Computer im Knopf

Von Michael Engel |
Das Milliardstel (Nano) ist ein Begriff, der unsere Vorstellungskraft sprengt und doch oft in unserem Alltag auftaucht. Sonnenmilch oder Klarlacke zum Beispiel enthalten "Nanopartikel". Auch in der Elektronik ist Nano auf dem Vormarsch.
Wenn Jens Baringhaus einen Joystick in die Hand nimmt, steuert er winzige Nadeln unter einem Elektronenmikroskop. Bis auf vier Nanometer genau können die metallischen Spitzen bewegt werden. Zum Vergleich: Ein menschliches Haar hat einen Durchmesser von 50.000 Nanometern:

"Man muss schon sehr konzentriert sein. Gerade wenn man die Spitzen nahe beieinander hat. Also in Abständen um die 100 Nanometern oder so. Da muss man sich schon sehr konzentrieren. Da kann natürlich jeder kleinste Navigationsfehler dazu führen, dass man sich die Spitzen kaputt macht. Und wenn man die einmal kollidieren lässt mit einer anderen Spitze oder Probe, dann ist die natürlich verbogen oder verbreitert und kann nicht mehr für die Kontaktierung verwendet werden."

In seiner Doktorarbeit beschäftigt sich der Physiker mit der elektrischen Leitfähigkeit von Graphen. Graphen besteht aus Kohlenstoff, wabenartig miteinander verbunden, und nur eine einzige Atomlage dick – 0,2 Nanometer. Solche einlagige Strukturen haben völlig verblüffende Eigenschaften. Der Kohlenstoff ist so hart wie ein Diamant, aber auch extrem steif, das Material leitet den elektrischen Strom besser als jedes Metall, ist lichtdurchlässig, und allein mit diesen Eigenschaften ließe sich schon eine Menge machen, sagt der junge Wissenschaftler:

"Nun, man kann damit einen transparenten Bildschirm herstellen. Also Graphen selber, eine einzelne Schicht Graphen absorbiert nur zwei Prozent des Lichtes. Das heißt, es wäre denkbar, es in eine Folie einzuschweißen, die komplett durchsichtig ist, die aber trotzdem berührungsempfindlich ist und entsprechende Sachen darstellen kann. Zum Beispiel auf Autoscheiben, ein Display direkt auf der Autoscheibe, die trotzdem transparent bleibt."

Anwendungen wie diese firmieren unter der Bezeichnung "Nanoelektronik". Auf der Basis von Graphen sind Transistoren und sogar schon Mikrochips in der Erprobung. Die atomaren Schaltungen sind deutlich schneller und leistungsfähiger als ihre geradezu gigantisch wirkenden Vorbilder aus der mikroelektronischen Siliziumwelt. Schon geistert das Wort vom "Nanocomputer" durch den Raum, mit Großrechenanlagen in der Dimension eines Daumennagels.

Herbert Pfnür vom Institut für Festkörperphysik der Uni Hannover beschäftigt sich mit Nanodrähten:

"Der Begriff Nano ist an der Stelle sehr unscharf. Alles, was kleiner als 100 Nanometer ist, wird schon als Nano in irgendeiner Form definiert. Aber wir sind da durchaus in der Lage, auch Drähte herzustellen, die nur einen Atomdurchmesser hoch sind, eventuell mehrere Atome breit und im Extremfall kann es auch dahin gehen, dass es eine atomare Kette bildet. Also aus einzelnen Atomen."

Wie eine Perlenkette, bestehend aus einzelnen Atomen in Reihe und Glied, so sehen die Nanodrähte unter dem Elektronenmikroskop aus. Die Atome stammen von Gold, Silber oder Platin, die unter Aufsicht der Forscher zusammenwachsen. Nanodrähte bilden sich nur in einer Hochvakuumkammer durch Aufdampfen auf Trägermaterialien wie zum Beispiel Silizium. Eines Tages, so die Hoffnung, könnten sie nanoelektronische Schaltkreise – zum Beispiel aus Graphen – mit Strom versorgen. Noch aber ist das alles Zukunftsmusik.

Herbert Pfnür: "Das Problem ist nämlich, wenn Sie versuchen, was für ganz kurze Ketten geht, solche metallischen Ketten frei im Raum aufzuspannen, dann sind die einfach nicht stabil. Die thermische Bewegung zerstört diese Drähte sehr leicht, und theoretisch müssten Sie an den absoluten Nullpunkt gehen, damit das überhaupt funktioniert.""

Nach acht Atomen ist heute Schluss. Dann reißen die Nanodrähte. Keine guten Voraussetzungen für den Bau winziger Computer. In der Fantasie läuft dagegen schon alles bestens.

1966 schon stieß ein miniaturisiertes U-Boot in die Tiefen eines menschlichen Körpers vor. Es wurde im Film "Die phantastische Reise" mit einer Spritze direkt in eine Blutbahn injiziert. Heute träumen Militärs von winzigen Spionagedrohnen, die durch ein Schlüsselloch fliegen.

Nach Ansicht von Wolfgang Heckl, Direktor im Deutschen Museum in München, könnte die "Nano-Elektronik" aber auch so völlig neue Dimensionen eröffnen:

"Die Hoffnung ist natürlich, dass die Nanoelektronik dazu beitragen wird, die Computerwelten so zu verändern, dass wir wahrhaft intelligente Computer bekommen werden. Mit Gefühl, mit Empathie. Das wäre, glaube ich, eher ein Horrorszenario, aber man weiß nie, was die Zukunft bringt. Man kann nur daran arbeiten, das Gute zu versuchen und das Böse zu vermeiden."

"Nano" in der Elektronik wird die Computer und damit auch unsere Lebenswelt geradezu revolutionieren, prophezeien viele Wissenschaftler. Das Weltwissen gespeichert in den Dimensionen einer Erbse, denkende Roboter, fühlende Maschinen vielleicht nur im Format einer künstlichen Fliege. Horror und Faszinationen liegen hier in der Tat dicht beieinander.
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