Corona-Intensivmedizin an der Charité

Patientenbetreuung per „Visitenroboter“

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Blick auf den Schriftzug der Charite am Bettenhaus der Klinik in Berlin-Mitte. Im Vordergrund ranken Zweige ins Bild.
Von der Berliner Charité aus werden alle Corona-Intensivpatienten betreut. © imago / Klaus Höfer
Von Sebastian Engelbrecht · 26.05.2020
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Corona-Intensivpatienten in ganz Berlin werden von der Charité versorgt. Untergebracht sind sie jedoch in verschiedenen Krankenhäusern. Um auch diese Patienten zu betreuen, machen die Ärzte Fernvisiten mit einem sogenannten Visitenroboter.
Journalisten sind nicht so gern gesehen auf den Fluren der Intensivmedizin der Berliner Charité. Aber wenn es darum geht, den Visitenroboter vorzustellen, macht Claudia Spies eine Ausnahme. Professor Spies, eine zierliche Dame mit einem – selbst unter der Mund-Nase-Maske – gewinnenden Lächeln, leitet die Intensivmedizin an der Berliner Klinik.
"Die Mehrheit der Patienten profitiert sehr davon, weil man natürlich – wie bei einer Art Zweitmeinungsverfahren – einen Vorteil hat, wenn ein Gremium sich drum kümmert und wenn natürlich wie jetzt, wo es so akut ist und Wissen so schnell generiert wird und wo auch Wissen so schnell anzuwenden ist, wenn man das wirklich gemeinsam auch steuern kann."

Video-Verbindung zwischen zwei Kliniken

Der Oberarzt an ihrer Seite – zivil im dunkelblauen Hemd – heißt Björn Weiß. Der Intensivmediziner betritt ein winziges Zimmer voller Rechner und Bildschirme und stellt eine Videoverbindung her vom Charité-Campus in Berlin-Wedding zum Krankenhaus Havelhöhe in Berlin-Spandau.
"Hallo, Herr Esposito. Na?"
"Hallo!"
"Hallo, Herr Weiß."
Auf dem Bildschirm grüßt Fabrizio Esposito, Intensivmediziner im Krankenhaus Havelhöhe, im azurblauen Kittel.
Dort erscheint Charité-Arzt Weiß als das Gesicht eines Roboters. Er sieht aus wie eine mannshohe weiße elektrische Zahnbürste, auf der anstelle des Bürstenkopfes ein Bildschirm befestigt ist. Darauf erscheint der Kopf von Björn Weiß. Der navigiert den Roboter von der Charité aus.
"So, jetzt fahren wir hier ins Zimmer des Patienten rein. Der weiß auch Bescheid, dass wir kommen."
"Hallo. Guck mal, wer da ist!"
"Hallo."
"Er weiß Bescheid, dass Sie heute da sind."
"Ah wunderbar. Hallo. Guten Tag. Wie geht’s Ihnen heute?"
"Er hat gerade einen Brustwickel von Schwester Conny bekommen."
"Ah, sehr gut."
"Es geht ihm sehr gut. Er ist entfiebert."
Björn Weiß sieht auf dem Bildschirm einen älteren Herrn, der fast völlig reglos auf dem Rücken liegt. Er leidet an Covid-19. Seit vier Wochen wird er auf der Intensivstation behandelt, wird immer noch beatmet.
"Und Schmerzen? Haben Sie Schmerzen?"
"Nein. Gar nicht."
"Das sieht nicht so aus. Das ist ja schon mal sehr gut."

Patient muss schlucken neu lernen

Der Patient im fernen Krankenhaus Havelhöhe kann nicht mehr sprechen. Dr. Esposito, seine Schwestern und Pfleger deuten seine Mimik, so gut sie können. Am Ende der Zeit auf der Intensivstation bekommt der Mann Ergo-, Logo-, Musik- und Physiotherapie. Selbst das Schlucken muss er neu lernen.
Bei der Visite mit dem Roboter lernen alle, die Spezialisten in der Charité wie auch die Ärzte in den 30 Berliner Krankenhäusern, in denen die Roboter zu den Patienten fahren.
In der Hochphase der Corona-Infektionen, berichtet Oberarzt Björn Weiß, machten die Experten bis zu 400 Fernvisiten wöchentlich per Roboter.
Jeden Tag entstehe während der Corona-Epidemie neues Wissen, sagt Professor Spies, die Chef-Intensivmedizinerin der Charité. Dieses Wissen könne man mit Hilfe des Visitenroboters sofort in allen Kliniken anwenden. Umgekehrt sammeln die Charité-Ärzte in kürzester Zeit eine Fülle Erfahrungen mit sehr vielen Patienten.
"Die Ehefrau war auch da?"
"Die Ehefrau war seit ein paar Tagen nicht da. Weil sie covid-positiv ist."
"Oh."
"Und dann habe ich noch eine Frage: Wie ist denn das jetzt mit der Mobilisation. Hat er jetzt schon draußen gesessen?"
"Er hat allein seine Zähne geputzt."
Seit Wochen tauschen sich Dr. Esposito in der Havelhöhe und Dr. Weiß von der Charité über Fachfragen aus. Wie über das "Sedierungskonzept", die "Delirprophylaxe", das Verabreichen von Antibiotika und die "Beatmungsstrategie".
Weiß ist auch der direkte Dialog mit dem Patienten wichtig – wenn er möglich ist. In diesem Fall liegt der Patient so, dass er den Roboter und damit Björn Weiß bislang noch gar nicht bemerkt hat.
"Sagen Sie mal, können Sie mich sehen?"
"Nee."
"Na, nicht so richtig. Hallo, winke, winke. Können Sie winken?"
"Ah! Sehr gut, hallo. Wie geht es Ihnen heute? Ist alles in Ordnung?"

Für die Ärzte eine Zeit des Lernens

Ob der Patient schon ein Vertrauensverhältnis zum Roboter und damit zu Dr. Weiß aufgebaut hat, lässt sich noch nicht erfahren. Der Arzt am anderen Ende, Fabrizio Esposito, ist jedenfalls zufrieden.
"Herr Weiß hat fast durchgehend immer die Visite mitgemacht. Mehrere Kollegen, die sehr erfahren waren, auch. Und die haben auch die Erfahrungen von den anderen Kliniken eingebracht. Und da haben wir uns ein bisschen ausgetauscht und ein bisschen versucht, den Komplikationen ein Schritt voraus zu sein. Und nicht warten, dass etwas passiert."
Der Roboter ermögliche den Charité-Experten und den Medizinern in der Peripherie in Pandemie-Zeiten, gemeinsam und im Netzwerk zu lernen, sagt die Intensivmedizin-Chefin Spies.
"Weil natürlich jeder, wenn er’s alleine lernen muss, einfach deutlich länger Zeit braucht, als wenn die Gruppe zusammen lernt – auch in so einer akuten Pandemie."
Instrumente wie der Visitenroboter seien es, meint Spies, die der deutschen Medizin in der Pandemie einen Vorsprung verschafft hätten.
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