"Da sind eine Menge Fortschritte drin"

Rolf Mützenich im Gespräch mit Marietta Schwarz · 07.04.2010
Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich bewertet die neue Strategie von US-Präsident Barack Obama zu Nuklearwaffen positiv. Allerdings vermisse er einen grundsätzlichen Verzicht auf einen nuklearen Erstschlag, sagt Mützenich.
Marietta Schwarz: Vor einem Jahr hat US-Präsident Barack Obama in Prag seine Vision einer atomwaffenfreien Welt dargelegt und in diesen Tagen erfahren wir mehr, wie der Weg dorthin aussieht beziehungsweise die Frage stellt sich auch, ob es eine atomwaffenfreie Welt überhaupt geben kann. Morgen werden die USA und Russland den START-Abrüstungsvertrag in Prag unterzeichnen, dem soll eine Reihe weiterer Abrüstungskonferenzen folgen, ein erster Nuklear-Gipfel schon nächste Woche in Washington. Und gestern Abend stellte die US-Regierung ihre Strategie vor.
Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich. Guten Morgen!

Rolf Mützenich: Guten Morgen, Frau Schwarz!

Schwarz: Ist die gestern Abend vorgestellte Strategie tatsächlich der Schritt in eine atomwaffenfreie Welt, wie sie Barack Obama vor einem Jahr angekündigt hat?

Mützenich: Persönlich hätte ich mir mehr gewünscht, auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch die Rahmenbedingungen betrachten, unter denen ein amerikanischer Präsident agiert. Er ist darauf angewiesen, politische Unterstützung zu bekommen, auch zum Beispiel für den neuen START-Vertrag im Senat, auch Zustimmung von den Republikanern zu erhalten. Und wir haben ja erlebt in den letzten Wochen und Monaten, es gab offensichtlich heftige Debatten. Der amerikanische Präsident hat mehrmals Entwürfe für die neue Strategie zurückgereicht, also scheinbar hat er doch noch etwas erreicht, was selbst in seiner Administration sehr stark umstritten gewesen ist. Und ich glaube, der Verteidigungsminister Gates hat in den letzten Wochen versucht, stärker auf die Bremse zu treten, als wir jetzt in dem endgültigen Papier gesehen haben. Und ich finde schon, da sind eine Menge Fortschritte drin, und die Bundesregierung wäre klug beraten, Obama zu unterstützen.

Schwarz: Und was hätten Sie sich mehr gewünscht?

Mützenich: Ich hätte mir zum Beispiel schon gewünscht, dass es nicht nur sozusagen eine Variante Erstschlagsverhinderung light gibt, sondern einen grundsätzlichen Verzicht. Ich hätte mir gewünscht, dass man vielleicht noch stärker darauf Bezug genommen hätte, von der Nuklearstrategie insgesamt wegzugehen, weil nach meinem Dafürhalten Vernunft und Nuklearstrategie nicht zusammenpassen, also viele dieser Dinge, die wir in Europa auch während der Friedensbewegung der 70er- und 80er-Jahre diskutiert haben. Aber auf der anderen Seite, ich muss anerkennen, dass in dem innenpolitischen Klima der USA sich der amerikanische Präsident sehr weit fortbewegt hat.

Schwarz: Atomwaffen sind ja noch immer und zurecht das große Schreckgespenst, aber werden da konventionelle und biologische Waffen, von denen sich die USA ja nicht trennen wollen, in ihrer ebenso schrecklichen Wirkung nicht unterbewertet?

Mützenich: Auf jeden Fall, und das ist ja auch das, was wir immer in den letzten Jahren gesagt haben: Man kann auch allein aus militärstrategischen Argumenten, denen ich mich nicht unbedingt nähern will, aber selbst wenn man die aufnimmt, sagen, wir brauchen heute keine Atomwaffen mehr zur Abschreckung. Es gibt schreckliche konventionelle Waffen, die auch eingesetzt werden können und die nach meinem Dafürhalten in eine Abschreckungsdoktrin hineinpassen, wenn man sich dieser Militärstrategie unterordnen wollte. Auf der anderen Seite ist es so, dass die USA natürlich mit der Nuklearstrategie auch ihre Machtposition in der Welt verankern, und da sind sie nicht alleine. Es gibt mehrere Staaten, die versuchen auch, diese Atomwaffen zu besitzen, und in diesem Konstrukt sozusagen findet natürlich auch die Diskussion in den USA über die neue Nuklearstrategie statt.

Schwarz: Und denken Sie, das ist der richtige Ansatz?

Mützenich: Ich glaube ja. Ich glaube, dass Präsident Obama einen pragmatischen Ansatz gewählt hat, der auch die Zustimmung innerhalb der USA erhalten kann, aber auf der anderen Seite, dass er damit auch die Unterstützung der Bündnispartner bekommt. Und wir werden sehen, zum Beispiel innerhalb der NATO wird diese neue Nuklearstrategie ganz unterschiedlich interpretiert werden. Die osteuropäischen Staaten werden nach meinem Dafürhalten in den nächsten Tagen auch kritische Fragen in diesem Zusammenhang stellen, weil sie sozusagen eine andere Bedrohungswahrnehmung haben. Und hier wäre insbesondere die Bundesregierung gefordert, den Kurs von Präsident Obama auch gegenüber diesen Ländern mit zu unterstützen und sich jetzt nicht an Feldern abzuarbeiten, wo wir offensichtlich in den nächsten Wochen keinen Erfolg sehen werden.

Schwarz: Welche Felder meinen Sie damit? Die Stationierung von USA-Waffen?

Mützenich: Ich glaube zum Beispiel, dass zu Recht wir im Deutschen Bundestag auch alle Parteien gefordert haben, dass die US-amerikanischen Waffen abgezogen werden sollen. Wir haben den Druck so weit wie möglich erhöht, er ist aber offensichtlich gescheitert, wenn man sich zum Beispiel die Nuklearstrategie anschaut, weil da eben niedergelegt ist, dass diese Frage innerhalb des Bündnisses diskutiert werden soll. Und es gibt natürlich auch eine richtige Antwort innerhalb der Nuklearstrategie, die alleinige Fokussierung auf die US-amerikanischen Atomwaffen ist zu wenig. Allein die 2000 russischen taktischen Atomwaffen sind eine genauso große Bedrohung, und Präsident Obama möchte über diese Waffen verhandeln. Das ist ein deutliches Signal, heute auch noch in Richtung Prag zur Unterzeichnung über den neuen START-Vertrag, dass es eben nicht der letzte Vertrag sein soll, sondern der Beginn von einer richtigen atomaren Abrüstung und Rüstungskontrolle, und diesen Weg sollten wir mit unterstützen.

Schwarz: Den raschen Abzug von US-Atomwaffen in Deutschland halten Sie aber demnach für unrealistisch?

Mützenich: Nein, ich halte ihn natürlich in dem Sinne für richtig, weil ich glaube, dass diese Waffen weder militärstrategisch noch in anderen Zusammenhängen überhaupt noch einen Sinn machen, aber eben diejenigen, die über diese Waffen verfügen, sind zu einer anderen Schlussfolgerung gekommen. Sie wollen sie sozusagen in einem Verhandlungspaket hier wegverhandeln, das muss ich eben sehen in dieser Situation. Und ich glaube, wir wären jetzt auch klug beraten, zum Beispiel auch neue Felder für die Abrüstung und Rüstungskontrolle mit zu diskutieren. Ich glaube, dass zum Beispiel in den nächsten Jahrzehnten die Raketenabwehr wie ein Klotz am Bein für die atomare Abrüstung und Rüstungskontrolle gelten wird, weil sie ja offensichtlich große Schwierigkeiten gemacht hat, Russland überhaupt dem neuen START-Vertrag zuzustimmen.

Schwarz: Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, über die atomare Abrüstungsstrategie von US-Präsident Obama. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Mützenich!

Mützenich: Vielen Dank, Frau Schwarz, alles Gute!
Mehr zum Thema