Coverversionen: Kunst oder Kopie?

Hauptsache, der Song gibt mir was fürs Leben!

Ein Junge spaziert mit Kopfhörern und iPhone.
Ein Junge mit Kopfhörern: Mit dem Zwang zur Originalität tut man der Popmusik nicht unbedingt einen Gefallen, meint Christian Huck. © picture alliance / dpa / Horst Ossinger
Christian Huck im Gespräch mit Carsten Rochow · 11.02.2016
Coverversionen können Facetten eines Songs aufzeigen, die im Original verborgen bleiben. Manchmal klingen sie aber wie ein billiger Abklatsch. Wir sprechen mit dem Kulturwissenschaftler Christian Huck über Strategien des Coverns. Und darüber, was das Ganze eigentlich soll.
Christian Huck forscht und lehrt Theorie, Praxis und Geschichte von Popkultur und Popmusik an der Universität Kiel. Für die Fachzeitschrift "Pop. Kultur und Kritik" (Ausgabe 4/2014) hat er sich mit Coverversionen beschäftigt.
Carsten Rochow: Ihr Artikel beginnt mit einer fast traumatischen Erfahrung mit Coverversionen, die aber auch ganz gut zeigt, wie Cover-Songs durchaus wirken können. Würden Sie diese - aus heutiger Sicht schon recht amüsante Geschichte - noch mal kurz für uns zusammenfassen?
Christian Huck: Ja. Es geht um so ziemlich die allererste Schallplatte, die ich in meinem Leben gekauft habe. Ich hatte meine Mutter gebeten, mich in den nächsten Supermarkt zu fahren und wollte die neuesten Songs der Neuen Deutschen Welle hören und habe mir dort eine Platte gekauft, wo alles drauf war, was ich haben wollte. Zu Hause stellte ich fest, dass diese Platte, von Europa produziert - könnte man wissen, dass die so was machen -, eben nur von einer Band, die sich tollerweise Real nannte, einer Studio-Band, die alle meine Lieblingssongs von Falco und Spider Murphy Gang und so weiter dann nachgespielt hat.
Und ich stellte dann fest, obwohl es die gleichen Songs waren, exakt die gleichen Noten, eine super Studio-Band, die gleichen Texte, dass das für mich einfach keinen Wert mehr hatte. Ich war schwer enttäuscht und konnte damit nichts anfangen. Und das fiel mir jetzt wieder ein, als ich mich anfing, wissenschaftlich damit zu beschäftigen: Dass eben die Tatsache, dass es die gleichen Noten und tatsächlich wirklich auch die gleichen Texte sind, noch nicht dafür sorgen, dass man einen Song gut findet.
Rochow: Was ist denn da genau schiefgelaufen auf diesem NDW-Sampler?
Huck: Schiefgelaufen ist, dass die Studio-Band Real eben, glaube ich, keine eigene Stimme hat und auch keine eigene Stimme haben sollte, sondern einfach aus Spargründen, dass man die Originalbands nicht bezahlen müsste, möglichst genauso wie Falco das gemacht hat, das nachzuspielen. Und dann fehlt halt die Eigenständigkeit der Ursprungsversion von Falco etwa, ohne dass die nachspielende eine eigene Note dazu gibt. Und wenn dann keine Note mehr da ist, sondern nur noch die ganz basalen Texte und Noten, dann fehlt eben irgendetwas.
Rochow: Jetzt gibt es ja auch Cover-Versionen, die authentischer wirken als das Original. Also genau das Gegenteil. Ein Paradebeispiel ist sicher der Song "Hurt" auf Johnny Cashs "American Recordings 4", haben wir gerade gehört. Das Original, das stammt von der Industrial-Rockband Nine Inch Nails. Was ist hier passiert? Warum klingt das Stück authentischer als das Original und zwar so, dass sich sogar der Urheber Trent Reznor selbst davor verneigt?

Das Geheimnis der Coverversionen von Johnny Cash

Huck: Ja, der Urheber verneigt sich davor und sagt sinngemäß so was, dass es jetzt nicht mehr sein eigener Song ist. Und das ist, glaube ich, auch das Geheimnis, was so viele Leute bei Johnny Cash - oder man muss ja sagen, das hat er zusammen mit seinem Produzenten Rick Rubin gemacht -, dass er das quasi komplett in sein Universum hinübergezogen hat. Also er hat das Grundgerüst des Songs genommen und das in ein Johnny-Cash-Gewand, in ein wiedererkennbares Johnny-Cash-Gewand hineingewoben, sodass die Leute denken, wenn sie das hören: Ja, das ist "sein" Song. Er hat ihn sich quasi angeeignet. Und das funktioniert in dem Song. Man muss sagen, das ist natürlich auch Glückssache. Ich weiß nicht, fünf dieser Platten hat Johnny Cash gemacht mit 100 Liedern oder so. Da ist jetzt auch nicht so ein großer Prozentsatz, der wirklich so überzeugt. Aber bei dem Song hat es eben gepasst. Er konnte den Song sich aneignen.

Rochow: Was passiert denn eigentlich genau bei Covern? Wie wir jetzt schon festgestellt haben: Allein um die Imitation geht es ja wohl nicht.
Huck: Nee. Was passiert beim Covern, ist eine wirklich äußerst schwierige Frage. Und das ist auch, weswegen ich mich damit noch mal genauer beschäftigt habe, weil eigentlich gar nicht klar ist, was passiert. Man würde gemeinhin denken: Eine Coverversion, das ist die Neuaufführung eines Songs, den es schon mal gab. So wie in dem Beispiel eben mit Johnny Cash und Nine Inch Nails. Und auch auf der Blumfeld-Platte [gemeint ist das Jochen-Distelmeyer-Album "Songs From The Bottom, Vol. 1", Anm. Red.]: Es fängt damit an, mit Joni Mitchell. Bei anderen Songs auf der Platte wird das schon wesentlich schwieriger. Also da gibt es ja zum Beispiel das berühmte Britney-Spears-Cover ...
Rochow: "Toxic".

"In keiner anderen Kunst gibt es das - nur in der Popmusik"

Huck: Genau. Und da steht dann einmal Joni Mitchell und bei "Toxic" steht in Klammern: Britney Spears. Was eine interessante Frage ist, was das bedeuten soll. Hat Britney Spears den Song geschrieben noch hat die die Noten verfasst. Der Song war eigentlich gar nicht für sie geschrieben. Es ist ein schwedisches Songschreiber-Duo, das den Song für Kylie Minogue geschrieben hat und Kylie Minogues Stimme im Kopf hatte und dachte: wäre dich ein toller Song für sie. Kylie Minogue wollte den nicht haben, und jetzt hat Britney Spears den aufgeführt. Das heißt ihr einziger Beitrag zu diesem Song ist ganz anders als bei Joni Mitchell: nur dass sie ihn aufgeführt hat, sozusagen ihr Gesicht gegeben hat, ihre Stimme gegeben hat.
Und jetzt plötzlich bezieht sich Distelmeyer in seiner Version nicht irgendwie auf das schwedische Songschreiber-Duo, sondern auf Britney Spears. Das heißt irgendwie der Song ihr, obwohl sie, wie gesagt, weder Noten noch Text geschrieben hat. Also man wie gar nicht, bezieht man sich auf Noten, bezieht man sich auf einen Singer-Songwriter, bezieht man sich auf eine berühmte Performance - was ist eigentlich das Original, von dem wir da sprechen. Und deswegen gibt es da so unheimlich viele schräge Überschreibungen, die gerade auch für Pop spezifisch sind.
In keiner anderen Kunst gibt es das. Das gibt es nur in der Popmusik. Ein Buch kann man nicht noch mal schreiben. Wenn ich "Werther" noch mal abschreiben würde, würde mir keiner auf die Schulter klopfen und sagen: Das hast du aber schön abgeschrieben in deiner eigenen Schrift. Oder wenn ich Van Gogh noch mal nachmalen würde, auch das würde nicht funktionieren. Das gibt es nur in der Popmusik, dieses eigentümliche Verhältnis, dass man von Original ... - wo man nicht genau weiß, was ist original. Und deswegen die Chance - weil man gar nicht so sicher ist, was das Original ist - und deswegen die Chance für den vermeintlich Nachahmenden, was ganz Eigenes draus zu machen.
Rochow: Wie schafft man denn als covernder Künstler, einem Song seinen Stempel aufzudrücken?
Huck: Also, man kann einerseits eben schon eine schon ganz ausgeprägte eigen Stimme haben, wie das bei Johnny Cash der Fall ist - ein ganz eigenes Gitarrenspiel, eine unverkennbare Stimme. Oder man kann sich auf ganz bestimmte musikalische Art dem Original nähern, indem man das in ein anderes Genre überträgt. Oder man kann eben sich eben auf intellektuellere Weise mit dem Song auseinandersetzen.
Gibt ein berühmtes Cover-Album von Cat Power, einer amerikanischen Independent-Künstlerin, die sich die Songs so genau anguckt und fragt: Was möchte ich zu diesen Songs sagen? Und zum Beispiel "Satisfaction" von den Rolling Stones neu aufnimmt und da aber den Refrain weglässt, also sozusagen das Ekstatische an dem Song einfach weglässt und sagt: Passt mal auf, hier wird bei diesem Song ... - der Refrain macht was aus dem Song, was der Song eigentlich gar nicht ist. Ich kann euch eine ganz andere Seite daran zeigen.
Rochow: Einen ganzen Refrain wegzulassen wie im Fall von "Satisfaction" von Cat Power - das ist sicherlich ein starkes Stück. Aber manche Cover-Songs, die überraschen ja auch dahingehend, dass sie musikalische Qualitäten freilegen, die im Original vielleicht nicht so gut hörbar waren. Und ein extremes Beispiel, das ist die schwedische Band Hellsongs, die sich ausschließlich harte Healy-Metal-Klassiker vornimmt und covert, wie zum Beispiel den hier von Iron Maiden, "Run To The Hills". Und hier ein kurzer aus der Variante von Hellsongs, eigentlich nur noch an Melodie und Text wieder zu erkennen. Und es gibt sicher noch viele Beispiele dieser Art. Wird hier nicht erkanntes Potenzial aufgedeckt in solchen Coverversionen?

Potenzial für unterschiedliche Hörergruppen

Huck: Das würde ich so nicht sagen. ich würde sagen: von einem anderen Publikum bisher nicht erkanntes Potenzial aufgedeckt. Es ist ja nicht so, dass der gemeine Heavy-Metal-Hörer oder Iron-Maiden-Hörer nicht in der Lage wäre, komplexen Melodien zu folgen. Und das schon lange erkannt hat, dass da was Tolles passiert.
Es ist aber in einem Soundgewand, und ich glaube, das ich das Entscheidende, wo bei vielen anderen Hörern die Ohren schon zugehen und gar nicht mehr auf Melodieführung, Akkordwechsel und so was geachtet wird. Und für diese Leute wird das jetzt neu aufbereitet und gesagt: Passt mal auf, schließt mal eure Ohren auf. Ihr könnt ja Streicher und so was ... - da verschließt ihr nicht gleich die Ohren. Wir packen das in ein neues Gewand, das ist ein neuer Markt dann oder eine neue Hörerschaft, die hier eröffnet wird. Und für die wird dann ein Potenzial freigelegt, also dass gilt für unterschiedliche Hörergruppen, würde ich sagen.
Rochow: Der Medienwissenschaftler George Plasketes, den Sie in Ihrer wissenschaftlichen Annäherung an Cover-Versionen auch zitieren, der meint, dass es seit den 80ern in der Popmusik nur noch abwärts ginge. Alles würde nur wiederholt, wieder erfunden, wieder verwendet, wieder verarbeitet werden und so weiter. Sehen Sie diese Entwicklung genauso pessimistisch wie Ihre Kollegen?
Huck: Ich bin mir nicht ganz sicher, von welcher Warte aus dieser Vorwurf gemacht wird. Es scheint doch irgendwie ein Originalitätsanspruch, den man vielleicht aus der bildenden Kunst, aus der Avantgarde-Kunst oder so kennt, auf die Popmusik übertragen zu werden und auch sondern Popmusik zu verlangen, dass sie sich ständig erneuert, ständig neue Genres erfindet, ständig neue Songs schreibt und so weiter und so fort.
Ich bin mir gar nicht so sicher, ob man der Popmusik damit einen Gefallen tut. Ich würde eher sagen, für den Hörer gelten ganz andere Kriterien, für den normalen Pophörer oder auch für mich selbst als Pophörer. Mir soll der Song gefallen, mir soll der was für mein Leben sagen. Der soll eine Emotion ausdrücken, die mir gerade wichtig ist, oder mir auch helfen, eine Emotion zu entwickeln, die ich vielleicht nicht ausleben kann. Ob das nun im Zusammenhang der Popgeschichte eine Neuerung ist oder etwas ablöst oder überbietet - diese ganze Überbietungssemantik, die man dann da reinbringt ... - aus meiner Sicht wird man damit der Popmusik nicht ganz gerecht.