Cowboy Junkies: "All That Reckoning"

Die Brüchigkeit der Welt

Die kanadische Band Cowboy Junkies, aufgenommen 2010
Die Cowboy Junkies haben ihr erstes neues Album seit sechs Jahren veröffentlicht, es ist persönlich und politisch motiviert. © Latent Recordings
Dirk Schneider im Gespräch mit Carsten Beyer · 18.07.2018
Als sich die kanadische Band Cowboy Junkies 1985 gründete, waren Genrebegriffe wie "Alternative Country" oder "Americana" noch nicht erfunden. Jetzt ist mit "All That Reckoning" ein neues politisches Album erschienen, das zwischen Angst und Hoffnung schwankt.
Carsten Beyer: Mit ihrem Album "All That Reckoning" haben die Cowboy Junkies ihr erstes neues Album seit sechs Jahren veröffentlicht. Wir haben unseren Musikredakteur Dirk Schneider gefragt, ob es einen bestimmten Grund gab, dass die Band aus Toronto nun wieder ein neues Album gemacht hat?

Dirk Schneider: Persönlich und politisch motiviert, und da können wir gleich mal Michael Timmins, den Gitarristen und Songwriter der Cowboy Junkies hören, mit dem ich über das Album gesprochen habe…
Michael Timmins: "Wir waren auf Tour, ich habe mit anderen Bands gespielt und als Produzent gearbeitet. Ich war nicht motiviert, neue Songs für die Cowboy Junkies zu schreiben. Ich brauche immer einen Grund, Songs zu schreiben. Aber dann wurde es politisch düsterer, und auch meine privaten Beziehungen haben sich auf komische Weise verändert. Ich habe über diese privaten Dinge geschrieben und festgestellt, dass das auch soziale und politische Aspekte hatte, dass es nicht nur um meine Innenleben dabei ging, sondern auch um die Welt da draußen. Und da passierte dann etwas, das Fahrt aufnahm."
Beyer: Und wie vermischt sich das auf diesem Album, das Politische und das Private?

Schneider: Ich würde sagen, es vermischt sich total. Die Texte schwanken zwischen Angst und Hoffnung, sie sind wirklich sehr intim – Michael Timmins hat mir erzählt, es sei vor allem die Angst um die Zukunft seiner Kinder, die ihn umtreibt, und schon da lässt sich ja auch die Angst vor politischen Entwicklungen und das Private nicht mehr trennen. Wir hören mal rein in den Song "When We Arrive".
Margo Timmins, singt hier in den Texten ihres Bruders von der Ankunft in einem neuen Zeitalter, dem Zeitalter des Zerfalls, des Todes und der Wut, das ist sehr bitter. Und sie legt dabei aber trotzdem die Hoffnung auf den privaten Zusammenhalt: Lass uns an der Hand halten, wenn wir ankommen, singt sie, und lass uns mit Hoffnung agieren. Das ist aber eher Zweckoptimismus, wie Michael Timmins sagt:
Timmins: "Es ist schon schwer, jeden Tag aufzustehen und die Nachrichten zu lesen. Aber Amerika hat schon sehr schwere Zeiten durchgemacht und ist immer heil rausgekommen. Insofern halte ich an der Vorstellung fest, dass die USA gerade eine sehr dunkle Zeit durchmachen, auf die wieder eine hellere Phase folgen wird. Was bleibt mir auch anderes übrig. Ich habe Kinder, die hoffentlich noch lange in dieser Welt leben werden."
Beyer: Ein bisschen Musik haben wir schon gehört – neu klingt das ja überhaupt nicht, nach dem ersten Eindruck würde ich sagen, das hätten die Cowboy Junkies auch vor einem Vierteljahrhundert schon machen können.
Schneider: Das stimmt – wobei die Band vor 25 Jahren vielleicht noch nicht diese Ruhe, diese Selbstverständlichkeit hatte, mit der sie ihre Musik heute macht. Für mich hat das manchmal etwas Tiefes, Gelassenes, fast Weises, an anderen Stellen wirkt es dann wieder routiniert und ein bisschen langweilig – man könnte sich hervorragend streiten, ob die Band ihr eigenes Klischee reproduziert oder eben einfach ihren eigenen Stil hat. Mich haben manche Songs auf dem Album sehr berührt, weil ich das Gefühl habe, dass dort jemand sehr ehrlich zu mir spricht. Im Booklet finden sich mehrere Fotos eines kleinen Jungen, der gedankenverloren, irgendwie unschuldig, durch flaches Wasser läuft, und im Hintergrund bedrohliche Szenarien ins Foto geschnitten, zum Beispiel ein Zug, der auf den Jungen zufährt, oder so Endzeitszenarien. Das ist dann wieder sehr platt, und das hat mich wirklich gewundert, denn die Songs hätten so eine Illustration wirklich nicht nötig.

Wissen, wo man im Leben steht

Beyer: "All That Reckoning "heißt das Album, auch zwei Songs sind darauf, "All That Reckoning Part 1" und "Part 2" im Titel – "Abrechnung" klingt im Deutschen ja eher bitter, was glaubst du, wie ist der Titel gemeint?
Schneider: "All that Reckoning" klingt ja erstmal eher anklagend, ich denke, es könnte auf diese Idee einer Umwälzung verweisen, Michael Timmins hat ja gesagt, dass das Album im Gefühl entstanden sei, dass die Welt, aber auch seine privaten Beziehungen sich gerade stark verändern – aber für ihn hat das Wort "Reckoning" auch eine positive Bedeutung:
Timmins: "Auf der sozialen und politischen Ebene bedeutet 'Abrechnung', dass man die Rechnung präsentiert bekommt für das, was man angezettelt hat. Das hat vielleicht eine bittere Komponente. Aber auf der privaten Ebene steht es für mich eher für etwas Positives – wenn man abrechnet, weiß man am Ende besser, wo man im Leben gerade steht."
Schneider: Ich habe mich übrigens mit Michael Timmins auch noch über seine Heimatstadt Toronto unterhalten, und er schwärmt sehr von diesem Ort, in dem sich eine friedliche, multikulturelle und sehr offene Gemeinschaft entwickelt habe – vielleicht schreibt er ja auch mal ein paar positive Songs darüber, auch auf diese Weise könnte man ja versuchen, die Welt zu verändern.
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