Corona-Impfstoff

Lasst manche Hoffnung fahren!

04:33 Minuten
Großaufnahme eines Glases mit Virenkulturen, auf die ein möglicher Impfstoff gespritzt wird.
Wer hat den Impfstoff zuerst? Das derzeitige Rennen erinnert an den früheren Wettlauf ins All, sagt Ina Knobloch. © imago/Science Photo Library
Eine Betrachtung von Ina Knobloch · 17.08.2020
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Nach den jüngsten Meldungen aus Russland scheint ein Corona-Impfstoff plötzlich überraschend nahe. Doch schon häufen sich die Warnungen. Durchaus zurecht, meint die Biologin Ina Knobloch: Das Impfstoffrennen ist ein riskantes Spiel.
Bei dem weltweiten Wettlauf um einen Impfstoff gegen das Coronavirus geht es nicht nur um Menschenleben und viel Geld, sondern auch um internationales Ansehen und Ruhm. Wie sonst ließe sich erklären, dass Russland mit dem Impfstoff Gam-Covid-Vac Lyo vorpreschte, dessen massenhafte Wirksamkeit noch unbewiesen ist?
"Sputnik V" ist der Spitzname dieses ersten weltweit zugelassene Impfstoffs gegen SARS-Cov-2, der jetzt gar nicht so freudig von der Weltgemeinschaft bejubelt wird und dessen Name an den Wettlauf ins All in den Fünfziger- und Sechzigerjahren erinnert.

Gefeiert wie ein Heilsbringer

Wer hingegen in der westlichen Welt rettende Vakzine gegen Covid-19 ankündigte, wurde gefeiert wie ein Heilsbringer. Bis zur Zulassung von "Sputnik V" galt noch fast jedwede Kritik an einem Corona-Impfstoff als Verschwörungstheorie. Selbst Zweifel an Turbozulassungsverfahren wurden wie lästige Fliegen vom Tisch gefegt.
Die Operation "Warp Speed" der US-Regierung, die die Impfstoff-Herstellung beschleunigen soll, wurde als heroischer Sieg gefeiert und stieß auch in Europa kaum auf Kritik. Selbst nachdem die EU Mitte Juli den Antrag auf verkürzte Impfstoffzulassungen durchgewunken hatte, drehte sich der Wind nur langsam. Erste kritische Stimmen an dem ethischen Tabubruch einer absichtlichen Infektion von Menschen mit SARS-Cov-2 wurden zwar ernst genommen, aber die Begeisterung von Regierungen und Medien für die schnelle Verfügbarkeit eines Impfstoffs, überwog die Skepsis bei weitem.

Die Warnungen überschlagen sich

Doch Sputnik V ändert plötzlich alles. Die Warnungen vor verkürzten Impfstudien überschlagen sich mit einem Mal und die Argumente sind schwerwiegend:
Heftige Nebenwirkungen von Impfungen werden erst nach langen und breit angelegten, sogenannten Phase-III-Studien deutlich, ebenso die tatsächliche Wirksamkeit eines Vakzins. Dabei gibt es zahlreiche Faktoren, die SARS-Cov-2 zu einem schwierigen Impfstoffkandidaten machen: Coronaviren haben kaum Kreuzimmunität, sonst würden Corona-Impfstoffe, die bei Nutztieren gegen andere Coronaviren im Einsatz sind, längst geprüft. Bei vielen Genesenen schwinden die Antikörper schon nach kürzester Zeit und SARS-Cov-2 mutiert mit einer Geschwindigkeit, von der Gentechniker nur träumen.
Angesichts dieser Schwierigkeiten darf man dem russischen "Sputnik V"-Impfstoff fast dankbar dafür sein, nun endlich eine ernsthafte Diskussion darüber in Gang gebracht zu haben, welche Gefahren Impfstoffe und Turbozulassungen bergen.

Forschungen frei von Druck

Sicher ist, dass Russland über eine fast Jahrhunderte alte Expertise in der Impfforschung verfügt. Diese Forschung wurde auch nicht dem kapitalistischen Pharmawettlauf unterworfen, sondern ist dort in staatlicher Hand - Kontrolle inklusive. Wobei Transparenz anders aussieht, als es die Russen nun praktizieren.
Dennoch könnte sich bei einem Erfolg von "Sputnik V" zeigen, dass Forschungen frei von wirtschaftlichem Druck einer rein kommerziell ausgerichteten Impfstoffforschung überlegen sind.

Das Imperium der Viren schlägt zurück

Die Covidkrise ist eine von Menschen gemachte Pandemie. Das Virus ist auf Menschen übergesprungen, die nicht mehr wussten, wo ihre Grenzen liegen und immer tiefer in die Natur vorgedrungen sind. Kein Wunder, dass das Imperium der Viren und Bakterien zurückschlägt, wenn ihr Lebensraum bedroht ist.
Es scheint, als würde die Natur wie ein Immunsystem auf das menschliche Eindringen reagieren: Naturzerstörung, Klimaerwärmung, Umweltgifte, intensive Landwirtschaft, Globalisierung und Überbevölkerung.
"Sputnik V" hat eine längst überfällige Debatte angestoßen und es wird Zeit, dass über das Zeitalter der Pandemien im Kontext mit den Ursachen diskutiert wird. Ein Blick in die Geschichte genügt, um festzustellen, dass rücksichtslose Eingriffe des Menschen häufig zu einer Kaskade pandemischer Seuchen geführt haben.

Was die Natur zu bieten hat

Wir dürfen den Natur- und Klimaschutz nicht aus dem Auge verlieren und müssen uns besser auf Seuchen im Allgemeinen vorbereiten, etwa, indem wir unser Arsenal an Heilmitteln dagegen aufstocken. Wie wäre es mit einfachen, antiviralen Heilmitteln? Dafür stehen bislang kaum Forschungsgelder für klinische Studien zur Verfügung, obwohl es zahlreiche patentfreie Mittel gibt, die auch andere Viren abwehren.
Auch das hat die Natur zu bieten.

Dr. Ina Knobloch ist Journalistin, Autorin und Filmproduzentin. Sie promovierte in Mikrobiologie und forschte unter anderem mit Viren. Sie ist Trägerin des Hessischen Filmpreises. Mit Hannes Jaenicke verfasste sie den Spiegel-Bestseller "Aufschrei der Meere". Jüngst erschien ihr Buch "Shutdown: Von der Corona-Krise zur Jahrhundert-Pandemie". Sie lebt in Frankfurt am Main und Costa Rica.

Ina Knobloch blickt vor neutralem Hintergrund mit ernstem Gesichtsausdruck in die Kamera.
© Foto: Hans Scherhaufer
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