Courbet-Ausstellung

In Feuchtgebieten

"Der Ursprung der Welt" von Gustave Courbet
"Der Ursprung der Welt" von Gustave Courbet © AFP
Von Johannes Halder · 07.09.2014
Tabubrecher, Selbstdarsteller, Hassfigur: Mit seiner Malerei hat Gustave Courbet immer wieder Skandale provoziert. Eine Ausstellung in der Schweiz stellt nun sein berüchtigstes Werk in den Mittelpunkt - und versucht sich in der Kunst der Publikumsverführung.
"Bonjour Monsieur Courbet" – das Bild, das diesen Titel trägt, begrüßt uns gleich im ersten Saal der Schau. Groß das Format, freundlich die Farben. Wir sehen den Maler, wie er 1854 auf freiem Feld seinem reichen Gönner begegnet, dem Bankierssohn und Kunstsammler Alfred Bruyas. Courbet, mit leichtem Malgepäck auf dem Rücken, mit Stock und Hut, kommt daher wie ein Wanderprediger, und kein Zweifel: Der Mann hat eine Mission. Er stellt klar, wer der Held dieser Begegnung ist: er, Courbet, der Maler. Ein Programmbild, ein Manifest, sagt der Kurator Ulf Küster.
"Das ist damals eine riesige Provokation gewesen, dass ein Künstler sich auf das selbe Level oder sogar fast über seinen Sammler stellt, seinen Mäzen. Das ist was Neues, das war noch nie da, und ist ein Bild, das eine Haltung zeigt, eine künstlerische Haltung, die sehr lange bestimmend gewesen ist."
Courbet war ein begnadeter Selbstdarsteller, und er wusste, wie er gesehen werden wollte.
"Er ist teilweise der große Provokateur, der Tabubrecher, teilweise ist er aber auch der leidende Künstler, der verwundet ist. Courbet war eine Hassfigur, und das hat er zelebriert, hat sich dazu auch bekannt, aber darunter hat er auch extrem gelitten."
Gustave Courbet: Selbstporträt als Selbstmörder
Die Schau fängt an mit einer Reihe düsterer Selbstporträts. Als Pfeife hat er sich dargestellt, als melancholischen Grübler, als Verzweifelten und auch als Selbstmörder am Rande des Wahnsinns. Malerische Abgründe tun sich da auf, und der Schau ist sehr daran gelegen, Courbets moderne Malweise herauszustellen.
"Wir zeigen Courbet vor allen Dingen als Revolutionär der Malerei, der eigentlich das Material der Farbe von dem Sujet befreit hat. Das heißt, das Wie wird eigentlich viel wichtiger als das Was."
Mit dem Messer, mit dem Daumen, mit Schwämmen und Lappen hat er die Farbe auf die dunkel grundierte Leinwand gestrichen und gespachtelt, ja regelrecht geknetet und gestampft, wie sein Kollege Cézanne einmal bewundernd feststellte.
Besonders an den Meeresbildern lässt sich das beobachten, an den Wellen und Wasserbergen, an der gewaltigen Gischt von Flut und Brandung, wo die Farbe selbst zu schäumen scheint, aber auch an den schmutzigen Schneemassen seiner zahlreichen Winterlandschaften.
Ein Selbstporträt Gustave Courbets mit dem Titel "Le Fou de peur"
Ein Selbstporträt Gustave Courbets mit dem Titel "Le Fou de peur"© Nasjonalmuseet for kunst, arkitektur og design, Oslo
Doch all das ist nur ein Vorspiel. Denn im Zentrum der Schau stehen dämmerige Waldlandschaften, dunkel verschattete Gehölze, modrig dumpfe Feuchtgebiete, die uns, vorbei an ein paar drallen Quellnymphen, hinführen zum erklärten Höhepunkt im letzten Saal. Da hängt es dann, 1866 gemalt für den osmanischen Botschafter in Paris, goldgerahmt, und offenbart den Blick zwischen die geöffneten Schenkel einer Frau, ganz konzentriert auf ihr Geschlecht.
Erotisches für den Herrenabend
"Der Ursprung der Welt" heißt das Werk. Der türkische Lüstling ließ es in seiner Privatsammlung hinter einem grünen Vorhang verschwinden. Den pflegte er bei seinen Herrenabenden zu lüften, wo man sich am Anblick des anatomischen Details wohl ebenso ergötzte wie an der wunderbaren Malerei.
Natürlich ist das Bild ein Köder, aber man hat ihn ganz diskret platziert, sozusagen im Bauch der Schau, umgeben von ein paar recht appetitlichen Akten. Eines der neckisch hingelagerten Busenwunder gehört übrigens dem Künstler Jeff Koons. Daneben hängen Bilder von Höhlen und Grotten, die in diesem Kontext natürlich als Lustgrotten zu lesen sind – der Spalt im Fels, der Spalt im Fleisch, die Landschaft als Venushügel. Und selbst Courbets Blumensträuße sollen als erotische Anspielungen zu verstehen sein. Ulf Küster:
"Der Witz an dem Bild ist, dass es lange Zeit nicht zu sehen war, und dass auch Courbet sicherlich wusste, dass man das nicht öffentlich zeigen kann. Das Bild ist ja erst seit 1995 eigentlich öffentlich zu sehen im Musée d’Orsay in Paris, gehörte auch lange Zeit dem Psychologen Jacques Lacan, der die Reaktion seiner Besucher damit testete. Also ein außerordentlich interessantes, komplexes Bild."
Das Bild ist ein gemalter Lobgesang auf den weiblichen Leib, auf den Quell des Lebens. Der Kurator zählt es zu den wichtigsten Bildern der Kunstgeschichte überhaupt, und die Fragen, wie man mit Courbets Tabubruch umgeht, reichen bis in unsere Zeit: Auf Facebook wird die Darstellung zensiert.
Und auch als psychologisches Testbild taugt es sicher noch. Es wäre aufschlussreich, die Blicke der Besucher zu studieren, die vor dem Bild verweilen. Am besten aber ist es wohl, man lässt uns mit dem Bild allein.
"Eine Ausstellung stellt Fragen und gibt nicht unbedingt immer Antworten. Dieses Bild stellt Fragen, und eine Antwort kann eben nur jeder selbst finden."

Info: Die Ausstellung ist in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel bis zum 18. Januar 2015 zu sehen.

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