Coronavirus

Viele Kunstschaffende haben Existenzängste

05:27 Minuten
Ein leerer Konzertsaal. Die Instrumente warten auf das Orchester.
Die Instrumente warten auf ihre Musiker und Musikerinnen: Nur wann werden diese wieder zusammenkommen und als Orchester gemeinsam spielen können? © picture alliance/dpa/CTK
Von Christiane Habermalz · 17.04.2020
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Konzertsäle, Opern, Theater – alles ist seit Wochen geschlossen. Das bedeutet für die Musiker, Schauspielerinnen und Sänger Verdienstausfall und Existenzängste. Die meisten Coronahilfen sind nicht für Kulturschaffende gemacht, beklagen sie.
Kunst und Kultur sind die Seele einer Gesellschaft und kein Nice-to-Have – erst recht nicht für eine Gesellschaft in Krisenzeiten. Darauf weist Kulturstaatsministerin Monika Grütters seit Wochen gerne hin, zuletzt am Freitag im Morgenmagazin:
"Wir haben ja gemerkt, wie wichtig das fürs Leben ist und dass das kein Luxus ist, den man sich nur für gute Zeiten gönnt, sondern dass wir es wirklich brauchen."
Diese Aussage steht jedoch in diametralem Gegensatz zur Realität vieler freischaffender Künstlerinnen und Künstler, die gerade – allen Ankündigungen zum Trotz – ohne jegliche finanzielle Hilfe dastehen. Denn die meisten von ihnen passen unter keinen der Rettungsschirme, die so schön aufgespannt wurden.

Fehlende Hilfen für Kulturschaffende

Sie haben keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld wie Festangestellte, Kredite helfen wenig, wenn man nicht weiß, wann man sie je zurückzahlen kann. Und die Coronahilfen für Solo-Selbstständige, die der Bund aufgelegt hat, und die auch und gerade für den Kulturbereich gelten sollten, decken nur anfallenden Betriebskosten ab. Die aber haben viele freischaffende Künstler gar nicht.

"Also ich zum Beispiel als Sängerin, ich kann nicht arbeiten, deswegen muss ich noch nicht mal Noten kaufen, und hab auch keinen Leasing-Wagen, den ich miete, ich habe noch nicht mal ein Arbeitszimmer, weil ich, wenn ich singe, übe ich halt zuhause oder gehe zu meinen Proben außerhalb meiner Wohnung. Das heißt, da ist eine Lücke, und vielen bleibt dann nur Hartz IV", sagt Sarah Krispin.
Sie ist klassische Sängerin. Krispin singt unter anderem im RIAS-Kammerchor, seit acht Jahren ist sie gut im Geschäft. Seit dem 12. März ist ihr die komplette Auftragslage weggebrochen: "Ich persönlich hatte jetzt einen Ausfall eines Drittels meines Jahresgehalts, weil ich in der Osterzeit ganz viele Konzerte singe."

Kein Ausgleich für ausgefallene Honorare

Für ausgefallene Honorare aber gibt es vom Bund keinen Ausgleich. Die schiere Existenzangst ist bei vielen freien Musikern, Künstlern, Fotografen, Theaterleuten groß und sie steigert sich zur Verzweiflung angesichts der jetzt verkündeten Aussicht, dass weite Teile des Kulturlebens noch mindestens bis zum 31. August brachliegen werden.
Sarah Krispin hatte noch Glück: Sie wohnt in Berlin, dort ist das Land in die Bresche gesprungen und hat Mitte März einen Soforthilfe-Topf aufgelegt. Einmalig konnten notleidende Künstler 5000 Euro Unterstützung beantragen – für drei Monate. Doch der Ansturm war so groß, dass der Topf schon am 1. April leer war. Wer erst danach durch die Warteschleife drang, ging leer aus. Auch in Bayern und Nordrhein-Westfalen gab es kurzfristig Nothilfe-Programme, die jetzt aber gestoppt wurden. Baden-Württemberg ist das einzige Land, das die Notlage der Künstler erkannt hat und dauerhaft ein monatliches Grundeinkommen von 1180 Euro zahlt. In den meisten Ländern aber gibt es für freischaffende Künstler nichts. Etwa in Hessen.

Auf einmal Hartz IV

"Da wird immer verwiesen auf ALG II und die Corona-Soforthilfe, das heißt, man richtet sich absolut nach dem Bund, aber es gibt soweit ich weiß, keinerlei Initiativen der hessischen Regierung, das in irgendeiner Weise anderweitig zu unterstützen."
Für Andreas Küppers, freier Cembalist und musikalischer Assistent im Bereich Barockmusik ist das besonders hart: Auch seine Frau ist freischaffende Sängerin und das Paar hat zwei kleine Kinder. Der Familie sind auf einen Schlag sämtliche Einnahmen weggebrochen. Bund und Länder verweisen auf Hartz IV – dort sollen Anträge von Künstlern ein vereinfachtes Verfahren ohne Vermögensprüfung durchlaufen können. Doch das ist reine Theorie, beklagen viele. Und um überhaupt Hartz IV beantragen zu können, muss man arbeitslos und vermittelbar sein. Das aber kann sich kaum ein Künstler oder Musiker leisten.
"Um überhaupt eine Chance zu haben, danach wieder auf dem Niveau einzusteigen, auf dem man aufgehört hat, muss man als Musiker seine Finger, seine Stimme, seine Ohren warmhalten. Das heißt, man übt jeden Tag", so Krüppers.

Offener Brief an die Politik

Für die Künstler steht viel auf dem Spiel. Es braucht oft Jahre, bis man eine Karriere mit festen Engagements und Strukturen aufgebaut hat. Doch jetzt bricht gerade das ganze Netzwerk weg: Orchester, Festivals, internationale Produktionsstätten – vieles davon wird es nach der Krise wohl nicht mehr geben. Dass die Gesellschaft Künstler ans Jobcenter verweist, allen anderen aber Rettungsschirme ausbreitet, kränkt Küppers:
"In allen diesen Vorstellungen, in denen wir spielen, sitzen immer Politiker und schütteln einem danach die Hand und lassen sich mit dem Dirigenten fotografieren und es werden schöne Reden gehalten. Und jetzt ist der erste Schritt für mich also nicht so was wie Kurzarbeit, sondern direkt ALG II. Das fühlt sich nicht nach einer großen Wertschätzung an in einer der führenden Kulturnationen der Welt."
Küppers hat einen offenen Brief geschrieben – an Kulturstaatsministerin Monika Grütters, an die hessische Kulturverwaltung. Eine Antwort hat er nicht bekommen.
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