Coronakrise

Kleinunternehmer zwischen Ohnmacht und Hoffnung

28:45 Minuten
Stühle stehen in einem Leipziger Irish Pub auf den Tischen.
Die Stühle bleiben auf den Tischen: Viele Kleinunternehmer und Freiberufliche geraten in der Krise in große Bedrängnis. © Picture Alliance / dpa Zentralbild / Sebastian Willnow
Von Natalie Putsche · 05.05.2020
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Viele, deren Arbeit nicht als systemrelevant erachtet wird, sind derzeit in finanzieller Not. Wie kommen Kleingastronomen, Menschen aus der Kulturbranche oder kleine Handwerksunternehmen über die Runden? Nicht wenigen droht das Aus.
"Hier knallen die acht Boxen, die hier hängen, und natürlich vorne an der Leinwand ist auch was los. Und jetzt ist da Stille." Kinobetreiberin Miriam Pfeiffer hat ihr Kino für mich aufgeschlossen.
Die Kinobar Prager Frühling in Leipzig, ein Saal mit 70 Plätzen, wirkt verwaist. Nicht mal Licht kann die Kinofrau für uns machen. Den Strom hat sie abgestellt.
"Das Publikum vermisse ich", sagt sie. "Dieses: Hallo, wie geht´s? Man kennt sich über Jahrzehnte zum Teil. So für den andern denkend und Hilfe anbietend. Ihr fehlt! Ich hoffe, bald geht es wieder los."

Die Coronalawine setzt sich in Gang

Ungefähr sechs Wochen vorher, die Coronalawine setzt sich langsam in Gang. Besonders Kleinunternehmer und Freiberufler kommen in Bedrängnis.
"Zu spüren war das ein paar Tage vorher, weil einfach die Besucherströme einbrachen", sagt Miriam Pfeiffer.
"Was mich beunruhigt ist, wie lange ich jetzt kein Einkommen haben kann", sagt der Posaunist Mr. Angry T.
"Der erste Schocker war, als die Buchmesse abgesagt wurde," erinnerst sich die Kinobesitzerin Nora Freitag.
"Normalerweise habe ich im März pro Tag 10 bis 20 Mails und das ist gegen Null gefahren", erzählt Mike Sommermann, der Besitzer einer Sattlerei.
"Ich bin wahnsinnig müde. Ich sitze an der Nähmaschine, bis abends das Licht ausgeht. Das kann nicht so weitergehen", sagt die Modemacherin Katharina Stock.

Der Stillstand ist eingeläutet

"Hallo, hier ist die Kinobar Prager Frühling in Leipzig. Wir haben unseren Betrieb eingestellt und hoffen, bald wieder für Sie da zu sein. Bitte bleiben Sie gesund. Bis dahin. Tschüss." Es ist Ende März. Nicht nur die Kinos sind geschlossen.
Alle Läden – klein, größer, groß – sind zu. Bars und Cafés, Clubs, Theater, Boutiquen, Friseure: Nichts geht mehr. Abgesehen vom Nötigsten. Der Stillstand ist eingeläutet.
Blick auf den Eingang der Kinobar Prager Frühling in Leipzig
Die Kinobar Prager Frühling in Leipzig: "Das Publikum vermisse ich", sagt Miriam Pfeiffer.© Natalie Putsche
"Jetzt sitzen wir hier seit zehn Tagen", sagt Miriam Pfeiffer. "Es ist Frühling, die Sonne scheint, es wird warm. Und noch ist es etwas unwirklich." Es herrscht Ausnahmezustand. Miriam Pfeiffers Kiezkino sei in über 20 Jahren nicht geschlossen gewesen.

"Wir haben maximal Teppich ausgewechselt oder dass wir die Lüftung eingebaut haben", sagt sie. "Da haben wir besucherschwache Zeiten genutzt. Aber der absolute Stillstand über Wochen, möglicherweise Monate, das habe ich noch nicht erlebt."

"Bin jetzt erstmal dabei, mich zu sondieren"

Wir sitzen draußen vor dem Kino auf einer Bank. Mit großem Abstand. In Zeiten von Corona macht man das jetzt so. "Ich bin jetzt erstmal dabei, mich zu sondieren." Sie habe das Ganze noch nicht richtig begriffen.
"Und dann überschwappt einen täglich so eine Welle der Solidarität", erzählt Miriam Pfeiffer. "Menschen fragen per Mail an, ob sie helfen können, was ganz wundervoll ist."
Es gibt stündlich neue Nachrichten zur Pandemie, aber wenig Anhaltspunkte und Orientierung zunächst für Kleinunternehmer wie Miriam. Doch noch mache sie sich keine größeren Sorgen.
"Wir haben einen funktionierenden Laden", sagt sie. "Ich bin kein Großkino, habe nur einen Saal, die Kosten sind überschaubar. Es gibt sicher irgendeine Maßnahme, wo wir Gelder kriegen können, so ist der Tenor, der durch die Presse schwappt."
Von überall hört man jetzt, dass Kinos mit kreativ gestalteten Coronagutscheinen werben, um wenigstens irgendwas zu tun, das ihnen Perspektive verschafft. Sie bewundere das, dieser Typ sei sie aber nicht.
"Meine Strategie ist bisher noch: Erstmal Geld verbraten, was noch da ist, und dann gucken", sagt Miriam Pfeiffer. "Ich werde mich kümmern, demnächst, wie ich mich aufstelle, was ich beantrage und wie ich das anstelle."

Den "Panikdino" anfangs nicht gefüttert"

Bis vor einer Woche habe ich den Panikdino gar nicht gefüttert und dachte: Ja, wir bauen hier mal einen Zaun, wir machen eine Klingel außen ans Gelände", sagt Mike Sommermann.
Er ist Sattler und technischer Konfektionär, baut vor allem individuelle Sonnensegel. Seine Werkshalle liegt auf einem Gelände zusammen mit anderen Werkstätten. Die meisten sind hier befreundet.
"Wir sind ein Gelände, wo viele Kunden normalerweise reinkommen, das geht seit einer Woche nicht mehr", erzählt er.
Zumindest nicht mehr ohne expliziten Einlass. Dafür sorgt der neue Schutzzaun mit Klingel dran, die auch ich benutzt habe. Jetzt sitzen wir draußen auf der gemeinschaftlichen Hofterrasse.
"Wenn man so Maßnahmen ergreift, auch dieses Waschbecken, was wir auf dem Hof installiert haben: Dann merkt man selber bei jeder Maßnahme, die man mehr macht, dann glaubt man auch mehr und verhält sich auch dementsprechend", sagt Mike Sommermann.
Im Handwerk ist die Situation unterschiedlich. Im Hausflur vor meiner Wohnungstür werden zu diesem Zeitpunkt einige Wände neu verputzt. Viele können weiterarbeiten. Wenn zum Beispiel wichtige Reparaturen in Häusern und Haushalten anfallen, das entscheidet der Kunde.

"Die Nachfrage ist gegen Null"

In dem kleinen Unternehmen MetaMarie aber steht das Telefon still.
"Die Nachfrage ist gegen Null", sagt Mike Sommermann. "Ich glaube auch, die Stimmung muss dafür gut sein, um so ein Produkt haben zu wollen. Aber in der jetzigen Situation haben die Leute nicht den Kopf."
Sonnensegelbauer Mike Sommermann sitzt an seinem Arbeitstisch.
Im Betteln von Staatsgeldern sei er unerfahren, sagt Sonnensegelbauer Mike Sommermann.© Mike Sommermann
Autorin: "Das heißt: Du hast schon wirtschaftliche Existenzängste?"
Mike Sommermann: "Ja, die sind definitiv da. Wir haben jetzt noch bis Mai Arbeit. Aber das sind Aufträge aus dem letzten Jahr."
Der Sonnensegelbauer bekommt zeitweise personelle Unterstützung von anderen Handwerkern auf dem Gelände. Man vermittelt sich hier gegenseitig Jobs.
"Da haben wir gerade heute Morgen beim Frühstück noch drüber gesprochen", erzählt Mike Sommermann. "Wir schreiben auch untereinander Rechnungen. Und es kam natürlich auch auf: Ja, wenn ich dir jetzt für 5000 Euro Stahlbau mache, wann kannst du das dann zahlen, wenn die Aufträge nicht kommen?"

"Wir sind Laien im Betteln von Staatsgeldern"

Autorin: "Hast du dich schon kundig gemacht über mögliche Gelder, die das auffangen können?"
Mike Sommermann: "Ja klar, Leute wie ich, Kleinunternehmer, lesen natürlich jeden Tag die Nachrichten daraufhin, was kann der Staat für uns tun? Also das Land Sachsen hat jetzt ein Hilfspaket geschnürt. Allerdings habe ich dann den letzten Passus gelesen, der lautet: Wenn der Bund auch ein Hilfspaket schnürt, hat das Priorität, und wir müssen beim Bund anfragen. Und ich frage mich dann: Warum schnüren die so ein aufwendiges Hilfspaket, wenn der Bund ohnehin eins macht? Das versteh ich noch nicht. Wir sind eben auch Laien im Betteln von Staatsgeldern. Man muss sich da durchwurschteln. Und hoffen, dass die Ämter auch besetzt sind. Die haben ja dieselbe Situation."
Plan B sei: Freunde und Familie anpumpen. Und, wenn alle Stricke reißen und das Geschäft im Sommer durch die Folgen von Corona still stünde …
"Ich werde Puppendoktor", habe er gestern gedacht, erzählt Mike Sommermann. "Klar, zwischendurch hat man versponnene Ideen."
Autorin: "Was heißt das?"
Mike Sommermann: "Ich repariere Teddybären und Puppen. Das kann ich. Und dachte: Okay, wenn ich hiermit baden gehe, schwenke ich komplett um."
Er wird wieder ernst: "Der Nachteil an einer Spezialisierung ist: Man ist sehr sensibel gegenüber Anfeindungen von außen. So wie jetzt. Ne Soforthilfe wäre perfekt, wenn das wirklich so reibungslos klappen würde."
Autorin: "Ich drück erstmal die Daumen für die nächsten Tage."
Mike Sommermann: "Ja, danke!"

"Ich bin wahnsinnig überarbeitet

Autorin: "Was machst du gerade?"
Katharina Stock: "Ich mach den Zuschnitt für die Masken. Ich lege mein Schnittmuster auf, zeichne auf den Stoffen an. Dann wird alles gebügelt und zugeschnitten."
Katharina Stock kann momentan nicht die Hände in den Schoss legen. Seit der kleine Laden, das ka:put:, ihr eigenes Modelabel, geschlossen ist, hat sie nicht einen freien Tag gehabt. Seitdem näht die Leipzigerin Stoffmasken, circa 50 am Tag.
"Ich bin wahnsinnig überarbeitet. Ich stehee früh auf, sitz an der Nähmaschine und nehme die abends wieder mit nach Hause, dass ich da weiterarbeiten kann. Das war jetzt mal 14 Tage okay, aber ich muss für die nächsten Wochen eine Lösung finden, dass ich eine Art Feierabend habe."
Autorin: "Seit wann ist der Laden jetzt zu?"
Katharina Stock: "Ja, Donnerstag war Ladenschließung. Also vor 14 Tagen. Und da habe ich angefangen, Sachen zu fotografieren, online zu stellen, aber: So schnell läuft ja so ein Onlineshop nicht an. Für jeden einzelnen Artikel brauch ich eine Dreiviertelstunde für Bildbearbeitung, Artikelbeschreibung, da muss man sämtliche Richtlinien einhalten. Das ging zwei Tage und dann habe ich angefangen, diese Masken zu nähen. Und seitdem nix anderes."

"Das geht jetzt über Masse"

Autorin: "Wie viel nimmst du pro Maske?"
Katharina Stock: "Sechs Euro. Aber es muss sich ja auch jeder leisten können. Ich kann da jetzt keine Kalkulation aufmachen mit einem Stundenlohn. Was gerade abgenommen wird, sind diese Stoffmasken. Für alles andere ist kein Nerv. Das geht jetzt über Masse. Und so kann ich dann nächsten Monat auch noch meine Miete zahlen. Indem ich rund um in die Uhr arbeite … Ich glaube, das hat mich durch diese ganzen Jahre Selbständigkeit gebracht, dass ich mich eigentlich immer auf mich selbst verlassen kann. Und es ist genau das, was mich beschäftigt, mit den Fördergeldern. Ich habe tatsächlich letzte Nacht die Seite aufgerufen. Aber die Server brechen immer wieder zusammen, von der SAB Sachsen."
Sie meint die sächsische Aufbaubank. Irgendwann früh morgens habe sie es wohl doch auf die Seite geschafft.

"Ich konnte das nicht mit ruhigem Gewissen machen"

Katharina Stock: "Aber ich dachte auch: Jetzt verdiene ich ja noch Geld. Ich bin verunsichert. Auf der anderen Seite: Ich weiß nicht, was in drei Monaten los ist."
Autorin: "Wieso zögerst du, wenn du dich tatsächlich in so einer unsicheren Position befindest?"
Katharina Stock: "Es gibt zwei Dinge: Es gibt das Darlehen, das muss man natürlich zurückzahlen. Das würde ich auf keinen Fall machen. Weil meine ganze Selbständigkeit hat darauf aufgebaut, keine Kredite zu haben. Und das andere ist ein Sofortzuschuss. Was ich so grob überflogen habe, musste man angeben, dass man schon 50Prozent Einbußen hat. Ich konnte das nicht mit ruhigem Gewissen machen, weil ich dachte: Nee, ich habe jetzt noch nicht diese riesen Einbußen. Ich kann nicht sagen, ob iches beantragen werde oder nicht. Es kann ja sein, in 14 Tagen ist das vorbei. Dann will niemand mehr einen Mundschutz haben. Kann aber auch sein, es dauert noch zwei Monate."
Zu diesem Zeitpunkt, Anfang April, rechnen vermutlich noch die wenigsten mit einer Wochen später in Kraft tretenden bundesweiten Maskenpflicht.

"Mal ein bisschen um sich kümmern"

"Der Austausch fehlt. Die direkte Kommunikation als Live-Musiker", erzählt Mr. Angry T. Der Posaunist spielt in mehreren Leipziger Bands und Projekten. Unter anderem die im Hintergrund zu hörende Band Lizzy Mc Pretty, mit denen er bald wieder auf Tour gewesen wäre.
Mr. Angry T spielt auf seiner Posaune.
Posaunist Mr. Angry T spielt in mehreren Leipziger Bands und Projekten© Natalie Putsche
Ich treffe den Musiker zum Interview am See. Er will den kurzen Gang nach draußen, die ungewohnt frei verfügbare Zeit nutzen, um ins eiskalte Wasser zu springen.

"Ich sehe das gerade auch als eine Möglichkeit, sich mal ein bisschen um sich zu kümmern", sagt er. Aber dass es Anfang April ist und plötzlich alle geplanten Konzerte in den nächsten Monaten ausfallen sollen, das verunsichert selbst hart gesottene Künstler.
"Wenn die ganzen Festivals ausfallen, wird es kritisch", sagt Mr. Angry T. "Jetzt mal für zwei, drei Wochen oder auch mal einen Monat, das bin ich auf eine Art gewohnt, dass ich das abfangen kann. Eigentlich könnt man jetzt die Zeit auch nutzen, um Booking zu betreiben. Aber den Veranstaltern geht es ja genauso beschissen wie uns. Deswegen ist es ganz schwer, jetzt gerade irgendwelche Zusagen zu kriegen, für Herbst oder irgendeine Zeit."

"Werde mich auf jeden Fall nicht verschulden"

Auch er habe sicher vor, sich finanzielle Hilfe zu holen. Er hält es da ähnlich wie Katharina.
"Ich werde mich jetzt auf jeden Fall nicht verschulden", sagt der Posaunist. "Mit meinen Konzerten finanziere ich mein Leben. Wenn ich die dann abzahlen müsste, es wäre einfach nur ein Vertagen der Misere."
Um eine Sache habe er sich bereits gekümmert: "Es gibt so ein, zwei Soforthilfen über den Deutschen Orchester Bund, die recht einfach zu beantragen sind. Das habe ich gemacht. Keine Riesenbeträge, so kleine kurze Hilfen von 500 Euro."
Auch die überall erwähnte Seite der SAB Bank, die Musiker als potenzielle Soforthilfeempfänger zum Beispiel auch explizit aufführt, müsse er sich noch unbedingt anschauen.
"Ich muss mich damit noch ein bisschen näher befassen", sagt er. "Es ist jetzt alles recht frisch." Es ist der 05. April. Knapp eine Woche nach meinem ersten Besuch bin ich kurz bei MetaMarie, dem Unternehmen für Sonnensegel, um nachzufragen, wie es weiter geht.
"Ja, ich hab versucht auf der Website von der SAB nach diesem Antragsformular zu suchen, schon den ganzen Nachmittag", sagt Mike Sommermann. "Die Seite ist down, komplett überlastet. Weil wahrscheinlich so viele drauf zugreifen. Also ich konnte den Antrag bislang noch gar nicht sehen und bin immer noch ein bisschen unsicher, was da jetzt geht. Jeden Tag gucken, das ist so die Situation."

Ein Soli-Gutschein gegen Corona

Und während woanders in Leipzig noch ungeduldig auf das Erscheinungsbild der SAB-Soforthilfeseite gewartet wird, hat es eine Kleinunternehmerin in einem anderen Leipziger Kiez schon geschafft, die Formulare ausdrucken.
"Eins, zwei, drei, vier Seiten Formular", sagt Nora Freitag. "Das ist das Soforthilfeprogramm vom Bund, wird aber dezentral über die Länder ausgezahlt. Nora Freitag betreibt in Leipzig-Plagwitz das Cineding. Neben der Kinobar ein weiteres kleines Programmkino mit nur 50 Sitzplätzen.
Nora gehört gerade zu den Kinoaktivisten, sprich: Sie versucht, wie viele andere auch, durch Kinogutscheine an der Erhaltung ihrer Existenz mitzuarbeiten.
"Heute frisch eingetroffen: Ein spezieller Corona-Soli-Gutschein. Ist ein bisschen teurer als sonst, dafür ist ein Getränk mit dabei", erklärt sie. Und dazu der Antrag auf Soforthilfe.
Nora Freitag: "Hier sind Erklärungen dazu: ‘Mir ist bekannt, dass ich die Soforthilfe nur für Betriebsausgaben verwendet werden darf. Ich nehme davon Kenntnis, dass die Soforthilfe als Einnahme steuerbar ist und kein Rechtsanspruch auf die Gewährung der Soforthilfe besteht. Ich versichere, dass ich durch die Corona-Pandemie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten bin, die meine wirtschaftliche Existenz bedrohen.‘"
Autorin: "Kannst du da ein ganz klares ‚Ja‘ sagen?"
Nora Freitag: "Ja! ‚Mir ist bekannt, dass ich im Fall einer Überkompensation die Soforthilfe zurückzahlen muss.‘"

"Das war überraschend unbürokratisch"

Die Soforthilfe soll für drei Monate reichen. Gestaffelt wird nochmal, ob man bis zu fünf oder mehr Angestellte hat. 15.000 Euro wäre dann der Maximalbetrag.
Nora steht jeden Abend selbst in ihrem Kino: "Ich hab da jetzt mal 6000 angegeben: für Miete, Strom, Flyer-Druck vom Vormonat, letzte Filmmieten von den Wochen vor der Schließung. Die Filme muss man trotzdem bezahlen, auch wenn keine Gäste kommen."
Autorin: "Kannst du da deinen Stempel drunter setzen?"
Nora Freitag: "Ja! Ich dachte, die wollen von der Steuererklärung noch eine Gewinnermittlung, Kontoauszüge. Ich habe befürchtet, dass man sehr viele scannen und drucken muss, aber das war überraschend unbürokratisch."
Nora ist trotzdem skeptisch, wie die meisten, die es betrifft, ob die Soforthilfe wirklich schon bald auf ihrem Konto ist. Sie erzählt mir, dass sie immer noch erleichtert wäre darüber, dass sie nach acht Jahren existenzielle Unsicherheit im Januar einen Job in einem Filmarchiv angenommen habe.
"Das hat mich jetzt so ein bisschen in der Existenz gerettet", sagt Nora Freitag. "Jetzt geht es nur noch darum, dass man die laufenden Kosten fürs Kino, auch ohne Einnahmen, wieder reinkriegt."
Blick auf den Eingang des Kinos Cineding in Leipzig
Kleines Programmkino mit 50 Sitzplätzen: Das Cineding von Nora Freitag in Leipzig© Nora Freitag
Sonst sähe die Situation der Unternehmerin jetzt noch düsterer aus. Dann hätte sie vermutlich zusätzlich zur Soforthilfe Harz IV beantragen müssen. Denn für den persönlichen Lebensunterhalt ist die schnelle Hilfe nicht gedacht. Das soll über andere Stellen, etablierte Sozialsysteme, geregelt werden. Etwas, was fast alle Kleinunternehmer, mit denen ich in dieser Zeit zu tun habe, eher kopfschüttelnd hinnehmen.

Soforthilfe mit "Knurren im Bauch" beantragt

"Es gibt viele unterschiedliche Meinungen", sagt Mike Sommermann, "wofür diese 9000 Euro, das ist der Höchstsatz für mich als Einzelunternehmer, zur Verfügung gestellt werden."
Mike vom MetaMarie erzählt mir kurz vor Ostern, dass er den Antrag auf Soforthilfe nun auch abgeschickt habe. Aber nicht ohne Knurren im Bauch, wegen des Passus zu den Betriebsausgaben.
"Einerseits heißt es: Nur für Betriebsausgaben, das würde dann für meine Werkstattmiete zum Beispiel sein, Telefon, KFZ-Kosten, die über die Firma laufen. Und das war es schon. Krankenversicherung ist raus. Und mein privater Bedarf, durch die Erträge meiner Firma, auch raus. Das heißt: Den Rest zum Leben müsste ich mir über die Grundsicherung des Jobcenters holen. Eine andere Lesart ist, dass die Soforthilfe eben auch für ein persönliches Gehalt herausgenommen werden kann."

Betriebsausgaben - schwer zu verstehen

Und bei Fragen ist es auch kaum möglich, einen Berater telefonisch – bei der Sächsischen Aufbaubank etwa –, zu erreichen. Ist mir zumindest trotz mehrfacher Versuche nicht gelungen. Wird vermutlich bei den zuständigen Einrichtungen in den anderen Bundesländern ähnlich sein. Mittlerweile sind zumindest Antworten auf meistgestellte Fragen auf den jeweiligen Webseiten.
"Erstmal vom betriebswirtschaftlichen Kostenbegriff ‚Betriebsausgabe‘ sind grundsätzlich auch Gehälter, auch kalkulatorische Gehälter eines Unternehmers miterfasst. Und man hat das jetzt im Nachgang nochmal nachgesteuert, dass Gehälter nicht darunterfallen", erklärt Christoph Naumann.
Er ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und wähnt zwei Überlegungen hinter dieser Entscheidung.
"Das, wo der Staat sich ein bisschen davor drückt, ist der administrative Aufwand", sagt er. "Es ist natürlich einfacher zu sagen: Selbständige, beantragt Harz IV. Das ist ein System, das über zehn Jahre alt ist. Es gibt eine eingespielte Vermögensprüfung. Und es ist eine politische Entscheidung. Der Staat hat im Endeffekt die Coronasituation dem allgemeinen wirtschaftlichen Risiko gleichgesetzt und gesagt: So, wenn du in die Situation kommst, dass du nicht mehr arbeiten kannst, weil dein Unternehmen wird geschlossen, Stichwort Gastronomie, oder du kannst noch arbeiten, aber deine Kunden können nicht mehr arbeiten, Stichwort Werbebranche, es fragt keiner mehr meine Leistung ab …"
Autorin: "Stichwort: Musiker."
Christoph Naumann: "Oder Musiker, und man sagt ihm jetzt: Du kannst ja Harz IV beantragen, mit erleichtertem Zugang. Aber trotzdem bleibt es dabei. Du musst erstmal deine Ersparnisse verwenden, Vermögen abschmelzen. Dann ist das für viele, aus meiner Sicht verständlich, nicht nachvollziehbar."
Und für die meisten freiberuflichen Künstler scheint die Soforthilfe überhaupt aussichtslos zu sein. Zumindest glaubt das Mr. Angry T, der Leipziger Posaunist, mit dem ich in der letzten Aprilwoche telefoniere. Denn bei Dienstleistungen vor Ort, wie bei Konzerten zum Beispiel, scheint ja die Hilfe nicht zu greifen, Stichwort: Betriebsausgaben. Da ist es wieder.

Plädoyer für eine pragmatische Soforthilfe

"Das ist in der Tat sehr schwierig", sagt Christoph Naumann, "weil hier auf einen sehr starken wirtschaftlichen Faktor gesetzt wird. Der unterstellt: Ich habe einen Kleinunternehmer, der wie aus dem Bilderbuch arbeitet. Ich miete mich ein, ich lease mir Maschinen oder Geräte. Und der kann natürlich sagen: So, ich habe 500 Euro Mietaufwendung. Dann für meinen Computer, den habe ich auf Abzahlung. Wo man sagt, den kann ich kostenmäßig genau einfangen. Der hat diese laufenden Verbindlichkeiten. Jetzt habe ich meinetwegen einen Musiker, der ein Instrument hat, der das einfach besitzt. Der wird keine betriebswirtschaftliche Auslegung vorlegen und sagen: Ich habe hier eine Abschreibung auf mein Cello von 100 Euro im Monat. Das ist fernliegend, so eine Betrachtung."
Es gäbe aber andere Möglichkeiten, meint der Jurist: "Dass man sagt, so wie ihr es bei den Kitaschließungen gesagt habt, der Selbständige kann Verdienstausfall geltend machen, wenn er sein Kind betreut, aber dafür seiner selbständigen Tätigkeit nicht nachgehen kann, so müsste man das eben auch ausdehnen auf generelle Pandemiebetroffenheit."
Damit wäre zum Beispiel auch Musikern in dieser Zeit geholfen: "Dass man eben sagt: Meine ganzen kulturellen Veranstaltungen sind abgesagt worden. Und da ist ja die Verdienstausfallprüfung relativ einfach. Eine differenzierte Betrachtung wäre angesagt."

Stipendium und Livestream statt Jobcenter

Der Musiker Mr. Angry T versucht nun ein Stipendium zu bekommen und weiterhin neue musikalische Möglichkeiten auszuprobieren, wie Livestream-Konzerte, um vielleicht so auch hier und da wieder etwas Geld in die Kasse zu spülen, auch wenn Onlineformate aktuell noch selten bis kaum honoriert werden. Zum Jobcenter, leichter Zugang hin oder her, will der Musiker nicht. Verständlich.
Von Normalität ist auch Modemacherin Katharina Ende April noch weit entfernt. Obwohl sie mittlerweile ihrem Laden wieder geöffnet haben darf, nutzt sie die Zeit momentan noch, um weiter Masken zu nähen und öffnet ihr Geschäft nur sporadisch.
Per Sprachnachricht teilt sie mir mit, dass auch eine Soforthilfe für sie weiterhin erstmal nicht in Frage kommt. Sie habe ihre Kosten bisher soweit decken können, indem sie so schnell reagiert habe. Die Nachfrage nach Stoffmasken sei immer noch riesig. Zudem war Sachsen das erste Bundesland, das offiziell die Maskenpflicht eingeführt hatte.
"Ich darf mir auf jeden Fall keinen Stundenlohn ausrechnen", sagt Katharina Stock. "Wenn jetzt der Rieseneinbruch noch kommen sollte, kann ich immer noch bis Ende Mai Geld beantragen."
Auch das Aktivwerden von Nora vom Kino Cineding hat sich gelohnt: mit über 200 verkauften Corona-Kinogutscheinen. Außerdem hat sie mittlerweile die Zusage für Soforthilfe, wenn auch recht spät, denn zwischendurch hatte die zuständige Behörde die Ausschüttung auf Eis gelegt, wegen zu vieler Betrugsfälle.

"Ich werde die 9000 Euro definitiv zurückzahlen"

Überraschende Neuigkeiten gibt es Ende April vor allem vom Handwerksunternehmen MetaMarie.
"Ich habe ja den Antrag an die SAB Sachsen gestellt", erzählt Mike Sommermann. "Der ist dann auch relativ schnell bearbeitet worden. Ich glaube, drei Tage später kam die Zusage und weitere zwei Tage später hatte ich 9000 Euro auf dem Konto. Ich werde die 9000 erstmal nicht anrühren."
Überraschende Wendung. "Ja, da geht es darum, dass ich sehr viel Material brauchte." Um die größeren Aufträge aus dem vergangenen Jahr fertig zu bauen.
"Und das ist jetzt doch noch von deutschen Lagern abrufbar gewesen", sagt Mike Sommermann. "Das war aber tatsächlich unklar. Das heißt, sehr viele Firmen haben zugegriffen und Bestellungen abgeschossen, weil sie nicht wussten: Kriegen wir übermorgen noch Ware?"
Hamsterkäufe.
"In zwei Monaten, wenn das Ganze hier hoffentlich durch sein wird, werde ich definitiv die 9000 Euro zurückzahlen", sagt er. "Mit der Begründung, dass ich aus einer großen Angst heraus gehandelt habe, diesen Antrag gestellt hab. Die Situation war nebulös, und ich hätte von gleich auf jetzt Null Aufträge ausführen können. Theoretisch."

Spendeneingang ohne Spendenaufruf

Autorin: "So, wir haben heute den 23. April. Ich habe dich am 28. März getroffen, da war alles noch superfrisch. Du hattest die Kinotüren gerade, ich glaub, zehn Tage dicht gehabt. Wie geht es dir jetzt?"
"Ganz privat geht‘s mir gut", sagt Miriam Pfeiffer. "Das ist eine neue Zeit, so am Stück so viel frei zu haben." Ich sitze wieder mit Miriam Pfeiffer vor ihrer Kinobar, dem Prager Frühling.
"Ich habe immer noch keine Gutscheine oder sowas auf den Weg gebracht", erzählt sie. "Es wurde gespendet von Leuten, ohne dass ich aufgerufen habe, das fand ich ganz großartig."
Doch die Aussichten auf die nächsten Monate bereiten ihr jetzt langsam Bauchschmerzen.
"Jetzt werde ich langsam unruhig", sagt sie. "Jetzt ist so die Zeit, wo ich mein Sommerkino eröffne. Das war immer ein guter Ausgleich bis in den September rein. Das war eigentlich so, dass ich dachte: Na ja, das wird jetzt losgehen können, weil draußen und frische Luft. Und jetzt gibtes so irgendwie keine Nachricht, was mit den Kinos passiert. Es sind Unternehmen, trotz allem. Ähnlich wie die Gastronomie gilt es hier auch Geld zu verdienen, irgendwann, irgendwie, wieder."

"Zum Amt gehe ich nicht"

Die Soforthilfe hat auch sie bekommen. Aber eben auch nur für Betriebsausgaben. Noch ginge auch alles weiterhin, dank erwirtschaftetem Erspartem. Aber wie geht es weiter? Und vor allem wann? Das ist die Frage, die sie inzwischen doch öfter aus dem Schlaf holen würde.
"Also ich mein: Zum Amt gehe ich nicht", sagt Miriam Pfeiffer. "Solche Dinge fallen mir gar nicht ein. Dann werde ich Familie anpumpen müssen und sonst was. Ich kann nur sagen, dass diese Inputs, dass die Leute lieben beieinander zu sein, dass das auf jeden Fall wieder möglich sein muss. Und wenn die Leute mit Mundschutz dasitzen. Ich meine nur, dass es möglich sein muss, über bestimmte Dinge nachzudenken. Und zwar nicht in den Herbst hinein, sondern wirklich konkret jetzt, ohne, dass man als Sozialwahnsinnige hingestellt wird."
In ihr Kino geht sie freiwillig nicht, auch wenn sie die Zeit nutzen könnte, für kleinere Ausbesserungsarbeiten.
"Ich habe gerade wenig Lust auf den Laden", sagt sie. "Muss ich ehrlich sagen. Weil es komisch ist, wenn da alles steht. Ich hoffe einfach, dass es jetzt schrittweise Ideen gibt, von der Politik, wir sind noch ganz am Anfang des Frühlings. Ich habe nur so das Gefühl, dass es sinnig wäre, den Leuten eine Perspektive zu geben, denke ich, hoffe ich, wünsche ich mir."
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