"Da möchte man gerne dabei sein"
Ein Projekt in Berlin zu bekommen, sei für internationale Architekten "immer noch eine absolute Auszeichnung", sagt Wilfried Wang, Professor für Architektur an der University of Texas in Austin anlässlich der Schau "Das ungebaute Berlin" im Café Moskau mit 100 Entwürfen, die nie realisiert wurden.
Dieter Kassel: Dirk Fuhrig mit seinem Fazit über die Ausstellung "Das ungebaute Berlin", zu sehen im Café Moskau, selbstverständlich in Berlin. Bei mir im Studio ist jetzt Wilfried Wang. Er ist Professor für Architektur an der University of Texas in Austin, und er betreibt hier in Berlin zusammen mit einer Kollegin ein Architekturbüro. Schönen guten Tag, Herr Wang!
Wilfried Wang: Guten Tag!
Kassel: Wenn man das Ende des Beitrags mal aufnehmen, von diesen 100 Entwürfen, was ist denn für Sie dabei, wo Sie sagen, das ist eigentlich extrem bedauerlich, dass das nie verwirklicht werden konnte?
Wang: Also ich denke, dass die grundlegenden landschaftlichen Überlegungen, die Hans Scharoun angestellt nach dem Zweiten Weltkrieg, dass die Spree nicht irgendwie ein größerer Fluss in der Landschaftsgestaltung geworden ist, ist höchst bedauerlich. Und ich glaube, das zeigt sich ganz besonders am Spreebogen, wo die Breite ja wirklich ziemlich mickrig ist und im Vergleich zum Rhein alles andere … also der Fluss wirkt einfach da wie ein Kanal. Und das Großzügige an Scharouns Visionen war eben, eine Versöhnung zwischen Topografie, zwischen Natur, das, was damals noch übrig geblieben ist, mit einer anderen, auch effizienteren, moderneren Stadtstruktur zu verbinden, was ja auch teilweise gebaut wurde. Ich will nicht alles schönreden, was Herr Scharoun gemacht hat, aber das ist, glaube ich, einer der wesentlichen Merkmale, die, ja, die wir als eine Art Verlust, als nicht Gebautes, als eine Art verlorene Utopie bezeichnen müssten.
Kassel: Wie ist es, wenn wir jetzt mal die Entwürfe von Albert Speer für diese Germania-Vision mal weglassen, da wird, glaube ich, jeder sagen, da bin ich froh, dass das nicht entstanden ist, aber jenseits dieses Beispiels, was sind denn für Sachen dabei für Sie in dieser Ausstellung, wo Sie sagen, au!, also selbst mit einem Gefühl für die jeweilige Zeit kann man das nicht mehr nachvollziehen, was die sich damals gedacht haben?
Wang: Ja, also ich denke, dazu gehören viele Nachkriegsprojekte, die sehr, sehr monoton geworden wären. Also man kriegt etwas davon zu spüren, wenn man zum Beispiel in der Siemensstadt ist. Das ist ja etwas aufgelockerter, auch mit einer gewissen Landschaftsgestaltung verbunden, aber es ist trotzdem recht monoton und sehr großflächig. Und das wäre jetzt in Charlottenburg größtenteils zum Beispiel durchgeführt worden oder um die Gedächtniskirche herumgebaut worden, das wäre wirklich schrecklich geworden. Auch merkwürdig, ein Projekt von Sergius Ruegenberg, kurz nach dem Krieg einen Flughafen direkt am Zoo zu bauen oder unter den Überführungen, Bahnüberführungen noch eine Landebahn zu ziehen, also das sind so Kuriositäten, die wirklich gestalterisch ganz schön sind, aber wirklich absurd, aus heutiger Sicht.
Kassel: Es ist ja immer so, dass einem eine Stadt, wenn man in dieser Stadt wohnt, eigentlich ja immer normal vorkommt, man gewöhnt sich ja an das, was man sieht. Und wenn man jetzt das heutige Berlin vergleicht mit sagen wir mal London, Paris, von mir auch aus Rom, Madrid, sogar Stockholm, dann fällt einem erst im direkten Vergleich ein, wie heterogen die architektonischen Stile sind, auch bei dem, was verwirklicht wurde. Woher kommt denn das, dass Berlin so viel unterschiedliche Dinge ermöglicht hat?
Wang: Ja, Berlin ist im Krieg zerstört worden, wie wir alle wissen, und natürlich in der Nachkriegszeit noch weiter zerstört durch die Neuplanung, durch die Achsenschneidungen der großen Autobahn und so weiter, und dadurch sind viele Restflächen entstanden, die nicht mehr zueinanderpassten. Dadurch gibt es eben Möglichkeiten, einerseits größere Projekte zu entwerfen, andererseits aber auch die Problematik, wie verbinden wir denn diese großen Flächen, zum Beispiel um die Bahnhöfe, die ehemaligen Bahnhöfe, Anhalter Bahnhof oder Gleisdreieck und so weiter. Das sind ja alles riesige Areale mitten in der Stadt. Und da ist es der Stadtplanung bislang nicht gelungen, Visionen zu entwickeln, die diese größeren Flächen miteinander wieder verbinden.
Kassel: Das heißt, es klang ja so, diese Heterogenität, die es in Berlin gibt, empfinden Sie eher als Nachteil?
Wang: Nein, absolut nicht. Das ist natürlich eine Projektionsfläche nicht nur für Architekten, sondern eigentlich auch natürlich für Stadtpolitiker, wenn sie denn mal sagen wir mal erwachsen werden und sich mit solchen Fragen auch intensiv beschäftigen und nicht nur zurückgewandt immer sagen, ja, da müsste man den historischen Stadtgrundriss wiedererrichten, wo eigentlich dieses Leben gar nicht mehr da ist.
Kassel: Sie sind sehr viel international unterwegs, ich hab es erwähnt, unterrichten in Texas, haben in Großbritannien viel, viel gemacht – wie ist denn eigentlich heute der Ruf Berlins unter internationalen Architekten? Ist es für die immer noch ein beliebtes Spielfeld?
Wang: Absolut. Also wenn man hier ein Projekt bekäme, aus internationaler Sicht ist es immer noch eine absolute Auszeichnung. Die Geschichte Berlins ist so reich an zahlreichen, namhaften Architekten, ob es nun international oder nationale Architekten sind, Mies van der Rohe, Frank Gehry und so weiter, da möchte man gerne dabei sein. Das Problem in Berlin ist, dass es eine mangelnde Bauherrenschaft gibt, also seitens der öffentlichen Hand oder auf der privaten Seite. Berlin ist bekannterweise pleite, also so viele Impulse kommen leider nicht von der Stadt selbst. Und wenn sie dann kommen, dann – so war es jedenfalls in der Ära unter dem Senatsbaudirektor Herr Stimmann, das wurde dann größtenteils unter dem Freundeskreis dann aufgeteilt. Und das war natürlich misslich.
Kassel: Wie ist das in der Geschichte gewesen in Berlin, das ist ja eine große Diskussion, wie Architekturaufträge eigentlich verteilt werden, also die Frage, inzwischen ist es auch eine EU-Rechtsfrage, aber natürlich denkt man eigentlich an diese traumhafte Ausschreibung und es gibt ein seriöses Komitee, eine Jury, und der Bessere gewinnt. Ist das nicht ohnehin so ein bisschen ein Mythos, auch wenn man in die Geschichte guckt?
Wang: Ja, wo Menschen sind, wird immer gemenschelt, und ich denke, im Idealfall ist es natürlich so, auch in der parlamentarischen Demokratie, dass die besten Ideen in das beste Gesetz gegossen werden und dann vernünftig zur Anwendung kommen. Bei einem Architekturwettbewerb ist das genau das gleiche Problem, also wenn man die Jury falsch besetzt, kriegt man auch ein falsches Ergebnis heraus. Ich will jetzt nicht sagen, dass der Entwurf für Schloss Humboldt-Forum ein falsches Ergebnis ist, ich glaube, unter den abgegebenen Entwürfen war es immer noch das Beste. Aber man kann vielleicht sagen, die Fragestellung war falsch – grundsätzlich. Und es gibt eben verschiedene Stufen, bevor man überhaupt so eine Auslobung betreibt, um auf ein wirklich tolles Ergebnis zu kommen. Wenn diese Stufen nicht richtig erklommen werden, dann ist das Ergebnis leider vielleicht in diesem Fall auch wie beim Humboldt-Forum auch wieder mal Utopie.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit dem Architekten Wilfried Wang eigentlich über die Ausstellung "Die ungebaute Stadt", wo im Moment in Berlin 100 Entwürfe aus ungefähr den letzten 100 Jahren zu sehen sind, die nicht verwirklicht wurden. Aber lassen Sie uns trotzdem ruhig in die Zukunft schauen, Sie haben ein bisschen angefangen jetzt gerade mit dem Schlossplatz, mit dem Humboldt-Forum. Es gibt ja noch ein paar zentrale Orte in Berlin, die Raum für architektonische Entwürfe bieten: Der Alexanderplatz soll neu gestaltet werden, viele andere Orte. Glauben Sie denn – gewagte Forderung –, dass die nächsten 100 Jahre dann noch mal genauso spannend werden können wie die vergangenen 100?
Wang: Ja, absolut. Also es gibt riesige Flächen, wir hatten es gerade gesagt, um den Hauptbahnhof herum, Gleisdreieck, am Nordbahnhof, am Anhalter Bahnhof, Tempelhof, Tegel. Es gibt keine Stadt der Welt, die so viele zentrale Flächen besitzt, die eine derartige Bedeutung erzielen können und eine Symbolkraft über die ganze Stadt ausüben könnten. Und das Areal vom Schlossplatz bis zum Alexanderplatz mit dem Marx-Engels-Forum ist das Filetstück Berlins, worüber jetzt auch nachzudenken ist. Und dieses Nachdenken findet aber noch nicht wirklich statt.
Kassel: Aber wenn wir gerade mal den Flughafen Tempelhof nehmen, eines der größten Gebäude der Welt, das ja nicht abgerissen werden kann und soll … Es gibt diesen berühmten Spruch von den Architekten in New York. Ich glaube, nirgendwo leben so viele Architekten wie in New York, da können sie bloß nicht arbeiten, weil da kein Platz ist, um was zu bauen. Ist nicht die Zukunft der Architektur, auch wenn man sich diese Entwürfe anguckt, die sehr oft einen radikalen Neuanfang gefordert haben, die auch abreißen wollten, etwas vom Scratch, wie man auf Englisch sagt, neu gestalten, ist nicht die Zukunft der Architektur eher das Verändern von vorhandener Substanz?
Wang: Ja, ich glaube, das ist auch etwas, was in der großen Tradition hier in Berlin seit der IBA 84/87 stattgefunden hat. Da war ja die Hälfte die Stadterneuerung mit Hardt-Waltherr Hämer ein sehr, sehr wichtiger Bestandteil dieser sehr innovativen internationalen Bauausstellung, und da hat sich auch gezeigt, wie man vorgehen muss mit den Bewohnern, mit den Inhabern, mit den Besetzern, um eine vernünftige Lösung, die dauerhaft, also nachhaltig ist, zu erzielen. Und genauso gilt es für größere Flächen, eher riesige Areale natürlich, mit vielen Betroffenen zu sprechen. Das ist eine sehr mühsame Arbeit, aber ohne diese integrative Arbeit mit den Betroffenen gibt es heute keine Lösungen mehr.
Kassel: Da sind wir schon bei der Zukunft. Die Vergangenheit, die nicht gebaute Vergangenheit Berlins, ist im Moment zu sehen und wird zu sehen sein noch bis zum 15. August in der Karl-Marx-Allee 34 im Café Moskau – das Ganze heißt dann "Die ungebaute Stadt". Und neben ein paar erschreckenden Dingen, das kann ich versprechen, sieht man auch ziemlich viel Belustigendes, und bei manchem ist man dann auch sehr traurig, dass es nie gebaut wurde. Der Architekt Wilfried Wang war bei uns im Studio. Ich danke Ihnen sehr, dass Sie da waren!
Wang: Danke!
Wilfried Wang: Guten Tag!
Kassel: Wenn man das Ende des Beitrags mal aufnehmen, von diesen 100 Entwürfen, was ist denn für Sie dabei, wo Sie sagen, das ist eigentlich extrem bedauerlich, dass das nie verwirklicht werden konnte?
Wang: Also ich denke, dass die grundlegenden landschaftlichen Überlegungen, die Hans Scharoun angestellt nach dem Zweiten Weltkrieg, dass die Spree nicht irgendwie ein größerer Fluss in der Landschaftsgestaltung geworden ist, ist höchst bedauerlich. Und ich glaube, das zeigt sich ganz besonders am Spreebogen, wo die Breite ja wirklich ziemlich mickrig ist und im Vergleich zum Rhein alles andere … also der Fluss wirkt einfach da wie ein Kanal. Und das Großzügige an Scharouns Visionen war eben, eine Versöhnung zwischen Topografie, zwischen Natur, das, was damals noch übrig geblieben ist, mit einer anderen, auch effizienteren, moderneren Stadtstruktur zu verbinden, was ja auch teilweise gebaut wurde. Ich will nicht alles schönreden, was Herr Scharoun gemacht hat, aber das ist, glaube ich, einer der wesentlichen Merkmale, die, ja, die wir als eine Art Verlust, als nicht Gebautes, als eine Art verlorene Utopie bezeichnen müssten.
Kassel: Wie ist es, wenn wir jetzt mal die Entwürfe von Albert Speer für diese Germania-Vision mal weglassen, da wird, glaube ich, jeder sagen, da bin ich froh, dass das nicht entstanden ist, aber jenseits dieses Beispiels, was sind denn für Sachen dabei für Sie in dieser Ausstellung, wo Sie sagen, au!, also selbst mit einem Gefühl für die jeweilige Zeit kann man das nicht mehr nachvollziehen, was die sich damals gedacht haben?
Wang: Ja, also ich denke, dazu gehören viele Nachkriegsprojekte, die sehr, sehr monoton geworden wären. Also man kriegt etwas davon zu spüren, wenn man zum Beispiel in der Siemensstadt ist. Das ist ja etwas aufgelockerter, auch mit einer gewissen Landschaftsgestaltung verbunden, aber es ist trotzdem recht monoton und sehr großflächig. Und das wäre jetzt in Charlottenburg größtenteils zum Beispiel durchgeführt worden oder um die Gedächtniskirche herumgebaut worden, das wäre wirklich schrecklich geworden. Auch merkwürdig, ein Projekt von Sergius Ruegenberg, kurz nach dem Krieg einen Flughafen direkt am Zoo zu bauen oder unter den Überführungen, Bahnüberführungen noch eine Landebahn zu ziehen, also das sind so Kuriositäten, die wirklich gestalterisch ganz schön sind, aber wirklich absurd, aus heutiger Sicht.
Kassel: Es ist ja immer so, dass einem eine Stadt, wenn man in dieser Stadt wohnt, eigentlich ja immer normal vorkommt, man gewöhnt sich ja an das, was man sieht. Und wenn man jetzt das heutige Berlin vergleicht mit sagen wir mal London, Paris, von mir auch aus Rom, Madrid, sogar Stockholm, dann fällt einem erst im direkten Vergleich ein, wie heterogen die architektonischen Stile sind, auch bei dem, was verwirklicht wurde. Woher kommt denn das, dass Berlin so viel unterschiedliche Dinge ermöglicht hat?
Wang: Ja, Berlin ist im Krieg zerstört worden, wie wir alle wissen, und natürlich in der Nachkriegszeit noch weiter zerstört durch die Neuplanung, durch die Achsenschneidungen der großen Autobahn und so weiter, und dadurch sind viele Restflächen entstanden, die nicht mehr zueinanderpassten. Dadurch gibt es eben Möglichkeiten, einerseits größere Projekte zu entwerfen, andererseits aber auch die Problematik, wie verbinden wir denn diese großen Flächen, zum Beispiel um die Bahnhöfe, die ehemaligen Bahnhöfe, Anhalter Bahnhof oder Gleisdreieck und so weiter. Das sind ja alles riesige Areale mitten in der Stadt. Und da ist es der Stadtplanung bislang nicht gelungen, Visionen zu entwickeln, die diese größeren Flächen miteinander wieder verbinden.
Kassel: Das heißt, es klang ja so, diese Heterogenität, die es in Berlin gibt, empfinden Sie eher als Nachteil?
Wang: Nein, absolut nicht. Das ist natürlich eine Projektionsfläche nicht nur für Architekten, sondern eigentlich auch natürlich für Stadtpolitiker, wenn sie denn mal sagen wir mal erwachsen werden und sich mit solchen Fragen auch intensiv beschäftigen und nicht nur zurückgewandt immer sagen, ja, da müsste man den historischen Stadtgrundriss wiedererrichten, wo eigentlich dieses Leben gar nicht mehr da ist.
Kassel: Sie sind sehr viel international unterwegs, ich hab es erwähnt, unterrichten in Texas, haben in Großbritannien viel, viel gemacht – wie ist denn eigentlich heute der Ruf Berlins unter internationalen Architekten? Ist es für die immer noch ein beliebtes Spielfeld?
Wang: Absolut. Also wenn man hier ein Projekt bekäme, aus internationaler Sicht ist es immer noch eine absolute Auszeichnung. Die Geschichte Berlins ist so reich an zahlreichen, namhaften Architekten, ob es nun international oder nationale Architekten sind, Mies van der Rohe, Frank Gehry und so weiter, da möchte man gerne dabei sein. Das Problem in Berlin ist, dass es eine mangelnde Bauherrenschaft gibt, also seitens der öffentlichen Hand oder auf der privaten Seite. Berlin ist bekannterweise pleite, also so viele Impulse kommen leider nicht von der Stadt selbst. Und wenn sie dann kommen, dann – so war es jedenfalls in der Ära unter dem Senatsbaudirektor Herr Stimmann, das wurde dann größtenteils unter dem Freundeskreis dann aufgeteilt. Und das war natürlich misslich.
Kassel: Wie ist das in der Geschichte gewesen in Berlin, das ist ja eine große Diskussion, wie Architekturaufträge eigentlich verteilt werden, also die Frage, inzwischen ist es auch eine EU-Rechtsfrage, aber natürlich denkt man eigentlich an diese traumhafte Ausschreibung und es gibt ein seriöses Komitee, eine Jury, und der Bessere gewinnt. Ist das nicht ohnehin so ein bisschen ein Mythos, auch wenn man in die Geschichte guckt?
Wang: Ja, wo Menschen sind, wird immer gemenschelt, und ich denke, im Idealfall ist es natürlich so, auch in der parlamentarischen Demokratie, dass die besten Ideen in das beste Gesetz gegossen werden und dann vernünftig zur Anwendung kommen. Bei einem Architekturwettbewerb ist das genau das gleiche Problem, also wenn man die Jury falsch besetzt, kriegt man auch ein falsches Ergebnis heraus. Ich will jetzt nicht sagen, dass der Entwurf für Schloss Humboldt-Forum ein falsches Ergebnis ist, ich glaube, unter den abgegebenen Entwürfen war es immer noch das Beste. Aber man kann vielleicht sagen, die Fragestellung war falsch – grundsätzlich. Und es gibt eben verschiedene Stufen, bevor man überhaupt so eine Auslobung betreibt, um auf ein wirklich tolles Ergebnis zu kommen. Wenn diese Stufen nicht richtig erklommen werden, dann ist das Ergebnis leider vielleicht in diesem Fall auch wie beim Humboldt-Forum auch wieder mal Utopie.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit dem Architekten Wilfried Wang eigentlich über die Ausstellung "Die ungebaute Stadt", wo im Moment in Berlin 100 Entwürfe aus ungefähr den letzten 100 Jahren zu sehen sind, die nicht verwirklicht wurden. Aber lassen Sie uns trotzdem ruhig in die Zukunft schauen, Sie haben ein bisschen angefangen jetzt gerade mit dem Schlossplatz, mit dem Humboldt-Forum. Es gibt ja noch ein paar zentrale Orte in Berlin, die Raum für architektonische Entwürfe bieten: Der Alexanderplatz soll neu gestaltet werden, viele andere Orte. Glauben Sie denn – gewagte Forderung –, dass die nächsten 100 Jahre dann noch mal genauso spannend werden können wie die vergangenen 100?
Wang: Ja, absolut. Also es gibt riesige Flächen, wir hatten es gerade gesagt, um den Hauptbahnhof herum, Gleisdreieck, am Nordbahnhof, am Anhalter Bahnhof, Tempelhof, Tegel. Es gibt keine Stadt der Welt, die so viele zentrale Flächen besitzt, die eine derartige Bedeutung erzielen können und eine Symbolkraft über die ganze Stadt ausüben könnten. Und das Areal vom Schlossplatz bis zum Alexanderplatz mit dem Marx-Engels-Forum ist das Filetstück Berlins, worüber jetzt auch nachzudenken ist. Und dieses Nachdenken findet aber noch nicht wirklich statt.
Kassel: Aber wenn wir gerade mal den Flughafen Tempelhof nehmen, eines der größten Gebäude der Welt, das ja nicht abgerissen werden kann und soll … Es gibt diesen berühmten Spruch von den Architekten in New York. Ich glaube, nirgendwo leben so viele Architekten wie in New York, da können sie bloß nicht arbeiten, weil da kein Platz ist, um was zu bauen. Ist nicht die Zukunft der Architektur, auch wenn man sich diese Entwürfe anguckt, die sehr oft einen radikalen Neuanfang gefordert haben, die auch abreißen wollten, etwas vom Scratch, wie man auf Englisch sagt, neu gestalten, ist nicht die Zukunft der Architektur eher das Verändern von vorhandener Substanz?
Wang: Ja, ich glaube, das ist auch etwas, was in der großen Tradition hier in Berlin seit der IBA 84/87 stattgefunden hat. Da war ja die Hälfte die Stadterneuerung mit Hardt-Waltherr Hämer ein sehr, sehr wichtiger Bestandteil dieser sehr innovativen internationalen Bauausstellung, und da hat sich auch gezeigt, wie man vorgehen muss mit den Bewohnern, mit den Inhabern, mit den Besetzern, um eine vernünftige Lösung, die dauerhaft, also nachhaltig ist, zu erzielen. Und genauso gilt es für größere Flächen, eher riesige Areale natürlich, mit vielen Betroffenen zu sprechen. Das ist eine sehr mühsame Arbeit, aber ohne diese integrative Arbeit mit den Betroffenen gibt es heute keine Lösungen mehr.
Kassel: Da sind wir schon bei der Zukunft. Die Vergangenheit, die nicht gebaute Vergangenheit Berlins, ist im Moment zu sehen und wird zu sehen sein noch bis zum 15. August in der Karl-Marx-Allee 34 im Café Moskau – das Ganze heißt dann "Die ungebaute Stadt". Und neben ein paar erschreckenden Dingen, das kann ich versprechen, sieht man auch ziemlich viel Belustigendes, und bei manchem ist man dann auch sehr traurig, dass es nie gebaut wurde. Der Architekt Wilfried Wang war bei uns im Studio. Ich danke Ihnen sehr, dass Sie da waren!
Wang: Danke!