Coronatests unter der Stadiontribüne

Wie argentinische Fußballclubs in Pandemie-Zeiten helfen

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Einer der solidarischen Erstliga-Vereine ist der Club Atlético San Lorenzo, dessen prominentester Fan der argentinische Papst Franziskus ist. 2621079732_DSC_0044.JPG
Schon der Vater des Papstes war San Lorenzo-Fan und hat seinen Sohn mit ins Stadion genommen. © Victoria Eglau
Von Victoria Eglau · 14.06.2020
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In Coronazeiten wird die soziale Ader der argentinischen Fußballclubs besonders deutlich. Unsere Korrespondentin Victoria Eglau hat den Club Atlético San Lorenzo besucht, zu dessen Fans auch immer schon Papst Franziskus gehört.
Argentinien gehört zu jenen lateinamerikanischen Ländern, die die Corona-Pandemie bislang am besten bewältigt haben. Dank einer früh verhängten landesweiten Pflicht-Quarantäne gibt es dort weitaus weniger Infektionen und Todesfälle als etwa in den Nachbarstaaten Brasilien und Chile. Gestorben sind bisher rund 700 Menschen.
Aber auch in Argentinien ist Corona ein Drama. Zu den gesellschaftlichen Akteuren, die während der Pandemie Hilfe leisten, gehören die Fußballclubs, sowohl kleine Vereine als auch die "Großen" aus der Profi-Liga. Sie spielen in Argentinien traditionell eine wichtige soziale Rolle. Einer der solidarischen Erstliga-Vereine ist der Club Atlético San Lorenzo, dessen prominentester Fan der argentinische Papst Franziskus ist.

Notunterkunft im Fußballclub

Fiebermessen ist derzeit Pflicht am Eingang zum Club Atlético San Lorenzo. Ein Mitarbeiter hält jedem, der das Vereinsgelände betritt, ein elektronisches Thermometer vor das Gesicht. Erst als feststeht, dass keine Corona-Gefahr besteht, führt Club-Sekretär Miguel Mastrosimone durch die Einrichtung, die sein ganzer Stolz ist: Eine Notunterkunft für Menschen über 65 Jahre, die zur Corona-Risikogruppe gehören und einen Ort brauchen, an dem sie vor Ansteckung sicher sind.
"Wenn etwa ein Altersheim evakuiert werden muss, weil es dort Fälle von Coronavirus gibt, können wir die Menschen aufnehmen", sagt Mastrosimone. "Wir wollen älteren Leuten einen freundlichen Ort bieten, an dem sie während der Pandemie gut aufgehoben sind, gepflegt und medizinisch betreut werden."
In Argentinien steht der Höhepunkt der Coronapandemie noch bevor, weshalb es gut möglich ist, dass sich die Notunterkunft in den kommenden Wochen füllen wird. Entstanden ist sie in Zusammenarbeit mit der Stadt Buenos Aires, die die mehr als zweihundert Betten zur Verfügung gestellt hat – und auch die Möbel für den Ess- und Aufenthaltsbereich. Freiwillige Helfer und Helferinnen des Clubs San Lorenzo haben alles aufgebaut.
Eine von ihnen ist Victoria Gabriel, durch ihren Mundschutz mit dem blau-roten Vereinswappen hindurch sagt sie: "Anderen zu helfen, das macht das Wesen von San Lorenzo aus, so wurde unser Club geboren."

Papst Franziskus als Vereinsmitglied

Der Name Club Atlético San Lorenzo geht auf den katholischen Priester Lorenzo Massa zurück, der anno 1908 in Buenos Aires eine Gruppe junger Kicker von der Straße holte und ihnen seinen Kirchhof als Fußballplatz anbot. Seit jenem solidarischen Gründungsakt ist der Club immer sozial engagiert gewesen – und hat auch seine katholische Prägung behalten. Die San Lorenzo-Anhänger nennen sich "cuervos", Raben – in Anspielung auf die schwarze Soutane der Priester. Das bekannteste Vereinsmitglied ist das Kirchenoberhaupt höchstpersönlich, der argentinische Papst Franziskus.
"Schon der Vater des Papstes war San Lorenzo-Fan und hat seinen Sohn mit ins Stadion genommen", so Gabriel. "Franziskus hat uns in Rom erzählt, dass er die Spiele unserer Mannschaft immer noch verfolgt. Davon abgesehen hat San Lorenzo aber Fans aller Religionen!"
Club-Sekretär Mastrosimone ist nun unterwegs zum Fußballstadion. Wo bis zum Ausbruch der Pandemie das Profiteam seine Erstliga-Spiele bestritt, hat Mitte Mai ein Covid-19-Testzentrum den Betrieb aufgenommen. In einer Sporthalle unter einer der Tribünen werden jeden Tag rund 120 Bewohner eines benachbarten Armenviertels auf Coronavirus untersucht. In der Siedlung leben sechzigtausend Menschen auf engem Raum zusammen, weshalb sich dort, wie auch in einigen anderen Elends-Enklaven von Buenos Aires, das Virus rasch ausbreiten konnte.
"In diesen Vierteln ist es sehr schwer, Infizierte zu isolieren", sagt Mastrosimone. "Es kann vorkommen, dass sieben Familien auf zwanzig Quadratmetern zusammenleben. Jeder, der hier positiv getestet wird, kommt je nach Schwere der Erkrankung ins Krankenhaus oder zur Quarantäne in ein Hotel."
San Lorenzo ist nicht der einzige argentinische Fußballverein, der den Behörden bei der Eindämmung der Pandemie hilft. Der Club Atlético Lanús hat auf seinem Gelände eine große Quarantäne-Station eingerichtet. Andere Vereine organisieren in großem Stil Lebensmittel-Spenden für Menschen, die wegen der Corona-Krise ihre Einkünfte verloren haben.
In vielen Fällen sind es die Familien der eigenen Mitglieder, die auf diese Unterstützung angewiesen sind. Kein Zweifel: In Pandemie-Zeiten wird die soziale Ader der argentinischen Clubs, die keine Unternehmen, sondern gemeinnützige Vereine sind, besonders deutlich.
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