Computer testen Lärmschutzwände

Von Frank Grotelüschen · 09.02.2011
Die Straße ist laut, Anwohner beschweren sich. Die entscheidende Frage in Zeiten leerer Stadtkassen: Würde sich eine Lärmschutzwand lohnen? Das Computerverfahren "Aurilisation" simuliert die Wand und zeigt, wie viel leiser es werden würde.
Ein Saxofon in einem schalltoten Raum. Klingt irgendwie komisch – trocken und leblos. Wie würde dasselbe Saxofon in einem Klassenzimmer klingen? Deutlich besser, weil viel natürlicher und lebendiger. Und noch voluminöser würde es sich in einem großen Konzertsaal anhören.

Das Saxofon ist zwar echt, gespielt von einem Musiker, aufgenommen mit einem Mikrofon. Doch die Akustik von Klassenzimmer und Konzertsaal ist digital, sie kommt aus dem Computer. Es ist wohlgemerkt kein digitales Hallgerät, das einfach nur ein wenig künstliches Echo zum Saxofonklang dazumischt. Sondern es handelt sich um eine Software, die detailliert die Akustik von realen Klassenzimmern simulieren kann – zum Beispiel in einem Altbau von 1905, 15 Meter lang und 7,50 Meter breit, mit 15 Sitzbänken, 29 Stühlen und einem Schrank. Das Verfahren, das hinter dieser Software steckt, heißt Auralisation. Einer der Fachleute, die daran arbeiten, ist Prof. Michael Vorländer vom Institut für Technische Akustik in Aachen:

"Auralisation ist das Pendant der Visualisierung. Man kann Dinge, die man im Computer generiert, in einer graphischen Darstellung zu Gesicht bringen. Also man kann's sich anschauen, das wäre Visualisierung. Das Ganze für das Ohr würde eine Auralisation bedeuten, sodass man eine Sache, die im Computer modelliert wird, zum Anhören präsentiert. Über Kopfhörer oder über Lautsprecher."

Manche Architekten nutzen dieses Verfahren bereits, etwa wenn sie im Computer einen neuen Hörsaal für eine Universität entwerfen. Hier macht die Auralisation direkt hörbar, wie es sich auf die Akustik auswirkt, wenn der Architekt im Rechner Gestalt oder Einrichtung des Hörsaals verändert.

"Zunächst einmal die Raumform selbst, die Platzierung der Sitze. Dann auch die Gestaltung der Deckenelemente. All dies würde man in Vergleichen anhören können und nicht nur an einfachen Zahlen diskutieren. Sondern für die Zuhörer viel erlebbarer machen, sodass er sofort versteht, wo der Vorteil liegt."

Ein anderes Beispiel: Ein Architekt wird gefragt, wie sich am wirkungsvollsten die Akustik in einem Klassenzimmer verbessern ließe. Im Moment nämlich ist der Lärmpegel oft unerträglich, denn Wände und Decke reflektieren den Schall ungefiltert. Was würde es bringen, wenn man die Decke mit Dämmplatten der neusten Generation bekleben würde? Und würde es helfen, wenn man zusätzlich die Wände mit schallschluckenden Materialien ausstattet? Dank der Computersimulationen kann man mit eigenen Ohren hören, ob eine Dämmung der Decke ausreichen würde oder ob man lieber noch die Wände dazunehmen sollte.

Doch nicht nur für Architekten ist die Auralisation ein willkommenes Werkzeug. Auch Stadtplanern und Behörden könnte sie bald nützlich sein – insbesondere, wenn es um den Kampf gegen den Verkehrslärm geht. Was es heute schon gibt, sind sogenannte Lärmkarten. Das sind digitale Stadtpläne, die mit einer Farbcodierung zeigen, welche Straßen in einer Stadt laut sind und welche leise. Rot steht für eine hohe Lärmbelästigung, grün für eine geringe, sagt Erwin Hartog van Banda vom niederländischen Ingenieurbüro DGMR:

"Anhand der Lärmkarten können die Behörden sehen, wo genau in ihrer Stadt es zu laut ist, wo die Grenzwerte überschritten werden. Auf dieser Basis können sie dann entscheiden, an welchen Stellen sie aktiv werden und zum Beispiel Lärmschutzwände an einer Straße aufstellen müssen."

Erwin Banda entwickelt Computerprogramme, mit denen sich Lärmkarten erstellen lassen. Außerdem erlaubt die Software auch Vorhersagen darüber, wie sich zusätzliche Schallquellen auf den Lärmpegel auswirken. Beispiel: Ein Konzern will eine neue Fabrik bauen. Wie viel Lärm wird sie machen, und was kommt in der Nachbarschaft davon an? Erwin Banda tippt ein paar Befehle in die Tastatur, auf dem Bildschirm erscheint ein digitaler Stadtplan.

"Es ist ein Hafengebiet. Hier wollen wir ein neues Fabrikgebäude hinsetzen. Zuerst gebe ich ein, welche Geräusche von der Fabrik ausgehen werden: Auf dem Dach brummt eine Kühlanlage, außerdem wird die Fabrik von Lastwagen angefahren. Jetzt starte ich die Simulation, und ein wenig später erscheint das Ergebnis auf dem Schirm: Hier vorn ist es rot, da ist der Lärmpegel gestiegen. Doch hinter der Fabrik ist leiser als vorher. Da schirmt die Fabrik den Verkehrslärm von der Straße ab."

Solche digitalen Lärmkarten sind auch nützlich, um abschätzen zu können, wie sich Lärm mindernde Maßnahmen auswirken würden – etwa der Bau einer Schallschutzwand. Aber: Mit bunten Karten allein ist es nicht getan, meint Auralisations-Experte Michael Vorländer.

"Die Lärmkarten der Zukunft werden anhörbar sein. Es ist für die Stadtplaner viel einfacher zu verstehen, wie Lärmschutzwände wirken, wenn man sich das anhören kann und wenn man nicht nur einfach farbige Karten anschaut."

Ein Beispiel: der Verkehr an einer lauten Straße. Die Planer erwägen, eine Schallschutzwand zu bauen.

"Dann würde man ein Computermodell der Stadt mit den akustischen Daten generieren. Man würde die Schallausbreitung berechnen. Man würde danach eine Schallschutzwand einfügen, wiederum diese Berechnung machen, und hätte unmittelbar einen Vergleich zwischen dem Zustand vorher und nachher."

Und so wird aus der lauten Straße per Mausklick eine erträgliche Wohngegend.

"Am Ende muss man sie ja bezahlen. Und die Motivation, Geld für Lärmschutzmaßnahmen zu investieren, steigt dann, wenn man eine Akzeptanz schafft und dies über eine Auralisation vermittelt."

Nur: Bislang ist das Verfahren der Auralisation für die meisten Stadtplaner, Architekten und Ingenieurbüros noch viel zu aufwendig.

"Das wird gemacht in Einzelfällen. Da ist ein sehr großer Aufwand damit verbunden. Es ist nicht so, dass ein Ingenieurbüro einfach ein Programm kauft, und kann das dann so benutzen. Davon sind wir noch einen Schritt entfernt."

Denn bislang sind die Kosten noch recht hoch und auch die Rechenzeiten noch relativ lang. Und so wird es wohl noch ein paar Jahre dauern, bis Architekten und Stadtplaner routinemäßig hörbar machen können, ob eine Schallschutzwand den gewünschten Effekt bringt oder nicht.