Conchita Wurst und ihre Vorgängerinnen

Von Diven und Märtyrerinnen mit Bart

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Conchita Wurst - Siegerin des Eurovision Song Contests 2014. © dpa/Vladimir Astapkovich
Von Adolf Stock · 17.07.2016
Conchita Wurst auf der Bühne des European Song Contests in Kopenhagen – das Bild hat sich vielen Zuschauern eingebrannt: eine Erscheinung mit Bart, langen Haaren und Glitzerkleid. Aber was so ungewöhnlich scheint, hat historische, christliche Vorbilder.
Lebensgroß steht die Frau mit Bart auf einer goldenen Mondsichel im Foyer des Berliner Museums für Europäische Kulturen. Eine moderne Mondsichel-Madonna, wie sie im 16. Jahrhunderts an vielen Orten üblich war. Sie trägt die Züge von Conchita Wurst, die 2014 in Kopenhagen den Eurovision Song Contest gewonnen hat.
Die Drag-Queen-Madonna stammt von dem österreichischen Künstler Gerhard Goder. Sie ist ganz traditionell aus Zirbelkiefer geschnitzt. Museumsdirektorin Elisabeth Tietmeyer hat das Stück in einer Berliner Galerie gesehen und gekauft.
"Sie steht auf einer Mondsichel, auf einer silbernen, breiten Mondsichel, und diese Mondsichel ist wiederum auf einem Podest. Die Conchita selbst hat einen schwarzen Bart, lange schwarze wallendende Haare, mit einem wallenden Gewand, ein weißes Gewand. Dann steht sie vor einem Mikrofon, das sie in der Hand hält, ein Standmikrofon und deutet an, dass sie singt."
Gerhard Goder wollte als bodenständiger Herrgottsschnitzer seiner schrillen Landsmännin aus der Steiermark ein bisschen Ewigkeit verleihen.
"Man sieht sofort Conchita natürlich, man sieht auch die Jesusfigur sofort und man sieht die Marienfigur auf der Mondsichel, und darum passt sie so wunderbar in unsere Sammlung der Alltagskultur."

Conchita-Wurst-Statue im Museum

Allerdings finden nicht alle Museumsbesucher die Neuerwerbung gut.
"Die einen empfanden das als Blasphemie. Die wirklich religiösen Katholiken fanden das überhaupt nicht gut, fanden natürlich auch Conchita Wurst nicht gut. Andere fanden das total spannend, was wir da machen. Aber das ist doch gut, also dann ist man doch wirklich im Gespräch - und dazu soll es doch auch im Museum sein."
Hier geht es um das Verhältnis zwischen Religion und Alltagskultur, ergänzt Léontine Meijer-van Mensch, stellvertretende Direktorin des Museums für Europäische Kulturen.
"Da gibt es natürlich Verbindungen: wie Conchita Wurst und die heilige Wurst-Skulptur, die wir jetzt in der Sammlung haben, Gender-Rollen und das Verhältnis Mann und Frau neu zu gucken. Und dann ist natürlich mit meiner ethnologischen Brille: So eine Frau, die zwangsverheiratet werden sollte, der dann in einer Nacht ein Bart wächst, ist natürlich schon eine interessante Geschichte, die man auch anders deuten kann, und in Museen, da erzählt man Geschichten."
Die Heilige Kümmernis, so geht die Legende, war eine schöne portugiesische Königstochter, die zum Christentum konvertierte. Ihr Vater wollte sie mit einem heidnischen Prinzen verheiraten. Deshalb bat sie Gott, er möge sie verunstalten, um diese Ehe zu verhindern. Der Königstochter wuchs ein Bart, woraufhin der erboste König seine unfolgsame Tochter ans Kreuz schlagen ließ, damit sie ihrem "himmlischen Bräutigam" gleiche. Die Sterbende predigte drei Tage lang vom Kreuz und bekehrte viele Menschen, darunter auch ihren Vater.

Christus wurde mit einer Frau verwechselt

Die Volksheilige aus dem Spätmittelalter ist pure Erfindung. Sie hat kein historisches Vorbild, woher aber viele der verbreiteten Darstellungen stammen, ist nachvollziehbar: Auf einem Gemälde im Dom zu Lucca triumphiert Jesus schon am Kreuz. Er wird als König gezeigt, mit goldener Krone und einem langen Kleid mit prunkvollem Gürtel. Diese Darstellung verbreitete sich schnell in ganz Europa. Zunächst im Rheinland kam es zu einem Missverständnis: Man sah in dem langhaarigen gekreuzigten Christus irrtümlich eine Frau.
Elisabeth Tietmeyer: "Man muss erst einmal darauf gestoßen werden. Ich habe mir nie diese Jesusfiguren angesehen. Als wir dann Conchita Wurst von Gerhard Goder gekauft haben, habe ich einen ganz anderen Blick entwickelt. Und ich sehe in Kirchen nur noch so etwas. Ich war jetzt auf Lanzarote und habe Christusfiguren gesehen mit sehr, sehr langen echten Haaren. Ich habe noch nie im Leben so eine Christusfigur gesehen. Und da habe ich mir auch gedacht, das passt doch wunderbar. Aber ich habe erst diesen Blick, seitdem wir unsere Conchita haben."

Was verbindet Heilige und Popstar?

Die Karriere der "Heiligen Kümmernis" begann in den Niederlanden. 1476 wurde sie erstmals in einer holländischen Märtyrer-Chronik erwähnt, erzählt Léontine Meijer-van Mensch.
"Bei uns heißt sie 'Wilgefortis Ontkommer', was so viel bedeutet wie 'Entkümmern'. Die 'Wilgefortis Ontkommer', diese Gebeine lagen tatsächlich in der Kirche von Steenbergen in Nordbrabant. Und sie war auch im Süden des Landes bis ins 19. Jahrhundert eine wichtige Heilige."
Was verbindet diese Heilige mit einem Popstar? Der Pfarrer aus Bad Mitterndorf, dem Geburtsort von Conchita Wurst, hält den Sieg der Sängerin für eine "frohe Botschaft". Und der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner nennt den Auftritt von Conchita Wurst eine "religiös anmutende Inszenierung". Ihr Outfit erinnere ihn an die romantisierenden Jesus-Darstellungen der Nazarener-Künstler im 19. Jahrhundert. Natürlich hat das Museum auch Conchita Wurst angeschrieben und ihr ein paar Fotos geschickt.
Elisabeth Tietmeyer: "Das Management hat mir dann zurückgeschrieben, wie schön, wie spannend das ist, und das war es."

Hymne von Selbstbestimmung und Freiheit

Der Musikkritiker Elmar Kraushaar staunt noch immer, wie vielen Fans nach dem Sieg von Conchita Wurst beim European Song Contest in Kopenhagen 2014 die Tränen kamen. Er spricht von einer "Befreiung für diese Gemeinde".
"Da kam alles zusammen, was sich in den ganzen Jahren aufgestaut hatte, in dieser jährlich stattfindenden Veranstaltung, die man als so eine gemeinsame Messe beschreiben könnte. Das kann man tatsächlich machen, immer die gleichen Rituale, wie die Fans mit den Interpreten umgehen, wie sie mit denen reden, und das explodierte nun an diesem Abend in dieser Figur, die sich auch wunderbar dafür angeboten hat. Sie war ganz alleine auf der Bühne, was auch sehr außergewöhnlich ist. Sie hat wirklich nur sich und ihrer Erscheinung vertraut. Da wird quasi noch einmal eine Absolution erteilt, bis hin zum Schluss, als dann Conchita Wurst auch noch ihre Faust nach oben reckt und dann noch mal Verständnis für alle fordert, die nicht so sind wie sie."
Conchita Wurst will alles andere als eine Märtyrerin sein. Und doch hat ihr Auftritt mehr mit der Heiligen Kümmernis zu tun, als man zunächst meinen könnte. Die Heilige Kümmernis kämpfte der Legende nach für sich und ihren Glauben. Das tut Conchita auch, wenn sie ihre Hymne von Selbstbestimmung und Freiheit singt.
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