Creative Gaming

Computerspiele sind kreativer als ihr Ruf

Besucher spielen am 13.08.2014 in Köln (Nordrhein-Westfalen) am Fachbesuchertag der Computerspielemesse "Gamescom" das Spiels "The Crew".
Besucher auf der Gamescom in Köln © picture alliance / dpa - Henning Kaiser
Von Dirk Schneider · 18.09.2014
Trotz ihrer massenhaften Verbreitung: Computerspiele sind noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Macher des Hamburger Festivals Play 14 wollen das ändern – und legen Wert auf das Creative Gaming.
"Es funktioniert folgendermaßen: Wir sind die Katzen, die alle davon gelaufen sind. Und die Crazy Cat Lady möchte die natürlich wieder einfangen. Jeder steuert sich, indem er so hinter seinem Partner steht, nicht anfasst, sondern einfach nur Kommandos gibt wie: Lauf lauf! Links links! Rechts rechts! Stooopp!"
Die Computerspiele werden die Wohnungen verlassen und auf die Straße gehen. Wie hier in der Hamburger Innenstadt: Street Games nennt man es, wenn Menschen zu Computerspielfiguren werden und viel Spaß dabei haben.
Der Street-Game-Workshop ist Teil von Play 14, dem Festival für kreatives Computerspielen. Aus Düsseldorf ist der Medienpädagoge Heiko Wolf angereist, um Ideen für die Praxis mitzunehmen:
"Ich machs zum ersten Mal, so ein Street Game. Und ich find's total lustig. Also im öffentlichen Raum so was zu spielen. Und vielleicht auch ein bisschen anzuregen, die Leute schauen ja auch schon zu, was machen die da?"
Veranstalter der Play 14 ist die Initiative Creative Gaming. Ihr Ziel ist es:
"Sich Gedanken zu machen: Wie kann ich damit kreativ umgehen, wie kann ich vielleicht selbst gestalterisch aktiv werden, wie kann ich das umdeuten, was ich als programmierte Systeme vorfinde?"
Fragt Vera Marie Rodewald von der Festivalleitung:
"Wie kann ich mich mit Computerspielen ausdrücken? Indem ich Kunstwerke mit Computerspielen mache, indem ich eigene Computerspiele baue oder indem ich Filme mit Computerspielen mache."
Spiele als kreative Hybride
Machinima nennt sich das, eine Zusammensetzung aus "machine" und "cinema": Einige Spiele wie etwa "Sims" haben integrierte Aufzeichnungssysteme, die Spielfiguren können als Schauspieler eingesetzt werden. Oder die Gamix: Von Computerspielen werden Bildschirmfotos gemacht und zu Comics zusammengesetzt. Kreatives Spielen kann also bedeuten, ein Kulturprodukt neu zu lesen. Solche Eigenkreationen sind nichts Ungewöhnliches mehr, Videoplattformen wie YouTube sind voll davon.
Vera Marie Rodewald: "Dann gibt es natürlich auch eine Szene, die 'modden' an Computerspielen: Die versuchen, die 'engine', das Betriebssystem des Spiels, zu modellieren, umzudeuten und eigene Spiele daraus zu entwickeln, die ganz anders aussehen."
Letztendlich bedeutet das Selbstermächtigung: Ich nehme ein Industrieprodukt, ohne mich für seinen eigentlichen Zweck zu interessieren, und nutze es für meine eigenen Interessen. So hat sich zum Beispiel im Multiplayer-Spiel "Halo", in dem man mit anderen Spielern sprechen kann, eine Talkshow etabliert. Ursprünglich geht es in dem Spiel darum, sich gegenseitig zu erschießen.
Die Talkshow muss allerdings von Bodyguards geschützt werden, damit die Gäste nicht erschossen werden. Nicht zuletzt das pädagogische Potential von Computerspielen ist ein großes Thema des Festivals.
Eine Koryphäe auf dem Gebiet ist der Londoner Pädagogik-Professor Andrew Burn:
"In Schulen wird ein althergebrachter und sehr elitärer Kulturbegriff gepflegt, das gilt weltweit. Wir fühlen uns damit sicher – die Literatur und die Kunst haben den Test der Zeit bestanden. Aber niemand wird bestreiten, dass man auch die populäre Gegenwartskultur behandeln sollte. Und darin sind die Kinder Experten, auch wenn uns das manchmal Angst macht. Und es kann eine ebenso große intellektuelle Herausforderung sein, die Erzählung eines Computerspiels zu analysieren wie ein Stück von Shakespeare oder einen Jane-Austen-Roman."
Ansatz für den Schulunterricht
Burn sagt, dass Kinder über Computerspiele oft mehr wissen als über andere Kulturprodukte wie Literatur oder Naturwissenschaften. Das kann ein guter Ansatz für verschiedene Unterrichtsformen sein – für Burn sind Computerspiele einzigartig:
"In Computerspielen wird die Trennung von Kunst und Technik aufgehoben. Das kann bei einem großen gesellschaftlichen Problem helfen: Die Wissenschaftler verstehen die Kultur nicht, die Künstler können nicht mit Zahlen umgehen. Aber die Spiele eröffnen uns auch einen neuen Blick auf die Dinge: Was können wir lernen, wenn wir ein Shakespeare-Stück als Computerspiel umsetzen?"
Dass jeder etwas von Computerspielen lernen kann, versucht die Play 14 noch bis Samstag zu vermitteln – von den Street Games über den Workshop "Gender und Spiele", in dem man neue Geschlechterrollen im Computerspiel austesten kann, bis zum "Probierworkshop Gamesbacken", in dem es tatsächlich darum geht, Spielcharaktere in Keksform zu backen. Nur einen Workshop "Brot und Spiele" wird man auf der Play 14 vergeblich suchen.
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