Computervirus Parzival

Von Stefan Keim |
Der Berliner Autor Tim Staffel ("Terrordrom") hat für die Ruhrtriennale ein Science-Fiction-Drama über Jugendliche im Cyberspace geschrieben. "Next level Parzival" erzählt, wie eine Fantasy-Ritterwelt zerstört wird, wie die Spieler in ihr Spiel gesogen werden, wie Kampf und Liebe, Turnier und Minne plötzlich ernst werden. Sebastian Nübling inszenierte mit einem gemischten Ensemble aus Jugendlichen und Profischauspielern.
"Turnier, Turnier" ruft Artus, und die Helden schlagen aufeinander ein. Die Finger von sieben Jugendlichen wirbeln über Computertastaturen. Denn die Ritter sind ihre Spielfiguren, Avatare, Stellvertreter in der virtuellen Welt. Doch plötzlich taucht einer auf, den keiner programmiert hat, nackt, wild, gegen alle Regeln verstoßend. Parzival heißt dieser Störfall im System, der Computervirus, der bald das ganze Spiel verseucht.

Der Berliner Autor Tim Staffel ("Terrordrom") hat für die Ruhrtriennale ein Science-Fiction-Drama über Jugendliche im Cyberspace geschrieben. "Next level Parzival" erzählt, wie eine Fantasy-Ritterwelt zerstört wird, wie die Spieler in ihr Spiel gesogen werden, wie Kampf und Liebe, Turnier und Minne plötzlich ernst werden.

Am Schluss überschreitet Parzival, der emotionslose Fremde, die Grenze zwischen den Realitäten. Er hat Gefühle entwickelt, ein Bewusstsein, ist - da nicht von Menschen programmiert - eine aus dem Computer entstandene künstliche Intelligenz. Seine Existenz ist die nächste Ebene, auf die der Titel anspielt.

Ins Salzlager der Kokerei Zollverein in Essen hat Muriel Gerstner eine einfache Bühne gebaut. Sie besteht aus schwarzen Ledersesseln und riesigen Lautsprechertürmen, aus denen unablässig Effektgeräusche dröhnen. Sebastian Nübling inszeniert mit dem jungen theater basel, einem gemischten Ensemble aus Jugendlichen und Profischauspielern.

Hier wird kein Schauspielschulabsolvent auf jung getrimmt, die Computerclique wird von echten Kids verkörpert, die schweizerdeutsch sprechen. Die Übertitel bieten Gelegenheit, nicht nur den Dialekt, sondern auch manche Fachausdrücke der Computersprache zu übersetzen. Die Avatare, die Ritter, Magierinnen und Amazonen, spielen Profis mit überragender, fast artistischer Körperbeherrschung. Klaus Figge, der Kampfchoreograph Nummer eins des deutschsprachigen Theaters, hat mit ihnen fetzige Stunts einstudiert.

Sebastian Nübling trennt die Ebenen der Spieler und der Computerfiguren nicht. Die Jugendlichen laufen mit ihren Avataren durch die Kämpfe, unterstützen sie, zerren sie manchmal beiseite. Die aktionsreichen Bilder spiegeln die Faszination dieser Spiele, die einen hinein ziehen in ihre Welt, den Puls zum Rasen bringen und den Blutdruck steigen lasen. Das authentische, kraftvolle Spiel der Kids wie der Profis gibt der Uraufführung im ersten Teil eine gewaltige Kraft.

Doch dann lässt sich trotz mutiger Striche das Problem von Tim Staffels Text nicht mehr überspielen. Anstatt die komplexe Geschichte geradlinig zu Ende zu erzählen, macht Staffel selbstverliebte Umwege, baut überfrachtete Monologe ein. Und auch der durch die Lektüre des Cyberhtrillerklassikers "Otherland" vorgebildete Zuschauer verliert etwas die Orientierung. Am Ende gewinnt die Inszenierung wieder Konzentration, wenn Parzival (Sandro Tajouri) das Mitgefühl kennen lernt. Doch bis dahin braucht es Durchhaltungsvermögen.