Coronakrise

Wie Niedersachsen seinen Unternehmen helfen will

07:32 Minuten
Bauarbeiter arbeiten bei Sonnenaufgang auf einem Gebäudegerüst in Hannover.
Autobauer, Zulieferer, Touristikbranche - in Niedersachsen sind viele Unternehmen von der Coronakrise betroffen. © picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte
Von Alexander Budde · 31.03.2020
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4,5 Milliarden Euro hat allein Niedersachsen an Nothilfe versprochen - für Unternehmen, die durch die Coronakrise in Schieflage geraten sind. Alle Probleme wird das nicht lösen. Denn was nützt ein Kredit, wenn man ihn mangels Einnahmen nicht bedienen kann?
"Nein, Ihr Haus müssen Sie mit Sicherheit nicht verkaufen. Es ist ja Geld da. Das Geld kommt doch jetzt auch an!"
Oliver Wagner leitet das Referat für Mittelstand, Handwerk und Gründungen im niedersächsischen Wirtschaftsministerium. Sein Krisenberatungs-Team aus Beamten, Bürokräften und Praktikanten hat Wagner teils ins Homeoffice verbannt, teils über die Bürolandschaft im halbverwaisten Ministerium in Hannover verteilt. Unablässig klingeln die Telefone. Antragssteller aus dem ganzen Land wollen wissen, wie es mit ihrem Betrieb weitergehen soll:
"Vom Dachdeckermeister bis zum Domina-Studio hat alles angerufen. Na ja, das ist, denke ich, für jeden leicht nachzuvollziehen: Wenn ein Unternehmen aus voller Fahrt auf Null abgebremst wird, weil es das Geschäft nicht mehr gibt, dass dann die Liquidität dahinrinnt."

Die Krise der Autobauer begann schon vor der Coronapandemie

Rückblende: Ende Februar steht Torsten Bremer im Schatten einer mächtigen Spritzgussmaschine. Der Geschäftsführer von Boge Elastmetall mit Stammsitz im niedersächsischen Damme schaut zu, wie ein Roboter eine Kappe nach der anderen auf Brems-Pedale aufzieht:
"Das ist Flucht nach vorne. Hier arbeiten 16 Roboter. Hier arbeiten im Drei-Schicht-Betrieb insgesamt 60 Menschen. Das ist Umsatz pro Kopf dreimal so hoch wie im Rest der Fabrik. Sehr zuverlässiger Prozess: Industrie 4.0 in Reinkultur!"
Gefertigt werden Automobil-Bauteile aus Gummi und Kunststoff: Kunden sind nahezu alle namhaften Autohersteller – 30 Millionen Euro hat das Unternehmen hier in Damme in eine neue Halle mit hoch automatisierter Serienfertigung investiert. In besseren Tagen lieferte die Firma in der Spitze bis zu 4 Millionen Pedale pro Jahr an Volkswagen.
Erst wochenlanger Stillstand der Boge-Werke in China – und als die endlich wieder hochfuhren, stellten die Autobauer ihrerseits ohne Vorwarnung die Produktion ein. Vollbremsung aus voller Fahrt:
"Und dann ging es halt darum, innerhalb von Stunden Entscheidungen zu fällen, wie man damit umgeht, aber auch wie man einen enorm schnellen Prozess steuern kann, dass die Produktion von fast Vollauslastung innerhalb von kurzer Zeit quasi auf null heruntergefahren werden muss, und das in acht Werken gleichzeitig auf fast allen Kontinenten."
In einer Fertigungshalle rollt ein silberner PKW übers Band.
Inzwischen läuft in Wuhan die Autoproduktion wie hier bei Dongfeng. © imago/ Xinhua / XiaoxYijiu
Die Autoindustrie leidet schon länger unter Absatzschwierigkeiten. Weil Aufträge wegbrachen, musste Boge schon vor Monaten befristet eingestellte Kollegen entlassen. Nun kommt der Coronaschock noch obendrauf:
"Es gab Bereiche, die schon seit vor fast einem Jahr Kurzarbeit gefahren sind. Wir müssen das jetzt auf alle Bereiche ausweiten. Davor ist natürlich immer der Abbau von Überstunden da, die Entnahme von Urlaub. Das wird alles erst genutzt. Aber wenn diese Potenziale aufgebraucht sind, geht es in die Kurzarbeit. Und wir sind im Moment dabei, überall in Deutschland umzuschalten von diesen Methoden in die Kurzarbeit. Es wird also ein flächendeckendes Thema werden bei uns."

2 Milliarden Verlust bei VW - pro Woche

Auch in Europas größter Autofabrik, im VW-Stammwerk in Wolfsburg, stehen die Montageroboter und Bänder still. Für 80.000 Mitarbeiter an seinen sechs Standorten in Deutschland hat Volkswagen inzwischen Kurzarbeit angemeldet. Pro Woche verbucht der Konzern mit seinen rund 600.000 Beschäftigten weltweit rund 2 Milliarden Euro Verluste.
Annähernd die gleiche Summe soll die TUI in Form staatlicher Hilfskredite erhalten, um die akute Liquiditätskrise des in Hannover ansässigen Touristikkonzerns zu überbrücken.
"Guten Morgen, was kann ich denn Schönes für Sie tun? Ja, da kümmere ich mich sehr gerne drum. Also, bei uns klingeln die Telefone im Moment minütlich, wegen dieses Themenbereichs…"
Enna Schumacher veranstaltet in eigener Regie Tauchsport-Reisen in exotische Ziele und betreibt ein Reisebüro in Hannover mit neun Beschäftigten. Auch sie hat durch die Reiseverbote über Nacht die Geschäftsgrundlage verloren. Und ob die so vollmundig versprochene Nothilfe noch rechtzeitig in ihrem Kleinbetrieb ankommt, ist unklar:
"Die weltweite Reisewarnung des Auswärtigen Amtes hatte natürlich Auswirkungen auf unseren Reisebürovertrieb, dass Reiseveranstalter wie beispielsweise die TUI oder Schau-ins-Land Reiseverträge aufgekündigt haben und wir natürlich einen irren Aufwand hatten, um unsere Kunden entsprechend zu informieren und die Situation zu erklären. Ergo irre, irre lange Arbeitstage. Es wird viel, viel, viel jetzt eben auf uns Inhabern hängenbleiben, die wir ja nicht in Kurzarbeit gehen können."

Unter dem Ansturm brach der Server zusammen

Die Bundesregierung hat eine unbürokratische Vergabe der Zuschüsse und Darlehen für Kleinunternehmer und Selbständige bei nachträglicher Prüfung des Bedarfs versprochen. Doch die Filiale der Landesförderbank, die die Hilfen der staatlichen KfW an die Unternehmen vermittelt, ist telefonisch kaum noch erreichbar. Auch der Server brach zunächst unter dem Ansturm der Antragsteller zusammen, erinnert sich Schumacher.
"Bei der Beantragung eines KfW-Kredites müssen Sie bei Ihrer Hausbank, selbst wenn Sie dort seit 30 Jahren ein guter Kunde sind, Selbstauskünfte ausfüllen: Wieviel Geld gebe ich als Gesellschafter privat zu Hause für Lebensmittel und für Versicherungen aus und so weiter und so fort. Echter Formularkrieg, also das, was bei den Banken schon vorliegt, noch mal wieder neu."
Und selbst wenn die Liquiditätshilfen auch von Kleinbetrieben wie ihrem abgerufen werden können, drohen bei einem längeren Stillstand ohne Kundenverkehr Überschuldung und Insolvenz. Schumacher fragt sich, wie sie Kredite bedienen soll, wenn sie keine Einnahmen hat. Frühestens im Herbst können Reisebüros wieder mit Umsätzen rechnen, die ihre Kosten decken.
"Das wäre die eleganteste Lösung, dass die Bundesregierung einen Rettungsschirm zur Verfügung stellt, aus dem eben solche Gelder an die Kunden direkt zurückgezahlt werden können - sodass nicht 50 Prozent der Touristik jetzt in die Insolvenz rauschen!"

Weitere Hilfen denkbar

In der Tat kann sich Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann weitere Transfers für bedrängte Branchen über die bereits beschlossenen Hilfen hinaus vorstellen - zumal das ganze Ausmaß der Krise noch längst nicht absehbar ist. Auf lange Sicht wird die Covid-19-Pandemie unser Wirtschaftssystem nachhaltig verändern, prophezeit der CDU-Politiker:
"Wir werden uns sehr intensiven Fragen stellen müssen. Wie kommt aber insbesondere der digitale Ausbau in Deutschland schneller voran? Ich bin erstaunt, aber gleichzeitig glücklich darüber, dass in dieser Krisenzeit offensichtlich die oft geschmähte Bürokratie in Deutschland, das Handeln von Behörden und Verwaltungen, Landes und Bundesregierung in einer ungeahnten Schnelligkeit, funktioniert. Und ich hoffe, dass wir vieles von dem, was wir heute lernen, nicht in einigen Monaten, sollte sich die Krise in einigen Monaten legen, dann nicht wieder vergessen haben."
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