Dadaistischer Showdown

Rezensiert von Pieke Biermann |
In 17 Jahren hat sich der Zeichner Hannes Binder mit dem 1938 verstorbenen Schriftsteller Friedrich Glauser auseinander gesetzt. "Nüdd Appartings" ist ein dadaistischer Showdown, bei dem am Ende die Frage erlaubt sein muss: "Ist Hannes Binder eine Erfindung von Friedrich Glauser?"
Holzschnitt, denkt man zuerst, wenn man durch den dicken, verführerisch nach Druckerfarbe duftenden Band blättert. Aber die Bilder des genialen Schweizer Graphikers und Illustrators Hannes Binder sind keine Holzschnitte und schon gar nicht das, was man umgangssprachlich als holzschnittartig bezeichnet. Sie haben nichts Grobes, sie sind nadelscharf. Binder hat eine spezielle Negativtechnik entwickelt, um seiner, wie er selbst es nennt, "Obsession Glauser" gerecht zu werden: Er kratzt haarfeine Linien aus schwarzem Karton heraus.

In Binders Illustrationen ist - wie in Glausers Prosa - nichts schwarz auf weiß. Also gesichert, verlässlich. Sondern alles Wichtige wird weiß aus dem Schwarzen herausgeholt. Auch das ist eine atemberaubende Parallele zu der Literatur von Friedrich Glauser, einem der wichtigsten Autoren der Schweiz, die wie eine zauberisch leuchtende Textur aus dem Dunkel seines zerrissenen, heimatlosen Lebens voller Fluchten und Aufenthalten in Heilanstalten herausgeholt scheint. Binders Nadelkratztechnik ist fast ohne Korrekturchancen. Und genau diese unbedingte Herausforderung fasziniert ihn: Es geht um die Zwischentöne. Lässt man zuviel schwarz, bleibt das Bild unerkennbar. Nimmt man zuviel schwarz weg, wird es wieder unerkennbar. Denn alle Zeichnung verschwindet, und übrig bleibt in letzter Konsequenz das weiße Blatt. Auf Seite 25 führt Binder diesen ästhetischen Kern auf ebenso beeindruckende wie einfache Weise in sechs Phasen vor.

"Nüüd Appartigs" - auf Hochdeutsch etwa "Nichts Besonderes" - ist Binders Opus Magnum in Sachen "Glauser und ich". Der Band versammelt die fünf Kriminalgeschichten um Wachtmeister Studer, die Binder zwischen 1988 und 1998 illustriert und publiziert hat, und eine neue, autobiographische Glauser-Erzählung über die Entstehung des Dadaismus in Zürich.

Binders Bilder sind keine Illustrationen im üblichen Sinn. Keine bloße Bebilderung, Verdoppelung, Erklärung, Dramatisierung. Er nimmt Bruchstücke, manchmal nur einzelne Sätze aus Glausers Texten und erzählt sie selbst in Bildern, teilweise in mehreren kleinen nach der Methode der split screen, teilweise in großen panels über eine oder zwei Seiten. Es sind düstere Nachtbilder auf den ersten Blick. Aber je länger man an und in ihnen hängen bleibt, desto erhellender werden sie.

Binders Studer hat unser aller Bild von Glauser und seinem knorzigen Wachtmeister geprägt. Auch das reflektiert der 1947, also neun Jahre nach Glausers Tod geborene Binder: Schon in "Wachtmeister Studer im Tessin" (aus dieser Geschichte stammt das Titelzitat), erst recht in "Glausers Fieber" verschränkt er nicht nur Studers und Glausers Biographie, er bringt sich auch selbst mit ins Spiel. Ein ironisch-obsessives Manöver, das den Limmat-Verlag, dem wir diesen wunderbaren Band verdanken, zurecht auf die (lupenrein dadaistische) Frage bringt: "Ist Hannes Binder eine Erfindung von Friedrich Glauser?"


Hannes Binder & Friedrich Glauser:
Nüüd Appartigs...

Sechs gezeichnete Geschichten,
Limmat Verlag, Zürich 2005,
480 S., 37 Euro.