Corona in Massenunterkünften

Geflüchtete in der Infektionsfalle

07:43 Minuten
Ein Zimmer einer Gemeinschaftsunterkunft in Nürnberg (2016).
Der persönliche Lebenraum ist nicht groß in den Unterkünften, keine gute Voraussetzung für Coronavorsorgen. © laif/ Jens Schwarz
Von Tobias Krone · 28.05.2020
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Kein Abstand und Mehrbettzimmer. Geflüchtete in Bayern bleiben sich oft selbst überlassen. In einigen Massenunterkünften steigen die Infektionszahlen rapide an. Doch Tests gibt es erst nach mehreren Tagen. Geflüchtete helfen sich mit Eigeninitiative.
Auf die Frage, ob sie in seiner Gemeinschaftsunterkunft gerade Angst vor einer Ansteckung hätten, reagiert Sami verärgert.
"Natürlich gibt es die. Wir sind auch Menschen. Es gibt auch manche, die echt krank sind, die einen Herzanfall haben, viele Probleme, Stress, Schlafstörungen haben. Ich kenne so viele Leute. Die leben zusammen mit denen, die Corona haben. Ich auch. Ich habe jeden Tag Angst, dass ich mich mit Corona infiziere."
Die Angst ist berechtigt. Auch wenn wahrscheinlich niemand aus seinem kleinen Wohnheim Corona hat. Sami, der seinen richtigen Namen nicht im Radio hören will, lebt an einem Hotspot. Erst war es Rosenheim, dann Regensburg. Dort sind es derzeit 127 Fälle in zwei Unterkünften. Und eine Eindämmung des Virus ist nur schwer möglich.

Tests erst nach mehreren Tagen

"Es kam relativ spät die Information, dass Flüchtlinge sich infiziert hätten, erste Unterkünfte in Quarantäne genommen werden mussten."
Stephan Dünnwald arbeitet beim Bayerischen Flüchtlingsrat.
"Das hat aber auch damit zu tun, dass – soweit wir das sehen – in vielen Fällen die Behörden verschlafen haben, da drauf zu gucken. Da gibt es Leute mit Symptomen. Dann dauert es aber erstmal drei Tage, fünf Tage, bis da eine Testung stattfindet."
Stephan Dünnwald in seinem Büro.
Stephan Dünnwald arbeitet beim Bayerischen Flüchtlingsrat. Der sagt, Flüchtlinge haben in den Unterkünften gar keine Möglichkeit sich ausreichend zu schützen. © Tobias Krone
Das war etwa in den vergangenen zwei Wochen in Regensburg zu beobachten. Seit 20. Mai steht eine Gemeinschaftsunterkunft unter Quarantäne. Erst danach hat das dortige Gesundheitsamt mit Reihentests die insgesamt 127 infizierten Geflüchteten ausgemacht und in eine Turnhalle mit spartanischen Sperrholz-Boxen gebracht. Auch in Rosenheim gab es Infizierte.
"Man separiert die infizierten Flüchtlinge vielleicht ein bisschen. Dann ziehen sie einen Bauzaun drumrum und stellen Security vor die Türe, damit niemand rauskann. Und bei der Stadt Rosenheim klang das auch so, dass damit die Gefahr gebannt ist, weil die Flüchtlinge nicht rauskommen und die Bevölkerung sicher sei. Das finden wir einen, ja, fast schon rassistischen Ansatz zu unterscheiden zwischen Flüchtlingen, wo das wurscht ist, wer wen ansteckt und der Bevölkerung, die irgendwie alle außerhalb der Flüchtlingsunterkunft lebenden Leute betrifft."

Einfach utopisch

Der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann erklärte Ende April, es gebe genug Ausweichraum für infizierte Geflüchtete, so "dass wir die Belegung der Ankereinrichtungen und auch der anderen Flüchtlingsunterkünfte zum Teil deutlich auflockern konnten, also reduzieren konnten, was dann auch wichtig ist, um umgekehrt die Infektionsgefahren in diesen Unterkünften auch weiter zu reduzieren."
Doch in kleineren Orten überlässt man auch das Isolieren schon mal den Betroffenen selbst. Wie Maria Feckl erzählt, ehrenamtliche Helferin im oberbayerischen Forstern, eine halbe Stunde von München entfernt: "Man sagte dann einfach: 'Die sollen sich in der Unterkunft selber separieren.' Wobei das Problem ist, dass diese Unterkunft im Erdgeschoss nur ein Bad für die Frauen hat und eines für die Männer. Also Toiletten und Dusche trennen war nicht. Ich habe ganz viel telefoniert mit dem Gesundheitsamt und dem Asylmanagement. Die haben dann gesagt: Nee, das langt, wenn der eine auf dem Klo war und der andere lüftet dann richtig, das passt dann schon. Die haben ihnen angetragen, sie sollen einen Duschplan erstellen. Also vier, fünf verschiedene Nationen, die sich mehr oder weniger gut verstehen, sollen sich dann freiwillig zusammensetzen und einen Duschplan erstellen. Es ist einfach utopisch."

Geflüchtete an Corona gestorben

Schon relativ am Anfang des Lockdowns hat der Bayerische Flüchtlingsrat Klage eingereicht.
"Wir haben tatsächlich diesen Umstand, dass Flüchtlinge sich nicht schützen können in den Unterkünften. Aber sie dürfen ja nicht sagen: 'Okay, ich suche mir irgendwie Freunde, bei denen ich privat wohne, wo ich mich in Sicherheit bringen kann.' Das war für uns der Anstoß zu sagen: 'Wir verklagen die Staatsregierung.'"
Zwei Geflüchtete sind in Bayern bereits an Corona gestorben. Sami glaubt, es sei nur eine Frage der Zeit, bis es auch bei ihnen ausbreche. Auch er habe schon zwei Tage kurz Symptome gehabt – auf einen Test warte er bis heute. Bei ihm im Wohnheim gebe es einen Kühlschrank für sieben Leute. Niemand dort habe bis jetzt Atemschutzmasken bekommen, obwohl sie in Quarantäne leben und nicht rauskönnen, um welche zu kaufen.
"Bitte, wir brauchen eine richtige Behandlung. Wir müssen uns verteilen. Diejenigen, die Corona haben, in eine Quarantäne, dass sie die richtige Behandlung kriegen können, und die anderen in eine normale Wohnung und woanders, egal wie. Aber wenn wir so zusammen leben können, gemischt, mit positiven oder negativen Menschen zusammen: Wie können wir gesund bleiben?"

Dienst nach Vorschrift

Zudem scheint in manchen Landratsämtern Dienst nach Vorschrift auch in der Corona-Krise zu gelten – wie im Landkreis Erding. Die ehrenamtiche Helferin Maria Feckl erzählt von einer Frau aus Nigeria, die ausreisen sollte. Mitten in der Lockdown-Zei: "In der Zeit, wo alle Grenzen dicht waren, in der alle Flughäfen dicht waren, kriegt die einen Bescheid, eine Grenzübertrittsbescheinigung. Sie soll in 14 Tagen Deutschland verlassen. So was passiert. Entweder sie haben dann unsere Kontakte und rufen uns an, aber wenn sie neu sind, nicht. Dann sind sie mit der Angst komplett alleine. Die Frau hat zwei kleine Kinder, kriegt diese Bescheinigung und denkt, morgen steht die Polizei vor der Tür, weil das halt so die Androhungen sind. Und weil es ja auch schon passiert ist."
Inzwischen habe die Familie eine Duldung bekommen, auf Intervention Maria Feckls hin, die auch für die Grünen im Kreistag sitzt. Das Landratsamt will sich auf Anfrage aus Datenschutzgründen nicht äußern.
Auch Helfer, egal ob haupt- oder ehrenamtlich, durften bis vor Kurzem die Einrichtungen nicht betreten. Home Schooling für die Kinder war nur schwer möglich, weil die Internetversorgung in den Heimen schlecht ist. Manche Geflüchtete wollen nicht mehr darauf warten, dass andere ihnen helfen. Wie Samba Bah, wohnhaft in der Geflüchtetenunterkunft Bad Tölz.
Fußgängerzone einer Kleinstadt, am Bildrand steht der senegalesische Geflüchtete mit einem Mundschutz.
Der senegalesische Geflüchtete Samba Bah in der Marktstraße von Bad Tölz.© Tobias Krone
"Von diesem – dem Gummi. 20 Meter ja."
Der Senegalese steht am Tresen eines Stoffgeschäfts in der Altstadt des Kurortes und kauft Nachschub ein für die Maskenproduktion, die er und seine 15 Mitstreiter im Wohnheim eingerichtet haben, inklusive gebrauchter Nähmaschinen, die sie im Internet gekauft haben.
"Letzte Woche haben wir fast 26.000 Gesichtsmasken gemacht, inzwischen dürften es 28.000 sein. Wir machen viele. Heute zum Beispiel, wenn wir Masken nach Regensburg bringen wollen, kaufen zwei von uns ein Bayern-Ticket und bringen sie dorthin. Manche nähen permanent, andere verteilen sie."
Auf eine Arbeitserlaubnis wartet Samba Bah schon länger. Mit den Masken verteilen er und seine selbst gegründete Organisation "Refugee struggle for freedom", zu deutsch "Flüchtlinge kämpfen für Freiheit", nun Hoffnung an den Orten, an denen die Krankheit bis heute leichtes Spiel hat.
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