Computerspielsüchtige schon mal abgemagert zusammenbrechen, bevor sie – im besten Fall – nach langwieriger Therapie wieder auf die Beine kommen. Das ist mittlerweile in vielen Ländern der Welt so, Brennpunkt für das Problem aber ist Südkorea. Nirgendwo sonst gehören Computerspiele so sehr zum alltäglichen Leben dazu, nirgendwo sonst führen sie so oft in die grenzenlose Sucht. Miriam Rossius ist häufig in Südkorea, wo es mittlerweile die Todesursache Computerspiel gibt. Guten Tag, Frau Rossius!
Miriam Rossius: Schönen guten Tag!
Timm: Wie kann denn ein denkender Mensch vor dem Bildschirm verdursten? Ich kann es mir einfach nicht vorstellen.
Rossius: Na ja, das ist ja gerade der Punkt, dass das Denken ausgeschaltet wird, weil die Süchtigen komplett in ihre virtuelle Welt abtauchen. Schlagzeilen gemacht hat ein 38-jähriger Mann, der 20 Tage vor dem PC gehockt hat. Er hat sich in dieser Zeit nur von Nudelsuppe aus der Tüte ernährt, also, er ist nicht verdurstet, sondern er ist letztlich an Erschöpfung gestorben, an Mangel an Sauerstoff, Bewegung und natürlich Mangel an Schlaf. Es gab den Fall eines anderen jungen Mannes, der hat 20, nein, 50 Stunden ununterbrochen gespielt, soll in dieser Zeit wohl tatsächlich weder gegessen noch getrunken haben und ist dann irgendwann komplett dehydriert vom Stuhl gekippt. Es gab aber auch einzelne Fälle, da haben Jugendliche Selbstmord begangen, weil sie ausgeschlossen wurden von Onlinespielen. Die Sucht in Korea ist gewaltig. Studien gehen davon aus, aktuelle, dass etwa 14 Prozent der Jugendlichen abhängig sind und doppelt so viele werden als gefährdet eingestuft.
Timm: Und niemand merkt das, wenn es gefährlich wird?
Rossius: Na ja, das kann man so nicht sagen. Computerspiele stehen nicht von vornherein unter Verdacht, also wenn jemand den ganzen Tag im PC Bang, so heißen diese Orte, an denen sich diese Vorfälle auch zugetragen haben, ...
Timm: Ist das eine Kneipe?
Rossius: Das ist keine Kneipe, man kann es sehr begrenzt vergleichen mit Internetcafés, wie wir sie hier kennen, aber wirklich nur sehr begrenzt. Es sind Örtlichkeiten, an denen man gegen Gebühr Highspeed-Internet nutzen kann. Darin erschöpfen sich aber auch schon die Gemeinsamkeiten mit dem Internetcafé. Sie werden zum Spielen genutzt. E-Mails kann man auch checken, aber in erster Linie sind sie zum Spielen da. PC bedeutet Personal Computer, Bang bedeutet Raum oder Zimmer, und die gibt es im Grunde genommen an jeder Ecke, 20.000, mehr als 20.000 im ganzen Land, die haben sich seit den 1990er-Jahren etabliert. Und Sie merken den Unterschied zum Internetcafé, sobald Sie dort durch die Tür gehen. Das ist meistens recht schummriges Licht, mitunter auch verraucht, da kommt so ein gedämpftes Getöse von den Monitoren, es flimmert ununterbrochen, und dort treffen sich Jugendliche zum Spielen mit anderen. Es sind also wirklich Treffpunkte. Sie treffen dort aber auch ältere Herren oder Hausfrauen.
Timm: Die Beispiele, die Sie uns erzählt haben, sind sicher auch für Südkorea Extrembeispiele.
Rossius: In jeden Fall, ja.
Timm: Aber wenn man dort so öffentlich spielt, und gar nicht jeder so alleine zu Hause vor der Kiste, sondern wenn man sehr, sehr öffentlich spielt, wenn man sich dort trifft und das an jeder Ecke, wie Sie sagten, zu haben ist, umso mehr erstaunt es mich eigentlich, dass das nicht so als Gefahr frühzeitig erkannt wird.
Rossius: PC-Spiele als Massenphänomen – das ist absolut typisch für Korea und als Alltagsphänomen, auch als Teil der Alltagskultur wirklich. Und damit, denke ich, hat es zu tun, dass diese Suchtgefahr am Anfang unterschätzt wird. Eltern deuten vielleicht auch häufig erste Symptome nicht richtig, weil sie es nicht wahrhaben wollen, das ist ja bei anderen Drogen auch so. Man kennt das ja, die ersten Symptome sind ein Leistungsabfall in der Schule vielleicht, dann bekommen die Kinder nur noch mehr Druck, statt man sich fragt, woher kommt das. Dann verbietet man ihnen vielleicht Computerspiele. Damit ist aber das Problem nicht eingedämmt, dann gehen sie eben heimlich in PC Bangs. Es hat auch was mit der Auffassung zu tun, dass Eltern denken, ach, sich mit Computern zu befassen, ist ja erst mal was Positives, da kann man schon im Kindergarten mit anfangen, kann man später gut gebrauchen, Computerkenntnisse. Und es ist, denke ich, auch ... Es hat eine Menge damit zu tun, dass diese Gesellschaft grundsätzlich einen sehr großen Fortschrittsglauben besitzt, ein Vertrauen und eine Offenheit für neue Technik und Technologie.
Timm: Das ist ja bekannt, dass alles, was technisch ist, Computerspiele, in Asien einen richtigen Run auslösen, noch bevor das selbst noch in die USA kommt, geschweige denn nach Deutschland. Nun gab es gerade gestern einen ganz abschreckenden Artikel im "Spiegel", in China ist man so weit, dass man Kindercamps einrichtet mit ganz rabiaten Erziehungsmethoden, Dauerlauf, Elektroschocks und Prügel, um solcher Süchte Herr zu werden. Was macht man in Südkorea?
Rossius: Es gibt dort auch solche Camps, das erste wurde 2007 eingerichtet, oder wenn ich sage, solche Camps, dann meine ich nicht, dass diese Camps so aussehen, ablaufen wie das, was im "Spiegel" beschrieben wird, die Camps in China. Das ist eine Mischung aus körperlichem Drill, psychologischer Betreuung und künstlerischen Workshops. 2007 wurde das erste eingerichtet. Es gibt aber daneben mehr als 100 Kliniken, die spezielle Programme haben gegen Computersucht. Die Regierung schickt Psychologen in diese PC Bangs, in Schulen, in Kindergärten, um aufzuklären, vor der Sucht zu warnen. Es gibt jede Menge Selbsthilfegruppen für Eltern, dort lernen Mütter und Väter, wie man beispielsweise eine Zeitsperre in einen Computer einbaut. Also, die Regierung hat in den vergangenen Jahren eine ganze Menge Geld investiert, um der Sucht vorzubeugen. Die Ironie daran ist, dass diese Programme häufig getragen und finanziert werden von derselben Behörde, die einst gegründet wurde, um das Internet in Südkorea zu fördern.
Timm: Frau Rossius, lassen Sie uns mal darüber sprechen, ich sagte vorhin, es ist bekannt: In Asien, da zählen solche Computerspiele ganz besonders viel, sind sie ganz besonders zu Hause. Warum eigentlich?
Rossius: Zum einen hat die Regierung schon sehr früh – und auch die Wirtschaft – ganz klar auf das Internet als Zukunftsbranche gesetzt und sich gesagt: Wir wollen da ganz vorne mit dabei sein. Die Regierung hat 1999 es zum nationalen Ziel erklärt, dass alle koreanischen Haushalte einen Highspeed-Internetzugang haben sollen. Das ist heute zu etwa 90 Prozent erfüllt, also die flächendeckende, kostengünstige Versorgung mit Breitband. Es wurde das weltweit erste Onlinerollenspiel in Südkorea erfunden Mitte der 90er. Die World Cyber Games kommen von dort, das ist so etwas wie die WM für elektronische ... electronic sports, ja.
Timm: Aber für die Olympischen Spiele dort, für World Cyber Sport – kommt man noch real da hin oder spielt man auch nur daddelig vernetzt über die ganze Welt?
Rossius: Das findet vor Tausenden Zuschauern in großen Arenen statt, in der Hauptstadt Seoul aber auch an anderen Orten. Lassen Sie mich noch eine wirtschaftliche Sache nennen, also, Spielkonsolen, wie sie in Japan beliebt sind, Gameboy beispielsweise, Playstation, durften lange Zeit nicht importiert werden, um die heimische Industrie zu schützen zum Beispiel, die sich auch dann auf Onlinespiele spezialisiert hat.
Timm: Also staatlich sehr gefördert, das Ganze, vielleicht auch verknüpft mit der Mentalität der Menschen dort. So in einem südkoreanischen Haushalt – steht dort die neueste Technik ganz automatisch rum, sobald man sie sich irgendwie leisten kann?
Rossius: Ja, sobald man sie sich leisten kann, das ist natürlich schon ein Punkt. Was Ihnen auffallen wird, wenn Sie so einen koreanischen Haushalt betreten, also, unentbehrlich in jeder Küche ist ja ein Reiskocher: Der spielt unterschiedliche Melodien ab, je nachdem, wie weit der Reis ist. Kurz bevor der Reis fertig ist, erklingt zum Beispiel eine Musik und dann heißt das: Achtung, zurücktreten, ich lasse jetzt heißen Dampf aus. Dann wissen sie, gleich ist der Reis fertig. Sie schalten den Wasserfilter ein, dann begrüßt Sie eine Stimme, einen schönen guten Tag, ich bereite jetzt frisches Wasser für Sie zu, PH-Wert 9,5. An der Kühlschranktür wird möglicherweise eine USB-Schnittstelle eingebaut sein und ein Display. Da können Sie dann Ihre ganz persönlichen Fotos darstellen, zeigen, auswechseln. Die Kinder werden fleißig Sprachen und Vokabeln lernen, aber sie suchen möglicherweise ein Wörterbuch vergebens im Bücherregal, weil die lieber elektronische Übersetzer benutzen, so im Taschenrechnerformat. Also, das sind wahrscheinlich die Vorboten nur von einer Entwicklung, die demnach konsequent ist. Es hat ein Testlauf in mehreren koreanischen Städten begonnen, 1000 Haushalte bekommen Roboter, die sollen als Haushaltshilfen fungieren, Kindern aber auch Bücher vorlesen, und Ziel der Regierung ist es: Bis 2020 soll so ein Roboter in jeden Haushalt, die sollen in Serie gehen. Da gibt es natürlich Forscher, die bezweifeln, dass das dann schon reif sein wird für die kommerzielle Vermarktung, aber man hat sich in Südkorea ganz klar vorgenommen: Das ist eine Branche, die boomt, erst kürzlich wurden Pläne vorgestellt für zwei Themenparks zum Thema Robotik. Man will mehr als eine Milliarde Euro bis 2013 in diesem Bereich investieren.
Timm: Also eine Kultur, die auch auf der Faszination von Technik beruht, einen singenden Reiskocher als deutsche Erfindung kann man sich wirklich nicht vorstellen. Miriam Rossius, Südkorea ist gewissermaßen Ihr zweites Zuhause, Sie sind häufig da. Haben Sie denn den Sog, den solche Technikfaszination ausmacht ... Kann man diese Faszination eher verstehen, lässt man sich vielleicht sogar ein bisschen reinziehen, wenn man da ist?
Rossius: Das Computerspiel, das mich abhängig macht, muss, glaube ich, noch erfunden werden.
Timm: Das ist beruhigend.
Rossius: Ja. Aber ich habe ja zum Beispiel diese Turniere erlebt von Online-Computerspielen. Es gibt dort eine eigene Liga. Man muss sich das wirklich vorstellen wie im Sport. Das ist ein großer Saal, da sind hysterische, kreischende Teenager, die besten Spieler verdienen sechsstellig, es sind große Stars, kommen in einem Outfit auf die Bühne, das ist so eine Mischung aus Raumschiff-Enterprise-Uniform und Formel-1-Anzug, und dann wird das, was sie dort spielen, auf den Monitoren übertragen, auf Großbildleinwand. Und die sind alle völlig gebannt, die Jungs und die Mädels, die Jungs fachsimpeln über die Strategien der Spieler, und wenn Sie das erleben, so als Massenphänomen – dass diese Leute Fanpost bekommen, dass die Fans auch wirklich sich damit auseinandersetzen, mit den Strategien und den Lieblingsspielen, die ja dann auch wechseln –, dann, muss ich zugeben, hätte ich wahrscheinlich jede Woche auf so ein Turnier gehen können, einfach weil das unglaublich faszinierend ist, allein das zu beobachten. Und wenn man anfällig ist, steigt man vielleicht auch komplett mit drauf ein.
Timm: Wer das Computerzeitalter von morgen heute schon mal angucken will, der sollte nach Südkorea fahren. Faszinierend ist es bestimmt, ob es einem gefällt, ist eine ganz andere Frage. Miriam Rossius, danke für Ihren Besuch im Studio!
Rossius: Ja gern! Tschüss!
Miriam Rossius: Schönen guten Tag!
Timm: Wie kann denn ein denkender Mensch vor dem Bildschirm verdursten? Ich kann es mir einfach nicht vorstellen.
Rossius: Na ja, das ist ja gerade der Punkt, dass das Denken ausgeschaltet wird, weil die Süchtigen komplett in ihre virtuelle Welt abtauchen. Schlagzeilen gemacht hat ein 38-jähriger Mann, der 20 Tage vor dem PC gehockt hat. Er hat sich in dieser Zeit nur von Nudelsuppe aus der Tüte ernährt, also, er ist nicht verdurstet, sondern er ist letztlich an Erschöpfung gestorben, an Mangel an Sauerstoff, Bewegung und natürlich Mangel an Schlaf. Es gab den Fall eines anderen jungen Mannes, der hat 20, nein, 50 Stunden ununterbrochen gespielt, soll in dieser Zeit wohl tatsächlich weder gegessen noch getrunken haben und ist dann irgendwann komplett dehydriert vom Stuhl gekippt. Es gab aber auch einzelne Fälle, da haben Jugendliche Selbstmord begangen, weil sie ausgeschlossen wurden von Onlinespielen. Die Sucht in Korea ist gewaltig. Studien gehen davon aus, aktuelle, dass etwa 14 Prozent der Jugendlichen abhängig sind und doppelt so viele werden als gefährdet eingestuft.
Timm: Und niemand merkt das, wenn es gefährlich wird?
Rossius: Na ja, das kann man so nicht sagen. Computerspiele stehen nicht von vornherein unter Verdacht, also wenn jemand den ganzen Tag im PC Bang, so heißen diese Orte, an denen sich diese Vorfälle auch zugetragen haben, ...
Timm: Ist das eine Kneipe?
Rossius: Das ist keine Kneipe, man kann es sehr begrenzt vergleichen mit Internetcafés, wie wir sie hier kennen, aber wirklich nur sehr begrenzt. Es sind Örtlichkeiten, an denen man gegen Gebühr Highspeed-Internet nutzen kann. Darin erschöpfen sich aber auch schon die Gemeinsamkeiten mit dem Internetcafé. Sie werden zum Spielen genutzt. E-Mails kann man auch checken, aber in erster Linie sind sie zum Spielen da. PC bedeutet Personal Computer, Bang bedeutet Raum oder Zimmer, und die gibt es im Grunde genommen an jeder Ecke, 20.000, mehr als 20.000 im ganzen Land, die haben sich seit den 1990er-Jahren etabliert. Und Sie merken den Unterschied zum Internetcafé, sobald Sie dort durch die Tür gehen. Das ist meistens recht schummriges Licht, mitunter auch verraucht, da kommt so ein gedämpftes Getöse von den Monitoren, es flimmert ununterbrochen, und dort treffen sich Jugendliche zum Spielen mit anderen. Es sind also wirklich Treffpunkte. Sie treffen dort aber auch ältere Herren oder Hausfrauen.
Timm: Die Beispiele, die Sie uns erzählt haben, sind sicher auch für Südkorea Extrembeispiele.
Rossius: In jeden Fall, ja.
Timm: Aber wenn man dort so öffentlich spielt, und gar nicht jeder so alleine zu Hause vor der Kiste, sondern wenn man sehr, sehr öffentlich spielt, wenn man sich dort trifft und das an jeder Ecke, wie Sie sagten, zu haben ist, umso mehr erstaunt es mich eigentlich, dass das nicht so als Gefahr frühzeitig erkannt wird.
Rossius: PC-Spiele als Massenphänomen – das ist absolut typisch für Korea und als Alltagsphänomen, auch als Teil der Alltagskultur wirklich. Und damit, denke ich, hat es zu tun, dass diese Suchtgefahr am Anfang unterschätzt wird. Eltern deuten vielleicht auch häufig erste Symptome nicht richtig, weil sie es nicht wahrhaben wollen, das ist ja bei anderen Drogen auch so. Man kennt das ja, die ersten Symptome sind ein Leistungsabfall in der Schule vielleicht, dann bekommen die Kinder nur noch mehr Druck, statt man sich fragt, woher kommt das. Dann verbietet man ihnen vielleicht Computerspiele. Damit ist aber das Problem nicht eingedämmt, dann gehen sie eben heimlich in PC Bangs. Es hat auch was mit der Auffassung zu tun, dass Eltern denken, ach, sich mit Computern zu befassen, ist ja erst mal was Positives, da kann man schon im Kindergarten mit anfangen, kann man später gut gebrauchen, Computerkenntnisse. Und es ist, denke ich, auch ... Es hat eine Menge damit zu tun, dass diese Gesellschaft grundsätzlich einen sehr großen Fortschrittsglauben besitzt, ein Vertrauen und eine Offenheit für neue Technik und Technologie.
Timm: Das ist ja bekannt, dass alles, was technisch ist, Computerspiele, in Asien einen richtigen Run auslösen, noch bevor das selbst noch in die USA kommt, geschweige denn nach Deutschland. Nun gab es gerade gestern einen ganz abschreckenden Artikel im "Spiegel", in China ist man so weit, dass man Kindercamps einrichtet mit ganz rabiaten Erziehungsmethoden, Dauerlauf, Elektroschocks und Prügel, um solcher Süchte Herr zu werden. Was macht man in Südkorea?
Rossius: Es gibt dort auch solche Camps, das erste wurde 2007 eingerichtet, oder wenn ich sage, solche Camps, dann meine ich nicht, dass diese Camps so aussehen, ablaufen wie das, was im "Spiegel" beschrieben wird, die Camps in China. Das ist eine Mischung aus körperlichem Drill, psychologischer Betreuung und künstlerischen Workshops. 2007 wurde das erste eingerichtet. Es gibt aber daneben mehr als 100 Kliniken, die spezielle Programme haben gegen Computersucht. Die Regierung schickt Psychologen in diese PC Bangs, in Schulen, in Kindergärten, um aufzuklären, vor der Sucht zu warnen. Es gibt jede Menge Selbsthilfegruppen für Eltern, dort lernen Mütter und Väter, wie man beispielsweise eine Zeitsperre in einen Computer einbaut. Also, die Regierung hat in den vergangenen Jahren eine ganze Menge Geld investiert, um der Sucht vorzubeugen. Die Ironie daran ist, dass diese Programme häufig getragen und finanziert werden von derselben Behörde, die einst gegründet wurde, um das Internet in Südkorea zu fördern.
Timm: Frau Rossius, lassen Sie uns mal darüber sprechen, ich sagte vorhin, es ist bekannt: In Asien, da zählen solche Computerspiele ganz besonders viel, sind sie ganz besonders zu Hause. Warum eigentlich?
Rossius: Zum einen hat die Regierung schon sehr früh – und auch die Wirtschaft – ganz klar auf das Internet als Zukunftsbranche gesetzt und sich gesagt: Wir wollen da ganz vorne mit dabei sein. Die Regierung hat 1999 es zum nationalen Ziel erklärt, dass alle koreanischen Haushalte einen Highspeed-Internetzugang haben sollen. Das ist heute zu etwa 90 Prozent erfüllt, also die flächendeckende, kostengünstige Versorgung mit Breitband. Es wurde das weltweit erste Onlinerollenspiel in Südkorea erfunden Mitte der 90er. Die World Cyber Games kommen von dort, das ist so etwas wie die WM für elektronische ... electronic sports, ja.
Timm: Aber für die Olympischen Spiele dort, für World Cyber Sport – kommt man noch real da hin oder spielt man auch nur daddelig vernetzt über die ganze Welt?
Rossius: Das findet vor Tausenden Zuschauern in großen Arenen statt, in der Hauptstadt Seoul aber auch an anderen Orten. Lassen Sie mich noch eine wirtschaftliche Sache nennen, also, Spielkonsolen, wie sie in Japan beliebt sind, Gameboy beispielsweise, Playstation, durften lange Zeit nicht importiert werden, um die heimische Industrie zu schützen zum Beispiel, die sich auch dann auf Onlinespiele spezialisiert hat.
Timm: Also staatlich sehr gefördert, das Ganze, vielleicht auch verknüpft mit der Mentalität der Menschen dort. So in einem südkoreanischen Haushalt – steht dort die neueste Technik ganz automatisch rum, sobald man sie sich irgendwie leisten kann?
Rossius: Ja, sobald man sie sich leisten kann, das ist natürlich schon ein Punkt. Was Ihnen auffallen wird, wenn Sie so einen koreanischen Haushalt betreten, also, unentbehrlich in jeder Küche ist ja ein Reiskocher: Der spielt unterschiedliche Melodien ab, je nachdem, wie weit der Reis ist. Kurz bevor der Reis fertig ist, erklingt zum Beispiel eine Musik und dann heißt das: Achtung, zurücktreten, ich lasse jetzt heißen Dampf aus. Dann wissen sie, gleich ist der Reis fertig. Sie schalten den Wasserfilter ein, dann begrüßt Sie eine Stimme, einen schönen guten Tag, ich bereite jetzt frisches Wasser für Sie zu, PH-Wert 9,5. An der Kühlschranktür wird möglicherweise eine USB-Schnittstelle eingebaut sein und ein Display. Da können Sie dann Ihre ganz persönlichen Fotos darstellen, zeigen, auswechseln. Die Kinder werden fleißig Sprachen und Vokabeln lernen, aber sie suchen möglicherweise ein Wörterbuch vergebens im Bücherregal, weil die lieber elektronische Übersetzer benutzen, so im Taschenrechnerformat. Also, das sind wahrscheinlich die Vorboten nur von einer Entwicklung, die demnach konsequent ist. Es hat ein Testlauf in mehreren koreanischen Städten begonnen, 1000 Haushalte bekommen Roboter, die sollen als Haushaltshilfen fungieren, Kindern aber auch Bücher vorlesen, und Ziel der Regierung ist es: Bis 2020 soll so ein Roboter in jeden Haushalt, die sollen in Serie gehen. Da gibt es natürlich Forscher, die bezweifeln, dass das dann schon reif sein wird für die kommerzielle Vermarktung, aber man hat sich in Südkorea ganz klar vorgenommen: Das ist eine Branche, die boomt, erst kürzlich wurden Pläne vorgestellt für zwei Themenparks zum Thema Robotik. Man will mehr als eine Milliarde Euro bis 2013 in diesem Bereich investieren.
Timm: Also eine Kultur, die auch auf der Faszination von Technik beruht, einen singenden Reiskocher als deutsche Erfindung kann man sich wirklich nicht vorstellen. Miriam Rossius, Südkorea ist gewissermaßen Ihr zweites Zuhause, Sie sind häufig da. Haben Sie denn den Sog, den solche Technikfaszination ausmacht ... Kann man diese Faszination eher verstehen, lässt man sich vielleicht sogar ein bisschen reinziehen, wenn man da ist?
Rossius: Das Computerspiel, das mich abhängig macht, muss, glaube ich, noch erfunden werden.
Timm: Das ist beruhigend.
Rossius: Ja. Aber ich habe ja zum Beispiel diese Turniere erlebt von Online-Computerspielen. Es gibt dort eine eigene Liga. Man muss sich das wirklich vorstellen wie im Sport. Das ist ein großer Saal, da sind hysterische, kreischende Teenager, die besten Spieler verdienen sechsstellig, es sind große Stars, kommen in einem Outfit auf die Bühne, das ist so eine Mischung aus Raumschiff-Enterprise-Uniform und Formel-1-Anzug, und dann wird das, was sie dort spielen, auf den Monitoren übertragen, auf Großbildleinwand. Und die sind alle völlig gebannt, die Jungs und die Mädels, die Jungs fachsimpeln über die Strategien der Spieler, und wenn Sie das erleben, so als Massenphänomen – dass diese Leute Fanpost bekommen, dass die Fans auch wirklich sich damit auseinandersetzen, mit den Strategien und den Lieblingsspielen, die ja dann auch wechseln –, dann, muss ich zugeben, hätte ich wahrscheinlich jede Woche auf so ein Turnier gehen können, einfach weil das unglaublich faszinierend ist, allein das zu beobachten. Und wenn man anfällig ist, steigt man vielleicht auch komplett mit drauf ein.
Timm: Wer das Computerzeitalter von morgen heute schon mal angucken will, der sollte nach Südkorea fahren. Faszinierend ist es bestimmt, ob es einem gefällt, ist eine ganz andere Frage. Miriam Rossius, danke für Ihren Besuch im Studio!
Rossius: Ja gern! Tschüss!