Debatte um Corona-Impfpflicht

Übergriffige Symbolpolitik oder Ausweg aus der Pandemie?

53:39 Minuten
Mehrere Spritzen mit einem Corona-Impfstoff liegen in einer Schale.
Langfristige Schäden durch eine Corona-Impfung sind selten, aber es gibt sie. © picture alliance/dpa
Moderation: Annette Riedel · 21.01.2022
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Nicht nur Bundesgesundheitsminister Lauterbach will sie: die allgemeine Impfpflicht gegen Covid-19. Aber auch Widerstand formiert sich. Was spricht dagegen - aus juristischer, epidemiologischer, gesellschaftlicher und praktischer Sicht?
Der Infektiologe und Internist Andrew Ullmann, der Obmann des Gesundheitsausschusses im Bundestag und Mitglied der FDP-Bundestagsfraktion ist, verspricht sich von der Einführung einer abgestuften und risikobezogenen Impfpflicht eine bessere Vorbereitung auf kommende Corona-Infektionswellen im kommenden Winter.
„Es wird auch Zeit, dass wir aus der Politik vor die Welle kommen, handeln und auch entsprechende Vorgaben geben. Und hier wäre unter Umständen eine Impfnachweispflicht etwas Sinnvolles. Ich sehe eine Schutzpflicht seitens des Staates, das Gesundheitssystem aufrecht zu erhalten. Das ist das Ziel. Nicht irgendeine Impfquote. In dieser Situation, wo man nicht nur sich selbst gefährdet, wenn man nicht geimpft ist, muss auch der Staat eingreifen, um die gesamte Gesellschaft zu schützen. Und ich denke, das ist durchaus legitim.“

Impfung schützt vor schwerer Krankheit und Tod

Die Virologin und Chemikerin Helga Rübsamen-Schaeff weist darauf hin, dass eine Impfung zwar nicht vor Infektion, wohl aber vor schwerer Krankheit und Tod schütze. „Wenn es richtig ist, dass die meisten schweren Corona-Fälle Ungeimpfte betreffen, dann ist, glaube ich, sehr klar, dass wir hier eine Korrelation haben. Wenn mehr geimpft wären, hätte ich weniger schwere Krankheitsfälle.
Das sieht man beispielsweise auch an einem Land wie Israel. Die haben jetzt ja die vierte Impfung schon begonnen für alle vulnerablen Personen und die haben ganz, ganz geringe Todesfälle. Sie haben zwar auch eine richtige Welle von der Omikron-Variante an Infektionen, aber eben wenig Todesfälle.“

Vulnerable Gruppen mehr in den Blick nehmen

Der Staatsrechtler Steffen Augsberg, der auch dem Ethikrat angehört, sieht die derzeitige Diskussion um die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht kritisch. Anstatt die Aufmerksamkeit auf die besonders verletzlichen Menschen zu richten, werde seit Wochen über eine "hochproblematische, ohnehin erst in relativ weiter Zukunft wirkende Impfpflicht" diskutiert. Ihn störe die Frage der Aufmerksamkeitsökonomie, betont Augsberg: „Dass wir nicht die unmittelbaren Probleme stärker in den Blick nehmen, sondern stattdessen den Blick richten auf Dinge, die erst in mehreren Monaten wirken würden.“

Impfpflicht hätte „schwere Nebenwirkungen“

Der Historiker Malte Thießen sieht die kurzfristigen Vorteile einer Impfpflicht, warnt jedoch vor „schweren Nebenwirkungen in der langen Sicht“. Freiwilligkeit und niedrigschwellige Impfangebote brächten bessere Impfquoten zustande als eine Impfpflicht, die bei Menschen, die vor einer Impfung zögern „neue Ängste vor einem starken Staat“ schüren könnten.
„Impfprogramme sind immer ein Testfall für die Krisenlösungskompetenz des Staates und deshalb ist natürlich jetzt die Herausforderung groß, dass man in der Politik das Gefühl hat, wir müssen jetzt reagieren, wir müssen zeigen, dass wir etwas tun. Und das scheint mir der Hintergrund für die Sehnsucht nach der Impfpflicht zu sein.“
(ruk)

Es diskutieren:
- Prof. Helga Rübsamen-Schaeff, Virologin und Chemikerin
- Prof. Andrew Ullmann (FDP), Obmann des Gesundheitsausschusses im
Bundestag, Facharzt für Innere Medizin und Infektiologie
- Prof. Steffen Augsberg, lehrt Öffentliches Recht an der Universität
Gießen, Mitglied im Ethikrat
- Prof. Malte Thießen, Historiker an der Universität Münster

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