"Da kriegt man doch die kalte Wut"

Moderation: Hanns Ostermann · 17.01.2008
Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Jörg Schönbohm, hat eine Verschärfung des Strafrechts bei Jugendkriminalität gefordert. Der CDU-Politiker nannte als mögliche Maßnahmen den Warnschussarrest und ein begrenztes Fahrverbot für straffällig gewordene Jugendliche.
Hanns Ostermann: Die Innenministerkonferenz ist kein Wahlkampfgremium. Erhart Körting meinte das gestern. Der Berliner Innensenator übergab den Vorsitz der Innenministerkonferenz an seinen Brandenburger Kollegen Jörg Schönbohm von der CDU. Ein bemerkenswerter Satz war das, denn zurzeit jagt ein neuer nicht selten populistischer Vorschlag zur Bekämpfung der Jugendkriminalität den anderen. Nicht selten schütteln Fachleute den Kopf, wenn sie vor allem Lösungsvorschläge aus dem hessischen Wahlkampf zu hören bekommen. Und welche Positionen bezieht der neue Mann an der Spitze der Innenministerkonferenz Jörg Schönbohm? – Ich freue mich, dass wir ihn jetzt am Telefon von Deutschlandradio Kultur haben. Guten Morgen Herr Schönbohm!

Jörg Schönbohm: Einen wunderschönen guten Morgen!

Ostermann: Sie gelten als Mann klarer Worte in der CDU. Manche bezeichnen Sie auch als Hardliner mit Verlaub. Sind Sie denn jetzt eher für die helfende Hand des Staates oder für die strafende, was junge Täter betrifft?

Schönbohm: Als erfahrener Familienvater und mehrfacher Großvater sage ich, beides ist notwendig. Zu Ihrer einleitenden Bemerkung will ich sagen, ich bin seit zwölf Jahren in der Innenministerkonferenz. Ich bin genau auf den Tag vor zwölf Jahren zum ersten Mal dort als Teilnehmer gewesen. In der Frage der Jugendgewalt, der Jugendkriminalität haben wir zwischen CDU und SPD immer eine unterschiedliche Auffassung gehabt. Wir haben uns angenähert! Die Aufgabe des Vorsitzenden der Innenministerkonferenz besteht darin, diese unterschiedlichen Positionen so weit wie möglich zur Übereinstimmung zu bringen, dass es daraus ein gemeinsames Handeln gibt, und auf diesem Weg sind wir. Wir haben im Dezember in der Innenministerkonferenz einen Bericht zur Jugendgewalt zur Kenntnis genommen. Da haben wir wieder festgestellt: die CDU-Innenminister wollten stärkere repressive Maßnahmen, die SPD hat das abgelehnt. Da wir das Einstimmigkeitsprinzip haben, haben wir gesagt, wir wollen noch weitere Aufgaben erfüllen und im April bei der nächsten Innenministerkonferenz dann darüber entscheiden und Empfehlungen abgeben. Dann werden wir sehen, ob wir uns verständigen. Wenn wir uns in der Innenministerkonferenz nicht verständigen, ist es Sache der Bundestagsfraktionen, zu einem gemeinsamen Gesetzesentwurf zu kommen, wo wir dann hilfreich zur Seite stehen können. Ich glaube, das Thema ist zu wichtig, als dass es jetzt nach dem Wahlkampf wirklich zu gemeinsamen Lösungen kommen muss. Da bin ich aufgrund der zwölfjährigen Erfahrung in der Innenministerkonferenz doch ganz zuversichtlich, dass wir bessere Lösungen bekommen als zurzeit.

Ostermann: Herr Schönbohm, Sie müssen als Vorsitzender dieser wichtigen Konferenz vermitteln. Das ist ja deutlich geworden. Mir ist noch nicht ganz klar geworden: Setzen Sie sich jetzt für schärfere Strafen gegen junge Täter ein oder nicht?

Schönbohm: Ich setze mich ein für schärfere Strafen. Ich bin zum Beispiel dafür und werbe auch dafür, dass das Thema Warnschussarrest auf die Tagesordnung kommt. Das bedeutet, wenn Jugendliche eine Bewährungsstrafe bekommen, dass sie dennoch, obwohl es eine Strafe ist, die zur Bewährung ausgesetzt wird, für vier Wochen sozusagen in Arrest gehen, damit sie wissen, was geschieht, wenn sie sich wieder eine Straftat zu Schulden kommen lassen. Ich bin dafür, dass man erörtert, inwieweit man Jugendlichen deutlich machen kann, dass sie auf einem falschen Weg sind, indem man zum Beispiel ein Fahrverbot ausspricht für eine begrenzte Zeit, auch wenn der Verstoß nicht im Zusammenhang mit einem fehlerhaften Fahrverhalten oder mit einem anderen Verhalten zu sehen ist. Das sind die Fragen, über die wir meine ich sprechen müssen, und ich habe den Eindruck, dass dazu auch eine Bereitschaft da ist, die sich in den nächsten Wochen dann vielleicht etwas weiter ausprägen kann.

Ostermann: Es handelte sich bei den Diskussionen der letzten Wochen überwiegend um deutsche Straftäter mit Migrationshintergrund. Ist der Blick nicht häufig bei uns einseitig, wenn auf Jugendliche mit Migrationshintergrund geschielt wird und die Probleme im eigenen Land – etwa in Brandenburg – geleugnet werden?

Schönbohm: Ich habe die Probleme in Brandenburg nie geleugnet.

Ostermann: "Geleugnet" nehme ich auch zurück, aber in den Hintergrund rücken.

Schönbohm: In der jetzigen Diskussion sind sie in den Hintergrund getreten. Aus dem Bericht, den wir gemeinsam erörtert haben, geht hervor, dass die Jugendgewaltbereitschaft zugenommen hat. 42 Prozent aller Gewaltstraftaten werden von Jugendlichen begangen. In den Ballungsräumen sind die Intensivtäter mit Migrationshintergrund weit über 50 Prozent vertreten. In Brandenburg haben wir wenig Mitbürger mit Migrationshintergrund. Von daher gesehen sind die überwiegenden Straftäter, die Gewaltstraftaten begehen, deutsche Jugendliche. Darum ist das Thema Gewaltstraftaten insgesamt. Diese Position vertrete ich schon seit sehr langer Zeit.

Ich muss aber noch etwas sagen. Wir haben in Deutschland mehr linksextremistische Gewaltstraftaten als rechtsextremistische Gewaltstraftaten im letzten Jahr gehabt. Wir reden häufig nur über rechtsextremistische. Wir müssen aber über alle Gewaltstraftaten reden. Dieses Thema steht auf der Tagesordnung. Migrationshintergrund ist eine Teilmenge davon, eine wichtige Teilmenge, aber es darauf zu reduzieren wäre falsch.

Ostermann: Woran liegt es denn, dass der eine oder andere Politiker auf dem einen Auge blind ist und wenig zur Versachlichung beiträgt?

Schönbohm: Die schrecklichen Bilder, die wir von der U-Bahn aus München gesehen haben, waren Bilder: da kriegt man doch die kalte Wut und auch Hilflosigkeit. Ich bin nun auch ein älterer Mitbürger sozusagen. Wenn ich mir vorstelle, wie da ein älterer Mitbürger einfach zusammengeschlagen wird, nur weil er gesagt hat "rauchen sie doch bitte nicht". Und diese Bilder verselbständigen sich. Ich habe ja nun auch viele Gespräche geführt und jeder, der unter uns lebt, hat selbst damit ein solches Erlebnis. Seine Kinder oder seine Geschwister, seine Freunde haben ein solches Erlebnis gehabt. Von daher gesehen ist das Thema mit einer hohen Emotionalität verbunden und das spielt natürlich in Wahlkämpfen mit eine Rolle. Darum glaube ich ist es jetzt wichtig, dass wir in der Innenministerkonferenz den Weg gehen, den Bericht, den wir angefordert haben, noch mal weiter zu verfeinern und darauf dann in einer intensiven Diskussion zu sehen, was wir empfehlen können. Die Gesetze, die gemacht werden, müssen natürlich von der Bundestagsfraktion kommen, aber die Länder können auch etwas tun. - Ich darf noch einen Punkt ganz kurz erwähnen. Das Thema Verfahrensbeschleunigung ist ja auch auf der Tagesordnung.

Ostermann: Zum Beispiel und ich habe gleich noch ein weiteres Beispiel. Wenn die Zahlen stimmen, dass sich ein Sozialarbeiter um 30 Gefangene kümmert, oder ein anderes Beispiel: ein Bewährungshelfer um 70 Delinquenten, dann stellt sich doch die Frage, warum hier nicht mehr getan wird.

Schönbohm: Die Datenlage ist im Augenblick unübersichtlich. Beispielsweise wie sieht es aus bei Jugendämtern? Das gehört zu einer kommunalen Trägerschaft, zum Teil aber auch zu den Landkreisen. Da gibt es zwischen den Gemeinden Unterschiede und auch zwischen den Bundesländern. Wir in Brandenburg sind das Land, das am meisten nach Erwachsenenstrafrecht bestraft bei Heranwachsenden. Bei uns sind es rund 65 Prozent. In anderen Ländern, die weiter im Süden liegen, ist die Zahl geringer. Da gibt es also Unterschiede. Das muss jetzt alles aufbereitet werden und dann muss man sehen, welche Möglichkeiten es gibt. Ich hoffe, dass es nach dem Wahlkampf auch vor dem Hintergrund der hohen Emotionalität zu einer Versachlichung kommt, denn die Bürger erwarten, dass wir das Thema jetzt mal so angehen, dass wir Lösungsmöglichkeiten präsentieren können, die wir gemeinsam vertreten. Darin sehe ich meine Aufgabe.

Ostermann: Herr Schönbohm glauben Sie, dass mit dem scharfen Wahlkampf Roland Kochs der rechte Rand bekämpft wird?

Schönbohm: Davon gehe ich aus, denn die rechtsextremistischen Parteien spielen ja in Hessen praktisch im Wahlkampf keine Rolle. In Sachsen und in Mecklenburg-Vorpommern haben wir sie im Landtag. In Brandenburg haben wir die DVU im Landtag. Also ich glaube schon, dass das denen das Wasser von den Mühlen nimmt. Man muss aber sehen, wie das Gesamtergebnis dann ist.