Computer auf der Überholspur

Rezensiert von Gerrit Stratmann |
Unser heutiges Leben ist ohne Computer kaum noch denkbar. Immer leistungsfähigere Rechner bestimmen Arbeitsprozesse und übernehmen wichtige Kontrollfunktionen wie im Flug- oder Bahnverkehr. Doch auch Computer sind keineswegs störungsfrei. Der Kybernetiker Norbert Hering warnt daher in seinem Buch "Vom Denken und von Denkmaschinen" davor, wichtige Entscheidungen den Computern zu überlassen.
Computer werden immer schneller, immer allgegenwärtiger und ihre Funktionen immer komplexer. Kommt der Mensch da überhaupt noch mit? Der Kybernetiker Norbert Hering beleuchtet die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine und entdeckt in Beunruhigendes. Wir sind dabei, das Heft aus der Hand zu geben, weil die Technik immer mehr unseren Alltag bestimmt, wir sie aber immer weniger verstehen und beherrschen.

Verglichen mit der stetig wachsenden Arbeitsgeschwindigkeit aktueller Prozessoren, ist das menschliche Gehirn seit Jahrtausenden auf dem gleichen, wenn auch beeindruckenden Level stehen geblieben. Aber die Computer sind seit langem auf der Überholspur. Was die Schnelligkeit ihrer Datenverarbeitung angeht und die Speicherkapazität, hat der Mensch schon lange nichts mehr zu melden.

Norbert Hering betrachtet im Detail die unterschiedliche Verarbeitung von Sinnesreizen beispielsweise Input bei Mensch und Maschine. Er zeigt, wie Bewusstsein, gefilterte Wahrnehmung, parallele Verarbeitung von Reizen und die Kreativität des Gehirns uns unterscheiden von der zwar schnellen aber streng logischen und überwiegend seriellen Datenverarbeitung von Computern. Er zeigt aber auch die Fehleranfälligkeit beider Systeme und streut mögliche Konsequenzen der weiteren technischen Entwicklung ein. Manches davon klingt heute noch nach Science Fiction, anderes ist schon Realität. Von einer Überforderung des Menschen durch zu viele Daten ist da die Rede, aber auch von der drohenden Dominanz autarker, intelligenter Maschinen, von sich selbst entwickelnden und selbstwartenden Nanobots und Softwareprogrammen.

Aber auch ohne weit in die Zukunft zu blicken, sieht Norbert Hering eine heute schon anzutreffende Tendenz, die der Autor warnt, kritiklos hinzunehmen. Computersysteme übernehmen immer mehr Kontrollfunktionen. Der dichte Flug- oder Bahnverkehr, Kommunikationsverbindungen wie Internet und Telefon, die Steuerung des Stromnetzes ebenso wie automatische Produktionsanlagen und immer mehr Sicherheitssysteme im Auto, all das wäre ohne die moderne Technik nicht denkbar. Aber weder der Mensch noch seine Maschinen sind unfehlbar.

Programme enthalten Fehler, Sensoren können ausfallen. Stromausfälle, Reaktorunglücke, Flugzeugabstürze – Norbert Hering zählt eine Reihe von Katastrophen und Beinahekatastrophen auf, die durch fehlerhafte Systeme verursacht wurden. Wer sich zu sehr auf die Technik verlässt, ist verlassen?

Die Entwicklung hin zu immer mehr Automation und Elektronik scheint unaufhaltsam, sei es in Alltag, Industrie oder Kriegsführung (dem Cyberwarfare widmet er ein eigenes Kapitel). Bei aller Fehleranfälligkeit, der auch das eigene beschränkte Denken unterliegt, kommt das menschliche Gehirn dennoch sehr gut weg. Es verfügt nämlich über eine Qualität, die Computern vielleicht nie zu eigen sein wird. Es denkt assoziativ und kreativ, und ist damit in der Lage, Lösungen für Probleme zu finden, die nicht vorherzusehen waren. Norbert Herings Appell lautet deshalb: Wir müssen verhindern, "dass der Mensch zu viel seiner Führungseigenschaften, seiner Entscheidungsfähigkeit und insbesondere seiner Verantwortung an die Elektronik überträgt." Sonst droht die Fremdbestimmung durch eine Technik, die niemand mehr versteht.

"Vom Denken und von Denkmaschinen" ist ein vielschichtiges Buch zu einem wenig beachteten Thema, das mit vielen Beispielen und Anekdoten glänzt. Schade, dass es in der Summe wie ein reich bebildertes Thesenpapier zu einer noch ausstehenden Diskussion wirkt. Norbert Hering hat eine intelligente Materialsammlung zu den heute existierenden kognitiven Grenzen von und zwischen Mensch und Maschine zusammengestellt. Er selbst betrachtet sein Buch als ein "Kaleidoskop unserer Erkenntnisse". Es bietet viele Befunde und Diagnosen, aber nur einen sehr allgemeinen Therapieplan. Dadurch bewegt es sich leider kaum über den Status einer Bestandsaufnahme hinaus. Die aber liefert es gründlich.

Norbert Hering: Vom Denken und von Denkmaschinen. Über die Grenzen des Verstehens zwischen Gehirn und Prozessor.
Hippocampus Verlag, Bad Honnef 2005
306 Seiten, 29,00 Euro