"Da ging Sepp Blatter voll drauf ab"

Bruno Affentranger im Gespräch mit Katrin Heise · 01.06.2011
Der Weltfußballlverband FIFA sieht sich immer wieder mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert, wobei vor allem FIFA-Präsident Joseph "Sepp" Blatter im Zentrum der Kritik steht. Doch der 75-Jährige hat den Weltfußball zu seiner Mission gemacht und will sich davon nicht abbringen lassen.
Katrin Heise: "Wir alle fahren auf diesem Schiff namens FIFA in bewegten Wassern, um nicht zu sagen, turbulenten Gewässern, aber wir sind auf gutem Kurs, und ich als Kapitän dieses Schiffes trage die Verantwortung – das kann ich aber nur tun, wenn Sie mir dabei helfen."

Das ist ein Zitat aus der Eröffnungsrede, mit der sich Sepp Blatter heute in Zürich zur Wiederwahl stellt. Seit zwölf Jahren steht er an der Spitze des Fußballweltverbandes FIFA, er hat ihn zu einem Millionenkonzern geformt, und nun strebt der 75-Jährige also eine vierte Amtszeit an. Heute wird darüber abgestimmt, 208 FIFA-Delegierte sind aufgerufen, ihre Stimme abzugeben, und obwohl ein Tsunami oder, in anderen Meldungen, eine Revolution gegen Blatter angekündigt war und es gestern auch ganz schön große Aufregung gab – letztlich lehnten sich nur der englische und der schottische Fußballverband gegen ihn auf, aber ihr Antrag auf Wahlverschiebung wurde gerade abgelehnt: Es wird also gewählt in Zürich. Der Journalist und Autor Bruno Affentranger hat sich eingehend mit der Person Joseph Blatter und seinem System und der FIFA auseinandergesetzt, ich begrüße ihn jetzt direkt am Handy in der Schweiz, Herr Affentranger, schönen guten Tag!

Bruno Affentranger: Guten Tag, Frau Heise!

Heise: Ich würde gern erst mal so neutral wie möglich den Menschen Joseph Blatter kennenlernen. Was trieb den eigentlich an, welche Idee hatte er, als er vor 36 Jahren zur FIFA kam?

Affentranger: Er wurde 1974, Ende 1974 kam er durch einen Ruderverbandsfunktionär zur FIFA, der damals den João Havelange kannte, das war der neue Präsident damals der FIFA, und von dem wusste man halt, dass der die FIFA ausbauen möchte, Entwicklungen anschieben möchte und Juniorenweltmeisterschaften ausführen möchte. Da ging Sepp Blatter voll drauf ab, das fand er ganz, ganz toll, er wollte das unbedingt tun, ist dann da eingestiegen und hatte dann 1975 quasi seine Erweckung in Afrika in einem Treffen in Addis Abeba, Äthiopien, wo er wirklich feststellte, dass mit Fußball Entwicklung betrieben werden kann. Und davon ist er bis heute meines Erachtens nie mehr losgekommen, völlige Mission.

Heise: Mission, also tatsächlich idealistische Vorstellungen – ist das auch so ein Typ, so ein missionarischer, so einer, der für sich einnimmt?

Affentranger: Ja, da ist er total widersprüchlich, er stammt aus einem erzkatholischen Haus in der Schweiz, aus einem Winkel der Schweiz, der auch erzkatholisch ist. Sie wissen ja, man darf sündigen, weil man auch wieder beichten kann als Katholik, das ist bei Sepp Blatter sicherlich vorhanden, ein bisschen flapsig. Aber Bestandteil dieses Hauses und dieses Denkens ist natürlich auch, dass man überzogen überzeugt ist von etwas, dass man eine Mission hat, und Sepp Blatter hat diese Mission. Aber bei aller Mission muss man auch nicht vergessen, dass er damit seine Macht erhält und sich ein schönes Netz geknüpft hat.

Heise: Darauf wollen wir auch gleich kommen, mich würde bloß noch eins interessieren: Was für eine FIFA – wenn wir dann mal zurückblicken, so 36 Jahre zurück –, wie war die FIFA damals eigentlich, was für ein Club war das?

Affentranger: Als Sepp Blatter zur FIFA kam, waren da elf Personen in der FIFA-Zentrale tätig, und ja, Sepp Blatter war quasi der Auswechselspieler, der zwölfte Mann, der dann dazu stieß. Und für ihn gab es nicht mal Platz da, deshalb hat er das erste Jahr da in einem Hotel gearbeitet, das Horst Dassler gehörte im Elsass, da wurde er quasi ausquartiert von seinem Präsidenten, und da hat Sepp Blatter die Entwicklungsgeschichte geschrieben und angeschoben. Das Haus war sehr klein, es gab damals sehr wenig Einnahmen, wenig Geld, Sie müssen sich vorstellen, das war die Zeit vor Privat-TV und vor der Zeit, als Fußball ein enorm teures Gut wurde.

Heise: Kaum noch vorstellbar bei Wirtschaftswachstum, Globalisierung mit großen Geldmengen im Umlauf und eben die von Ihnen erwähnten aufkommenden Privatmedien. Ist das also so die Melange, die so zu dieser Entwicklung im Weltfußballverband führte mit den Milliardenumsätzen?

Affentranger: Ja, das muss man sich so vorstellen, dass Sepp Blatter mit einem kleinen Flugzeug eigentlich aufstieg und plötzlich in den Jetstream geriet, der durch die mediale technologische Entwicklung hervorgebracht worden war, und in diesem Jetstream hat er immer mehr Geschwindigkeit gewonnen und musste dann irgendwann dieses kleine Flugzeug halt eintauschen und ein größeres draus machen. So ging das immer weiter.

Heise: "Musste" – das klingt ja fast wie ein Zwang, dem er sich nicht fügen wollte. Man spricht immer vom System Blatter, was macht das eigentlich aus?

Affentranger: Blatter beherrscht das System enorm, dass er Seilschaften knüpfen kann, dass er Freunde auf Zeit gewinnen kann im sportpolitischen Bereich, dass er jeden Menschen fühlen lassen kann, dass er wichtig ist für ihn. Er lässt die Leute aber dann irgendwann auch fallen, die nicht zum innersten Freundeskreis bei ihm gehören, denen gegenüber ist er außerordentlich treu und loyal, aber im sportpolitischen Kreis, da kennt er nichts. Da hat er auch dieses, sagen wir mal, machiavellistische Bewusstsein des Herrschaftswissens klar ausgebetet. Er weiß alles über die anderen, und die anderen wissen nichts über ihn.

Heise: Mit dem Journalisten und Autor Bruno Affentranger spreche ich über den FIFA-Präsidenten Sepp Blatter, der sich heute wiederwählen lässt. Herr Affentranger, wenn man sich die vergangenen Tage so anschaut, da sah es ja wirklich nach Revolte gegen Blatter aus, und dann ist wieder alles Friede und Freude, so was in der Richtung jedenfalls. Warum machen die Fußballverbandspräsidenten das eigentlich mit?

Affentranger: Zunächst mal zum ersten Teil Ihrer Frage: Ich hatte nicht den Eindruck, dass es eine Revolte gegen Sepp Blatter ist, ich hatte den Eindruck, da wollten einfach zwei Männer mit dem Kopf durch die Wand, und ja, also Sepp Blatter stand da eigentlich für meinen Begriff nie zur Diskussion, war auch in England nicht Bestandteil einer Anklage, da sind ja Klagen anhängig, Sepp Blatter als Name wird da nie erwähnt, taucht nirgendwo auf.

Ja, weshalb tun sich das Präsidenten an? Es ist eine gute Frage. Es gibt da zwei Theorien, die ich vertrete, die eine ist: Fußball gibt auch die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg, auch in Clubs. Man kann da Ämter erwerben und reinkommen, die man sonst möglicherweise mit den Voraussetzungen, die man mitbringt, nicht könnte. Man hat dann auch, sagen wir mal, den öffentlichen Auftritt, der überdurchschnittlich groß ist. Das ist sicherlich sehr, sehr wichtig, Reputation ist hier ein Antrieb. Bei Verbandspräsidenten kommt dann noch hinzu: Sobald man im sportpolitischen Bereich ist, hat man auch eben die politische Wichtigkeit, man ist dann quasi Teil der staatlichen Institution und doch nicht ganz, man hat alle Vorteile und die Nachteile muss man nicht tragen. Also das kann man sicherlich so sehen, dass das Antriebe sind für Präsidenten, die sich das antun im Allgemeinen, in allen Ländern der Welt.

Heise: Man nennt die FIFA auch eine Vereinigung mit der Lizenz zum Gelddrucken, sie müssen in den Ländern keine Steuern zahlen und solche Geschichten gehen herum. Sie haben die Anklagen erwähnt – von Korruption geht ja bei der FIFA schon der Laie aus. Warum tropft das eigentlich von Sepp Blatter alles ab?

Affentranger: Ich verfolge Blatter seit Jahren sehr eng, ich habe mit ihm auch immer wieder Gespräche, da ist gegenseitiger Respekt ziemlich vorhanden bei uns, aber es ist nur eine kritische Halbdistanz. Ich habe ihn auch immer wieder natürlich auf diese Korruptionsvorwürfe getestet, ich habe da viel recherchiert, ja, da auch ihm vorgeworfen: Ich habe bis zum heutigen Tag keinen Beweis gefunden, dass er Geld genommen oder gezahlt hätte. Deshalb tropft von ihm sehr vieles ab. Ich habe aber auch nicht den Beweis gefunden, dass das Gegenteil der Fall ist. Aber die Unschuldsvermutung gilt in diesem Fall für mich, wenn ich mit ihm da verkehre und über ihn publiziere, eindeutig.

Heise: Er hat es jetzt selber gesagt, dass die FIFA vor einer Zerreißprobe steht, hat die FIFA aber auch mal mit einer Fußballfamilie verglichen und da sei man aneinandergeschmiedet. Was glauben Sie, was wird er in den nächsten vier Jahren tatsächlich machen, um diese Zerreißprobe zu bestehen?

Affentranger: Ich glaube, wenn man von der FIFA redet, muss man von zwei verschiedenen Dingen reden. Das Erste ist die operative Einheit, ich sage mal, das Unternehmen an sich – ich glaube, das funktioniert und wird auch kontrolliert, auch extern kontrolliert, da gibt es Auditoren und internationale Rechnungslegungen, die nicht Pflicht sind, weil die FIFA ein Verein ist, aber die doch vorgenommen werden seit 2006. Das ist gut. Ich glaube, da muss man noch ein bisschen weiter ausbauen, noch ein bisschen mehr verstärken. Wo wirklich Handlungsbedarf besteht, das ist die andere FIFA, das ist die sportpolitische FIFA, das ist die Ebene des höchsten Organes, nämlich des Kongresses, der jetzt gerade tagt mit 208 stimmenden Delegierten, und das Exekutiv-Komitee mit 24 Mitgliedern. Da müssen neue Regeln gefunden werden, weil die Regeln, die bisher gelten, haben sich überhaupt nicht bewährt, was man an der Vergabe der WM letzten Dezember hat ablesen können.

Heise: Also Sie meinen auch, dass man eine offene Abstimmung einführen müsste?

Affentranger: Ja, das fände ich absolut, das ist Voraussetzung für jegliche transparente Diskussion über vor- und Nachteile von Kandidaturen.

Heise: Sagt Bruno Affentranger – er ist Autor des Buches "Sepp – König der Fußballwelt" – zur heutigen, ja, eventuellen oder sehr wahrscheinlichen Wiederwahl von Sepp Blatter als FIFA-Präsident. Vielen Dank, Herr Affentranger!

Affentranger: Vielen Dank, Frau Heise!


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