Corona-Demos in Berlin

"Unglaubliches Unbehagen gegen unsere Regierungsform"

10:47 Minuten
Protestdemo der Corona Gegner auf der Friedrichstraße in Berlin. Bildnis von Gandhi.
Der Weltfrieden, Gandhi, "Impfzwang", 5G-Netz - die Motive der Teilnehmer der Demonstrationen am Samstag in Berlin waren sehr unterschiedlich. © imago images / Stefan Zeitz
Mely Kiyak im Gespräch mit Vladimir Balzer · 29.08.2020
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40.000 Menschen haben in Berlin gegen Corona-Maßnahmen demonstriert. Dabei richtete sich der Protest auch gegen den Ausbau des 5G-Netzes und die "Merkel-Diktatur". Was das eine mit dem anderen zu tun hat, ist Schriftstellerin Mely Kiyak ein Rätsel.
Regenbogenfahne neben Reichsflaggen, Gandhi-Transparent neben "Stoppt die Merkel-Diktatur": Wie anderen Beobachtern fällt es auch der Schriftstellerin Mely Kiyak schwer, sich einen Reim darauf zu machen, wer da am Samstag in Berlin wofür und wogegen demonstriert hat und wie das alles zusammenpasst.
"Ein bisschen habe ich den Eindruck, dass verschiedene Gruppen sich hier zusammenfinden und gar nicht das Bedürfnis haben, eine Stimme zu sein", sagt Kiyak. Man dürfe auch nicht vergessen, dass es zwei Protestgruppen gegeben habe: "Die am Brandenburger Tor, die [Querdenken]711-Demo von Ballweg, die war irgendwie eine sanftere Bewegung, die aber irgendwie ein tiefes Misstrauen gegen die Demokratie hat", berichtete die Autorin.
Die andere Gruppe, die vor der russischen Botschaft demonstriert habe, sei dagegen "wirklich gewaltbereit" gewesen, habe 'Putin, Putin' gebrüllt und 'Widerstand, Widerstand'.
"Und ich sah zum Teil Reichskriegsflaggen mit einem Trump-Konterfei darin", so Kiyak. "Das scheint mir doch noch mal etwas ganz anderes zu sein, das ist, glaube ich, auch rechts mobilisiert und so eine Art Propagandabewegung, die da auf die Straße geht, um eine Bewegung abzupflücken."

"Glauben die, sie sind so mutig wie Stauffenberg?"

Bemerkenswert findet Kiyak das "unglaubliche Unbehagen gegen unsere Regierungsform", das bei der Demonstration zum Ausdruck kam: Die Regierungsform, "die irgendwie 'Merkel-Politik'‘ heißt, die ja in unseren Augen eigentlich eine Demokratie ist, aber die hingestellt wird wie Faschismus eigentlich", sagt die Schriftstellerin und verweist darauf, dass Demonstranten auch sogenannte Wirmer-Fahnen trugen.
"Das war das Symbol der Leute um Stauffenberg, die mit Gewalt gegen einen Diktator und Faschismus vorgegangen sind. Und dann frage ich mich, um in diesem Bild zu bleiben: Sehen die in der Bundesregierung einen Faschismus und eine Diktatur? Und glauben sie, wenn sie dagegen protestieren, sind sie so mutig wie Stauffenberg?"
Wenn hier Menschen das Gefühl hätten, in einer Diktatur zu leben, frage sie sich, ob wir eigentlich wirklich alle auf dem gleichen politischen Bildungsstand seien und ob eigentlich alle Bürger in diesem Land auch unser System verstanden hätten:
"Dass wir eine parlamentarische Demokratie haben, dass es Möglichkeiten gibt, Anliegen auch politisch umzusetzen, dass es keinen Sinn hat, immer wieder zu schreien, das sei hier eine Merkel-Diktatur und dass wir uns vielleicht noch mal einigen müssen, was wir eigentlich unter den Begriffen Demokratie und Diktatur verstehen."
(ckr / uko)
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