Dadaistische Spiele mit Zeit und Solarenergie

Von Ludger Fittkau |
Er ist Meisterschüler der renommierten staatlichen Kunstschule "Städelschule" in Frankfurt am Main. Doch inzwischen präsentiert Dirk Fleischmann seine Kunstaktionen in Irland, Korea oder Singapur. Fleischmanns Themen sind die Zeit und Energie - seine Installationen und Projekte sind an den Grenzen von Physik, Spiel und Politik angesiedelt. Seine künstlerischen Vorbilder sind der Dadaismus und Andy Warhol.
Auf dem Laptop in seinem Atelier in Frankfurt am Main startet Dirk Fleischmann eine Bild- und Tondatei. Auf dem Bildschirm erscheint der Schriftzug "Stop-Show". Dann Videobilder aus einem kathedralen-artigen Raum, in dem Fernsehschirme verteilt sind, um die junge Leute herumstehen. Eine schlanke, kurzhaarige Frau in engem, silbernem Kostüm spricht in ein Mikrophon.

Der Videostreifen auf dem PC-Bildschirm zeigt ein einfaches Ratespiel:
Die Spieler müssen "Stopp" rufen, wenn sie meinen, wann zehn Sekunden vorbei sind - die tickende Uhr bleibt den Ratenden verborgen. Musiker seien die besten Mitspieler, sagt der 30 Jahre alte, schmale Dirk Fleischmann. Er hat hellwache, neugierige Augen und seine Stimme erinnert verblüffend an Fußball-Bundestrainer Jürgen Klinsmann, wenn er erklärt, warum die Spielregeln im Video in Englisch erklärt werden:

"Das war ein Ausstellungsprojekt mit dem Namen 'Investigations' in Cork in Irland und das Tolle an dem Ausstellungsprojekt war, dass ich den Zeitpunkt und den Ort, wo mein Projekt stattfinden sollte, selber definieren konnte. Das musste nicht in der Ausstellungshalle stattfinden. Und ich habe mich entschieden, das in der 'Aula Maxima# auf dem Universitätscampus zu machen, ein Ort, wo normalerweise Doktorwürden und Abschlussarbeiten geschrieben werden, also ein sehr ernster Ort eigentlich, der neogotische Architektur hat, eine sehr tolle Atmosphäre eigentlich hat, fast wie in einer Kathedrale, extrem hoch und vor der Größe und wie der Raum aufgebaut war eigentlich ideal für diese Gameshow war."

Die Idee zu der Show sei auf der Reise einer Kunstklasse der Städelschule nach Lubljana entstanden: Aus Langeweile habe man in einer Bar mit diesem Spiel begonnen - inzwischen geht die Idee um die Welt. Demnächst wird Fleischmann die Stopp-Show beispielsweise in Singapur zeigen.
Die Spiel-Szenerie erinnert an die provozierenden Straßenaktionen eines Christoph Schlingensief. Ironische Medienkritik eines vom Dadaismus beeinflussten Künstlers?

"Ich würde es nicht ironisch nennen, es ist auch kein zynisches Projekt, sondern es ist wirklich ne Show, die versucht ne gute Show zu sein, und wenn man da ist, hat man glaube ich einen besseren Abend."

Die widersprüchliche Faszination, die für Dirk Fleischmann von Massenmedien und anderen modernen Technologien ausgeht, hat der Städelschul-Absolvent schon als Kind in dem unterfränkischen Dorf verspürt, in dem er aufgewachsen ist. Ein technikbegeisteter Vater spielte eine große Rolle, Fleischmann studierte später selbst ein paar Semester Physik, bevor er sich der Kunst zuwandte:

"Ich bin neben einem Kernkraftwerk aufgewachsen, ich kenne die Thematik ganz gut eigentlich, weil ich fünf Kilometer von Grafenrheinfeld gewohnt habe als Kind und ich das immer schon vollkommen absurd fand, was da für eine wirtschaftliche Logik dahinter steht."

Heute zieht sich die Auseinandersetzung mit dem Thema Energie wie ein roter Faden durch das bisherige künstlerische Werk von Dirk Fleischmann.
Ein "Öko-Künstler" will er zwar nicht sein, aber:

"Ich habe auf jeden Fall sehr große ökologische Interessen, sage ich mal. Das hat einfach etwas mit meiner allgemeinen Haltung zu tun, das ist jetzt nicht was Kunstspezifisches, aber wenn ich die Wahl habe, zwischen Atomstrom und Solarstrom zu entscheiden, dann habe ich da eine ganz klare Meinung, ob das jetzt öko ist oder nicht, weiß ich nicht. Für mich war das auch eine ganz rationale Entscheidung."

Mit den Einnahmen eines beiläufig im Atelier entstandenen und mehr und mehr zur Inszenierung ausgeweiteten Kioskverkaufs, baute er auf dem Dach der staatlichen Kunstschule am Main sogar eine Photovoltaikanlage – die er nun immer wieder in Kunstaktionen einbaut. Fleischmann hat nun auf der Städelschule eine Webcam installiert, die den Blick über die Solaranlage auf das Frankfurter Bankenviertel ermöglicht:

"Für mich haben sich damals, als ich zum ersten Mal auf dem Dach der Städlschule war und gesehen habe, wie der Ausblick ist, eben formale Analogien gezeigt, zum Empire-Film von Andy Warhol aus den 60er Jahren, wo er das Empire-State-Building acht Stunden lang ununterbrochen mit ner statischen Kameraeinstellung abgefilmt hat, von der Nacht bis zum Sonnenaufgang."

"My Empire" hat Dirk Fleischmann die Installation auf dem Dach der Städlschule genannt - neben Warhol hat ihn dazu auch die Auseinandersetzung mit jungen Künstlern aus der internationalen Szene der Globalisierungskritik inspiriert:

"Ich war zuerst in Südkorea und es gab eine Gruppenausstellung im Museum of Modern Art in Busan, mit dem Namen 'Exchange value of pleasure', wo verschiedene Künstler eingeladen worden sind, die sich mit sozialen oder wirtschaftlichen Themen beschäftigten und neue Formen von Kritik formulieren oder andere Formen von Kritik und ich habe dort eben diese Live-Internet-Videoübertragung von der Solaranlage gezeigt."

Zeit und Energie – zwei der großen Themen, die Fleischmann immer wieder aufgreift – in Frankfurt am Main zuletzt in der Performance "The black cat".
Er verfrachtete alle elektrischen Geräte einer Privatwohnung - auch den Kühlschrank und die Waschmaschine - mit fünfhundert Metern Kabel ins Wohnzimmer - hinter eine verschlossene Tür. Für den Betrachter im abgedunkelten Flur war lediglich durch Türspalt und Schüsselloch das gleißende Licht wahrnehmbar, das den unzugänglichen Raum bestrahlte. Die Energie, die hinter dieser geheimnisvollen Tür verbraucht wurde, entsprach genau der, die er mit seiner Solaranlage auf dem Dach der Städelschule produziert, betont Dirk Fleischmann:

"Es ist so, dass meine Kunst nicht nur ein politisches Statement ist. Es geht einfach darum, ein Statement dafür abzugeben, was lange Zeiträume betrifft. Und ich finde, dass Solarenergie auch deswegen eine Entscheidung für mich ist, das als Kunstwerk mit zu thematisieren, weil es da einfach um einen Zeitraum von zwanzig, dreißig Jahren geht, mit solchen Größenordungen muss man eben Solarenergie begreifen und in solchen Größenordnungen Kunstwerke anzulegen, finde ich einfach spannend."