Dadaist Kurt Schwitters wiederentdeckt

Von Volkhard App · 06.01.2013
Kurt Schwitters war ein Querdenker, der in den 20er-Jahren berühmt wurde. Er malte, dichtete und schuf avantgardistische Collagen. Neue Forschungsergebnisse erbrachte eine Ausstellung vor zwei Jahren in den USA. In Kürze öffnet nun eine Ausstellung in der "Tate Britain".
"Oooh!"

In diesen Ausruf von Kurt Schwitters könnten dessen Archivare durchaus einstimmen, denn es ist schon erstaunlich, wie viele Bilder des "Merz”-Matadors in den sechs Jahren nach Fertigstellung des kommentierten Werkverzeichnisses neu aufgetaucht sind. Schwitters stellte seine Collagen aus Alltagsfundstücken rasch und in großer Zahl her, mit sicherem Gespür für die Komposition. Auch zeichnete und malte er sein Leben lang, experimentelle und konventionelle Arbeiten umfasst sein Oeuvre. Isabel Schulz vom Schwitters-Archiv über die rund 250 neu vorgelegten Werke:

""Es sind verschiedene Werkarten aufgetaucht, sowohl abstrakte Bilder wie auch Landschaften. In Privatbesitz ist einiges entdeckt worden, nachdem das Oeuvre-Verzeichnis vorliegt. Wir führen unsere Datenbank fort, und mein Plan ist, dass wir mittelfristig den Benutzern online eine Aktualisierung zur Verfügung stellen.”"

Womit werden die Forscher noch überrascht? Die Inschrift "Man kann ja nie wissen” auf dem Grabstein von Schwitters erhält so eine ungeahnte Bedeutung. Nach wie vor ist Entlarvung von Fälschungen eine wichtige Aufgabe. Auch Isabel Schulz sind etliche fragwürdige Werke unter die Augen gekommen:

""Man muss ein Werk immer im Original anschauen und neben den stilistischen Kriterien, die vielleicht auf den ersten Blick den Hauptausschlag geben, die Provenienz prüfen und die technische Materialität. Man kann aber aufgrund einer Dokumentation, die schon der Sohn Ernst Schwitters seit den sechziger Jahren angelegt hat, sehr Vieles erkennen, weil man auch die Fälscherhände kennt. Es gibt Arbeiten, die schon seit 40, 50 Jahren existieren und vererbt werden und wieder in den Handel kommen. Von daher ist es natürlich sehr hilfreich, neben dem eigenen Eindruck vor dem Original diese ganzen Unterlagen zu haben und auch nutzen zu können.”"

Die Vielseitigkeit des "Merz”-Künstlers beschert auch künftig ein großes Aufgabenspektrum: so gilt es das literarische Werk von Kurt Schwitters neu zu vermessen. Die alte, von Friedhelm Lach betreute Buch-Ausgabe war eine Pioniertat - und ist nach wie vor eine Fundgrube für alle, die den Literaten Schwitters entdecken möchten: mit avantgardistischer Lautmalerei, verspielter Prosa, verblüffenden Szenen und Manifesten, aber auch mit humoristischen Gelegenheitsstücken: von "Anna Blume” bis zum Schlager über "Onkel Heini” mit seinen krummen Beini.

Für alle, die es genauer wissen wollen, wird nun in Kooperation zwischen dem Sprengel Museum in Hannover und der Bergischen Universität in Wuppertal eine neue Literatur-Edition vorbereitet: mit ausführlicheren Erläuterungen zur Entstehung der Texte und zu einzelnen Varianten, so dass sich der Arbeitsprozess von Schwitters besser nachvollziehen und historisch einordnen lässt. Besonders wichtig werden die Querverweise zu anderen schriftlichen Zeugnissen von Schwitters und zu seinem bildnerischen Oeuvre sein:

""Uns schwebt eine andere Art des Herangehens an das literarische Werk vor, indem wir den Autorenbegriff weiter fassen und Schwitters als Sammler, Typografen, Performance-Künstler und Schriftsteller in jeglicher Hinsicht sehen wollen und sein Werk vor allem nicht, wie es vielleicht zu Goethes Zeiten angemessen war, nach Gattungen und Genres trennen, sondern die Brücke schlagen zwischen den literarischen Werken, seinen Texten, und den bildkünstlerischen Arbeiten, wo ja die Grenzen durchaus fließend sind. Man muss natürlich Kriterien beachten, aber es ist spannend zu sehen, wie dieses Werk im Grunde eine Einheit ist. ”"

Der erste Band dieser Ausgabe soll zum Jahresende erscheinen - nach Fertigstellung der ganzen Publikation wird es auch eine digitale Fassung geben, mit deren Hilfe die Korrespondenzen zwischen den literarischen und den bildnerischen Werken anschaulich werden. Einige Links genügen - und schon erscheint neben dem "Anna Blume” - Gedicht das Plakat mit den Versen, das auf hannoverschen Litfasssäulen 1920 für Irritationen sorgte. Oder es lassen sich seine graphischen Blätter aufrufen mit dem Schriftzug "Anna Blume”. Die künstlerischen Felder, die im Radius von Schwitters vereint waren, rücken so im Blick des Betrachters zusammen.

Neue Forschungsergebnisse in wichtigen Details erbringt auch die Arbeit an großen, internationalen Ausstellungen. Nach der US-Tournee einer Werkpräsentation vor zwei Jahren wird die Ende des Monats öffnende Schau in der "Tate Britain” Schlagzeilen machen, befasst sie sich doch mit Schwitters’ Exil in England - und so mit dessen letzten Jahren. Dabei wird das Bild vom völlig vereinsamten Künstler zu korrigieren sein: wenigstens in London zwischen 1941 und 45 unterhielt Schwitters zur Kunstszene rege Kontakte, traf Kollegen, stellte aus, wurde in Zeitungen erwähnt. Auch den Impulsen, die er den dortigen Künstlern gab, geht die Ausstellung noch einmal genauer nach:

""Sie zielt auf ein breiteres Publikum, aber auch auf Kenner, die Schwitters schon als einen Vater der Moderne zu schätzen wissen. Deutlich wird die Komplexität seines Werks - wie viel er schon experimentell vorgegeben hat, was in der Kunst bis heute eine große Rolle spielt.”"
Wie er in England sein Werk fortsetzte, die dort gefundenen Materialien verwendete - Bustickets, Kunstabbildungen, Stücke aus der Natur - und wie er an einer letzten "Merz”-Rauminstallation arbeitete: demnächst ist es noch einmal zu sehen und wird vermutlich zum Ereignis.


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