Corona-Lockdown

Auch die Jugendherbergen trifft es hart

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Schilder weisen in Titisee-Neustadt im Schwarzwald auf die Jugendherberge hin.
Bitte hier entlang: Kaum jemand, der in seiner Schulzeit nicht in einer Jugendherberge war. © dpa / picture alliance / Patrick Seeger
Von Heiner Kiesel · 01.02.2021
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Klassenfahrten, Partys, Gruppendynamik in der Jugendherberge - nach einem Jahr Pandemie wirkt das wie aus einer anderen Zeit. Corona ist auch ein Härtetest für die rund 450 Jugendherbergen in Deutschland. In Bayern sollen nun drei Standorte schließen.
"Wir stehen jetzt gerade mitten im Foyer, das ist der Eingangsbereich, in dem die Gäste landen, einchecken, sich ihre Schlüssel holen und dann auf die Zimmer verteilen."
Jürgen Goldbach hat noch einmal die Jugendherberge in Lohr am Main aufgeschlossen. Ein fränkisches Fachwerkstädtchen im Nordwesten Bayerns. Jetzt steht er etwas verloren, trotz seiner kräftigen Zwei-Meter-fünf-Statur, zwischen dem Tresen und der bunten Sitzgruppe vor dem Panoramafenster.
Seit knapp einem Jahr ist es still hier. Corona. Es riecht steril nach Reinigungsmitteln. Goldbach mochte diesen Raum am meisten. "Da wurde es auch mal laut, da wurde gesungen, gespielt, da sind auch mal Tränen geflossen. Das war immer der Bereich, an dem ich am liebsten war, weil man da eben die Action im Haus gespürt hat."

Betroffen sind Lohr, Feuchtwangen und Kehlheim

Damit soll es vielleicht endgültig vorbei sein. Der zermürbende Lockdown ohne Perspektive belastet die Jugendherbergen schwer. Keine Gäste, aber laufende Kosten. Das Haus in Lohr, so empfiehlt das Präsidium des bayerischen Landesverbands des Herbergswerkes, soll stillgelegt werden. Ebenso die Einrichtungen in Feuchtwangen und Kehlheim.
Endgültig entschieden wird auf der Präsidiumssitzung Ende Februar. Die Auslastung der drei Einrichtungen sei zu gering, der Investitionsbedarf zu groß, und überhaupt gebe es zu viele Gästebetten an den betreffenden Standorten. Goldbach führt durch ein Haus mit 96 Betten, das so gar nicht dieser Definition zu entsprechen scheint. 2017 wurde es ordentlich aufgepeppt.
"Ich glaube schon, dass dieses Haus Potenzial hat, mit dem man in die Zukunft kommen kann. Ich glaube auch, dass man in den letzten Jahren mit der Teilsanierung und Modernisierung so viel am Haus gearbeitet hat, dass es die nächsten Jahre gut überstehen kann und auch im Brandschutz sind wir auf dem neuesten Stand. Meiner Meinung nach spricht dem nichts entgegen, zu hoffen, dass das Haus weiter betrieben wird."

"Wir waren auf einem guten Weg"

Es lief doch ganz gut an, seit der Wiedereröffnung. Jedes Jahr tausend Übernachtungen mehr: "Wir waren auf einem guten Weg und das ist wirklich sehr bitter!"
Jürgen Goldbach war 20 Jahre lang Herbergsvater.
Jürgen Goldbach war zwei Jahrzehnt lang Herbergsvater in Lohr.© Heiner Kiesel / Deutschlandradio
Abgesehen von der tristen Sachlage ist das Wörtchen "wir" hier ganz interessant. Goldbach sagt es ständig, wenn er über die bedrohte Jugendherberge spricht. Dabei ist der 42-Jährige gar nicht mehr der Chef hier. Er ist im letzten Jahr Leiter der Tourismus-Information seiner Stadt geworden. Nicht wegen Corona, sagt er. Er wollte einfach mal was anderes machen. Aber das, was mit dem Haus passieren könnte, schmerzt ihn doch.
"Herbergsvater wird man und bleibt es dann nur, wenn man den Beruf liebt. Das habe ich 20 Jahre gemacht, und in 20 Jahren erlebt man so einiges, und man lernt das zu lieben. So ganz davon loskommen werde ich, glaube ich, auch nicht mehr."
Als Stadttouristiker weiß er, was das Aus für die Jugendherberge für die Kommune bedeuten würde: "Die Schließung der Jugendherberge ist eine Katastrophe für die Stadt Lohr und für den Tourismus. Wir würden auf einen Schlag Übernachtungszahlen im vierstelligen Bereich verlieren. Die Gäste der Jugendherberge waren immer gern gesehene Kunden in den Geschäften und Lokalen Lohrs."

Im Gang vor dem Speisesaal geht der Ex-Herbergsvater an seiner Ex-Mitarbeiterin Elisabeth Engelbrecht vorbei. Die Endfünfzigerin mit den langen, offenen Haaren steht vor einem aufgedrehten Wasserhahn: "Wegen der Legionellen, die müssen alle regelmäßig gespült werden."
Sie hält außerdem noch das Außengelände mit Teich und Mammutbaum in Schuss. Kurzarbeit, zehn Stunden. Ihre verbliebenen zwei Kollegen wurden auf null Stunden runtergefahren. Sie waren mal zu siebt. Engelbrecht ist eigentlich Küchenchefin: "Ich führe Sie in mein Reich - kommen Sie mal mit."
Sie biegt vom Gang in die Kaltküche ab, da stehen stumme Kühlschränke und leere Anrichten, dann in die eigentliche Küche. Edelstahlherde, Tresen. Alles blitzblank, in Wartestellung.
Elisabeth Engelbrecht war in der Jugendherberge Lohr beschäftigt.
Elisabeth Engelbrecht war 18 Jahre in der Jugendherberge Lohr beschäftigt.© Deutschlandradio / Heiner Kiesel
Der Kaffeeautomat ist das einzige Gerät, das läuft. Das Feuer am Herd - vielleicht für immer aus. "Sehr seltsam, das ist schon traurig, dass man eigentlich schon fast weiß, dass man hier nie mehr kochen kann, das ist kein schönes Gefühl."
Was jetzt kommt? Nach 18 Jahren eine neue Arbeit suchen. Sie zieht die Augenbrauen hoch. Jobsuche als Küchenchefin im Lockdown? "Und ich bin auch nicht mehr die Jüngste."
Jürgen Goldbach stellt die leere Kaffeetasse zurück auf Engelbrechts Tresen. Er muss wieder in seine Tourismus-Info, beim Gang nach draußen, in seinem geliebten Foyer, huscht noch einmal dieser verlorene Herbergsvater-Blick über sein Gesicht. "Ich hoffe, das war nicht das letzte Mal, dass diese Tür abgeschlossen wird."
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