Studieren in der Pandemie

Fehlende Motivation, Einsamkeit und Depressionen

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An der Universität Leipzig sitzt ein Informatikstudent bei einer digitalen Vorlesung allein im Auditorium maximum. Er blickt auf seinen Laptop, die Stuhlreihen sind sonst leer.
Allein im Auditorium maximum: Wegen der Pandemie finden viele Lehrveranstaltungen nur noch online statt. Das kann einsam machen. © picture alliance/dpa/Waltraud Grubitzsch
Sabine Stiehler im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 21.01.2022
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Auch an den Universitäten sind die Pandemie und ihre Begleiterscheinungen ein Riesenproblem. Psychosoziale Beratungsstellen haben alle Hände voll zu tun - bis hin zur Intervention bei suizidalen Krisen.
Dass die Coronapandemie Kindern das Leben bisweilen sehr schwer macht, wird viel diskutiert. Studentinnen und Studenten befinden sich hingegen weniger im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Doch auch für sie ist Covid-19 eine echte Herausforderung.

Die meisten Anfragen beziehen sich auf Corona

Sabine Stiehler kennt ihre Sorgen und Nöte. Sie leitet die Psychosoziale Beratungsstelle des Dresdner Studentenwerks. Mittlerweile bezögen sich rund 80 Prozent aller Anfragen von Studierenden auf Corona, berichtet sie.
Die "Klassiker" in der Beratung seien vor der Pandemie Prüfungsangst, Probleme mit dem Studienabschluss und Leistungsdruck gewesen. Doch diese Probleme kämen kaum noch vor. Dafür gehe es nun um depressive Verstimmungen bis hin zu suizidalen Krisen.

Die Konzentration ist weg

Die Pandemie habe erhebliche Auswirkungen auf Konzentration und Arbeitsfähigkeit der jungen Menschen, sagt Stiehler. Manche hätten "keine Motivation mehr, weiterzumachen - das bezieht sich auf das Studium, manchmal aber auch auf das ganze Leben". Eine Studentin habe ihr geschrieben: "Eine Weile nicht existieren wäre genau das, was ich jetzt brauche."
Auch die Anzahl der Anfragen hat laut Stiehler zugenommen. Rund 30 bis 40 Studierende in der Woche wendeten sich an die Beratungsstelle und suchten Hilfe. Stiehler ist davon überzeugt, dass die Pandemie für viele von ihnen weitreichende Folgen haben wird: "Das psychische Immunsystem ist angekratzt. Das wird sich auf das ganze Leben auswirken."
In einer bundesweiten Forsa-Umfrage im Auftrag einer Krankenkasse berichteten rund zwei Fünftel aller Studierenden, sich durch die Coronapandemie und die damit verbundenen Einschränkungen stark gestresst zu fühlen.

Kopf- und Bauchschmerzen, Einschlafprobleme

Fast 40 Prozent der Befragten berichteten von depressiven Symptomen während der Krise und gaben an, schneller gereizt als üblich und häufiger demotiviert zu sein. Rund ein Viertel der Hochschüler haben außerdem körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und Verspannungen sowie Ein- oder Durchschlafprobleme.
Kunststudenten der Hochschule für Bildende Künste Dresden gehen mit ihren Kunstwerken auf dem Elberadweg entlang und spiegeln sich in einer Pfütze. Im Hintergrund ist die Kulisse der Altstadt zu sehen. Aufgrund der Coronapandemie fiel die Jahresausstellung der Studenten aus.
Keine Jahresausstellung wegen Corona: Kunststudenten der Hochschule für Bildende Künste Dresden gehen mit ihren Kunstwerken auf dem Elberadweg.© picture alliance/dpa/Sebastian Kahnert
Laut Stiehler finden rund 80 Prozent der Lehrveranstaltungen in Dresden derzeit nicht in Präsenz statt. Das zu ändern ist für sie die einzige Lösung des Problems: "Präsenz, Präsenz, Präsenz!" Sie habe schon mit Studierenden gesprochen, die im dritten Semester seien und noch nie in einem Hörsaal gesessen hätten. In der Beratung zeige sich, dass zwar die digitalen Kontakte der Studierenden funktionierten, sich diese durch zu wenig echte Kontakte aber trotzdem einsam fühlten, sagt Stiehler. Die Beraterin regt deswegen die Gründung von Selbsthilfegruppen an.

Forderung nach einem Aktionsprogramm

Auch Stiehlers Dachverband, das Deutsche Studentenwerk, hat bereits wegen der Pandemiefolgen für Studierende Alarm geschlagen. "Die psychosoziale Beratung der Studenten- und Studierendenwerke wird förmlich überrannt", sagt der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, Matthias Anbuhl. Bund und Länder müssten die Ressourcen mit einem Aktionsprogramm dringend aufstocken: "Nötig sind bis zu zehn Millionen Euro in den kommenden vier Semestern."
(ahe/dpa)
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