"Da wird auch viel hoch geredet"

Gottfried Honnefelder im Gespräch mit Katrin Heise · 14.10.2009
Der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels erwartet keine Verdrängung gedruckter Bücher durch E-Books. Der konventionelle Buchmarkt wachse wider Erwarten ausgerechnet in der Krise, so Honnefelder zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse.
Katrin Heise: Über Werbung musste sich die Frankfurter Buchmesse dieses Jahr keine Gedanken machen. Erst sicherte wochenlanges Hin und Her mit dem Gastland China die allgemeine Aufmerksamkeit, und dann bekommt Herta Müller den Literaturnobelpreis. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" wies gestern auf dieses ganz besondere Zusammentreffen hin. Eine internationale Ehrung für eine Frau, die wider das Vergessen und Verdrängen schreibt, gegen Diktatur, gegen die Beschneidung der Meinungsfreiheit und ein Gastland, in dem der Kampf um Meinungsfreiheit gefährlich sein kann. Das alles auch noch im 20. Jahr des Mauerfalls. Wir sind jetzt gewissermaßen auf der Buchmesse, ich begrüße nämlich in unserem Studio dort Gottfried Honnefelder, den Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Schönen guten Tag, Herr Honnefelder!

Gottfried Honnefelder: Frau Heise, guten Morgen!

Heise: Für Sie, ist das für Sie auch eine Buchmesse, die so eine ganz besondere Atmosphäre hat durch dieses Zusammentreffen, was ich gerade benannt habe?

Honnefelder: Ich habe Ihnen jetzt zugehört und habe still genickt, das ist schon richtig. Der Ineinsfall solch verschiedener Momente, die alle eine historische Dimension haben und die sich alle irgendwo mit dem Problem des Free Flow of Information beschäftigen, das ist in der Tat etwas Besonderes. Wer gestern Abend im großen Kongresssaal zur Eröffnung der Messe dabei war, hat dies auch geradezu körperlich gespürt. Es war eine gewisse Fremdheit da durch die chinesischen Partner und Politiker, die da in großer Anzahl dort saßen – vom Staatsgast, dem stellvertretenden Staatspräsidenten, ganz abgesehen. Man merkte, wie die Empfindungswelt und das Hinhören auf Worte und wie die Reden einfach sehr viel anders waren. Also insofern ist diese Buchmesse eine ganz besondere Buchmesse, weil sie einen weiten Weg in andere Räume geht.

Heise: Kann die Buchmesse denn ihrer Verantwortung eigentlich gerecht werden, auch in der Sorge um beispielsweise oppositionelle Autoren, und wird sie genug Foren für Diskussionen schaffen können?

Honnefelder: Wie soll man diese Frage beantworten, ob wir dem gerecht werden können? Wir versuchen das. Die Frankfurter Buchmesse, größte Buchmesse der Welt, versteht sich selbst als eine internationale Plattform. Diese Plattform soll für jede Meinung zur Verfügung stehen, und das tut sie auch. Immerhin sind neben den Veranstaltungen, die von der offiziellen Delegation vorbereitet sind – ich glaube, das sind so gut 200 Veranstaltungen –, sind noch mehr Veranstaltungen – ich glaube 250 – sind eben außerhalb dieses Konvoluts da. Also alleine von der Menge fehlt es nicht an Stimmen und Meinungen und Haltungen.

Heise: Also Meinungsfreiheit gesichert auf der Buchmesse in Frankfurt. Schauen wir mal ...

Honnefelder: Man kann sie natürlich nur sichern bis zu dem Augenblick, zu dem es sozusagen körperlichen Streit gäbe oder wo einer den anderen nur noch übertönen will, dann wird man einschreiten müssen. Ich hoffe, dass das nicht der Fall ist.

Heise: Das wollen wir nicht hoffen, genau. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels schaut nicht nur auf die Inhalte so einer Buchmesse, sondern eben auch auf die wirtschaftliche Situation. Wie geht's denn eigentlich, Herr Honnefelder, den Verlagen, wie hat sich die Wirtschaftskrise auf den Buchmarkt ausgewirkt? Am Jahresanfang wuchsen die Umsätze ja noch.

Honnefelder: Ja, die wachsen – merkwürdigerweise hätte ich fast gesagt – immer noch. Wir haben im Zeitraum Januar bis einschließlich September ein Umsatzplus für Deutschland von 2,8 Prozent. Das ist ungewöhnlich, das hätte im Frühjahr vielleicht auch niemand prophezeit. An Erklärungen gibt es viele. Ich persönlich bin der Meinung, dass das Kaufverhalten von Lesern und Nutzern von Büchern nicht zu vergleichen ist mit dem von anderen Dingen. Bücher haben doch einen anderen Stellenwert. In Krisenzeiten, wo man vielleicht hier und da spart, braucht man umgekehrt geradezu ein Buch, um darüber nachdenken und nachlesen zu können, wie die Zukunft nun aussehen soll, was langfristig bleibt, welche Werte noch da sind et cetera, et cetera. Also eine gewisse antizyklische Bewegung ist im Buch drin. Man kann also nicht immer sagen, dass das nur mit dem Trend geht. In anderen Ländern ist die Entwicklung sehr viel schlechter, das muss man allerdings auch dabei sagen. Es ist auch irgendwo eine sehr deutsche Bewegung. Also so ganz erklären können wir's auch nicht. Jedenfalls ist die Krise, von der man allenthalben spricht, noch nicht angekommen im Buchhandel.

Heise: Kommen wir mal zu den Herausforderungen, die ja gerade, wenn noch keine Krise da ist, vielleicht besonders straff angegangen werden können: Die zunehmende Digitalisierung meine ich. Elektronische Bücher liegen im Umsatz hierzulande noch im einstelligen Millionenbereich, das ist bei einem Volumen von zehn Milliarden ja nur ein Promille. In den USA sieht das natürlich ganz anders aus – was erwarten Sie denn hier in Deutschland für eine Entwicklung?

Honnefelder: Wir werden noch für geraume Zeit erleben müssen, dass der digitale Informationsmarkt relativ klein bleibt. Das ist aber auch nicht verwunderlich. Also da wird auch viel hoch geredet, ich halte das für Unfug. In den nächsten fünf Jahren wird das sicherlich gewaltig steigen, aber es wird immer in einem überschaubaren kleinen Bereich am gesamten Buchmarkt bleiben. Das bedeutet aber nicht, dass alle Augen auf diesen digitalen Markt gerichtet sind, denn der gibt in der Tat den Takt an für die Zukunft, das ist gar keine Frage. Und wenn Sie sich die Verleger, die es ja am frühesten wissen sollten, anschauen, die sind im wissenschaftlichen Bereich ja schon seit Jahren gerüstet für diese Sache. Es gibt ja viele Dinge, die nur noch digital erscheinen. Und inzwischen durch die Entwicklung der E-Books, die es ja gibt, sind auch die Publikumsverleger, die die schöne Literatur machen unter anderem, die die Sachbücher machen, Ratgeber, die sind auch jetzt mit dabei. Wie der Markt reagiert, das ist noch schwer zu sagen. Also wir haben bis heute, in Deutschland haben wir, das ist eine Zahl der Gesellschaft für Konsumforschung, haben wir 65.000 E-Books, die verkauft wurden. Das ist eine lächerlich kleine Zahl, wenn man so will, aber es ist halt ein Beginn.

Heise: Mit dem Vorsteher des Deutschen Buchhandels, Gottfried Honnefelder, spreche ich über die zunehmende Digitalisierung des Buchmarktes. Herr Honnefelder, Anfang nächster Woche kommt das elektronische Lesegerät Kindle auf den deutschen Markt, die Konkurrenz von Sony bis Samsung schläft natürlich auch nicht. Es war zu lesen, dass Fachleute voraussagen, dass 2018 der Umsatz mit elektronischen Büchern den der gedruckten Bücher eigentlich überschreiten wird. Sie haben jetzt gesagt oder ich hab aus Ihren Worten gehört, dass Sie das eigentlich so nicht sehen.

Honnefelder: Na ja, also Propheten gibt es auf dem Feld genug. Ich wage nicht, für 2018 eine Zahl zu nennen. Da kann ich nur an den berühmten Marshall McLuhan erinnert, der bereits vor 40 Jahren sagte, die Gutenberg-Galaxis sei zu Ende. Und Sie sehen ja, in diesem Jahr sind es mit 2,8 Prozent mehr geradezu Träume, die da Wirklichkeit werden. Also wie das 2018 aussieht, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich würde bezweifeln, dass der digitale Markt in dem Jahr dann größer ist als der Buchmarkt, ganz im Gegenteil. Dahinter steckt etwas, was die meisten Menschen nicht einsehen wollen, dass der digitale Markt und der Printmarkt sich nicht gegenseitig substituieren, sondern ergänzen. Also das heißt, wer das eine Medium nutzt, nutzt auch das andere. Insofern ...

Heise: Bei Jugendlichen zum Beispiel beobachtet man das doch aber immer weniger, dass die das tatsächlich beides benutzen, sondern ... Also wer schlägt denn noch im Brockhaus nach, im Buch, und guckt nicht bei Wikipedia, und zwar umsonst?

Honnefelder: Jetzt nehmen Sie es eins zu eins, da haben Sie natürlich recht. Wenn ich also im Brockhaus nachschaue, brauche ich's nicht gleichzeitig in dem dicken Band zu tun, da haben Sie recht. Aber auch die Digital Natives, von denen Sie sprechen, also die junge Generation, die eigentlich nur noch mit dem Netz groß wird, die wird kompensatorisch über kurz oder lang genauso darüber auch wiederum zum Buch greifen. Das Problem liegt woanders?

Heise: Wie kommen Sie darauf, wie kommen Sie auf die Idee? Also, weil es gibt ja durchaus Fachleute, die das so bestreiten.

Honnefelder: Nein, wir haben mit dem Radio, wir haben mit dem Fernsehen, wir haben mit den neuen Medien immer wieder die Erfahrung gemacht, dass diese Theorien, die sagen, das eine verdrängt das andere, nicht eingetreten sind. Das ist einfach die Erfahrung über die Medienauseinandersetzung, die wir hatten. Das Problem liegt woanders. Es liegt darin – und das ist eine schlimme Nachricht –, dass diejenigen, die klug sind und die Medien gerne nutzen und viel, dass die durch dieses Angebot der beiden Arten sie noch mehr nutzen werden. Und die, die eben nicht so klug sind und nicht so interessiert, die werden es noch weniger nutzen. Also da steckt eine Art – wie soll ich das nennen? – eine Art soziale Schere hinter, die dann aufgeht. Und da werden wir politisch noch einiges mit zu tun bekommen.

Heise: Wenn Sie sich da so sicher fühlen, dann ist es ja jetzt eigentlich auch eine gute Zeit, eben Geschäftsmodelle der Zukunft zu entwickeln, wenn man nicht unter Druck ist, also wenn Verlage nicht zu reinen Versorgern von Inhalten werden wollen, sondern mitgestalten wollen, was da eben an E-Books und auch im Internet sich tut. Wie sehen solche Geschäftsmodelle der Zukunft aus?

Honnefelder: Die richten sich nach den Rahmenbedingungen, die wir international haben werden. Gestern Abend hat die Bundeskanzlerin noch mitgeteilt, dass sie, also die neue Regierungsbildung, sich sicher ist, dass eben der rechtliche Rahmen für die Sicherung des Urheberrechts und des geistigen Eigentums gewährleistet sein wird, das ist eine gute Nachricht. Das andere ist: Wir beobachten deutlich, was in Amerika, in New York geschieht mit dem, was man Google-Settlement nennt. Ich will das jetzt nicht lange erklären, das bräuchte mehr Zeit. Aber da ist versucht worden sozusagen, die Autoren und Inhaber geistiger Rechte zu entmachten, indem man alles verkauft an einen Monopolisten. Und zum Glück scheint das nicht gelungen zu sein, sondern man fängt jetzt noch mal neu an, das Ganze zu definieren.

Heise: Gleichzeitig muss man ja aber im Hinterkopf behalten, dass eben – komme ich mal wieder auf die Jugendlichen zurück, die gewohnt sind, das Internet mehr oder weniger umsonst zu benutzen. Und wenn da die Inhalte sind ...

Honnefelder: Das ist das Problem.

Heise: Genau. Wie gehen Sie damit um?

Honnefelder: Ja, das ist richtig, wie gehen wir damit um. Wir brauchen in der Tat neue Geschäftsmodelle. Es geht nicht mehr so, dass man also einfach Ladenpreise anbietet wie bei Büchern, die werden im Netz nicht mehr gezahlt. Insofern ist das Angebot, was dort zu machen ist, es ist anders zu formulieren. Vielleicht kann man es über Werbung formulieren, vielleicht kann man es über eine Mischung formulieren. Ich halte nichts von dem, was in Deutschland auch von politischer Seite vorgeschlagen wurde, Flatrates zu formulieren für diesen Bereich.

Heise: Genau, eine Pauschalabgabe auf Internetanschlüsse für Kultur sozusagen.

Honnefelder: Ja, so wie wir es vom mobilen Telefon kennen. Das ist nichts, was im Grunde genommen der Literatur entspricht. Ein Autor will nicht über Flatrates und Abgaben entlohnt werden, sondern er möchte mit entscheiden, was von den Dingen, die er geschrieben und getan hat, im Netz wirklich verwertet wird.

Heise: Also noch viel spannende Stoffe, die man auf jeden Fall im Gespräch klären muss.

Honnefelder: Ja, das dauert noch lange.

Heise: Nicht nur auf dieser Buchmesse?

Honnefelder: Nein, nein, ehe die Geschäftsmodelle ausgereift sind, das wird noch bestimmt drei, vier, fünf Jahre dauern, weil dahinter auch ein Streit steckt: Welches Medium bestimmt das andere?

Heise: Sagt Gottfried Honnefelder vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Herr Honnefelder, ich danke Ihnen für dieses Gespräch!

Honnefelder: Ich danke auch, Frau Heise!

Heise: Heute Nachmittag im "Radiofeuilleton", da beschäftigt sich Jürgen König mit der Literatur des Gastlandes China.