Community Management

Wenn Hasskommentare die Psyche belasten

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Die Illustration zeigt eine schlafende Frau, auf einem Tisch liegend. Neben ihr steht ein Computer. Im Vordergrund sind fünf Personen zu sehen, die sie beobachten.
Wer beruflich mit Hasskommentaren konfrontiert wird, steht unter besonderem psychischen Druck. © imago images / Ikon Images/ Paul Reid
Von Caren Miesenberger · 19.08.2019
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Sie posten Beiträge in sozialen Netzwerken und moderieren Kommentare: Dabei schlägt Social-Media-Redakteuren viel Hass entgegen. Der raue Umgang in den Kommentarspalten kann der Seele schaden.
"Der 'Spiegel' weiß immer so gut Bescheid. Dieser Bericht ist an widerlicher Hetze nicht mehr zu überbieten. Meinetwegen, alles, was ihr mit eurem Pauschalisieren erreicht, ist Hass zu schüren. Aber das ist man ja mittlerweile vom 'Spiegel' gewohnt."
Diesen vergleichsweise harmlosen Kommentar postete ein Facebook-User unter einen Artikel des "Spiegels" über ein Fußballspiel in Chemnitz. Bis zu 10.000 Kommentare erreichen "Spiegel Online" pro Tag, darunter auch explizitere Hasskommentare. Sie zu lesen, einzuordnen und zu beantworten – Community Management – ist Teil der Arbeit von Social Media-Redakteurin Eva Horn. Vor allem dann, wenn sich Vorfälle ereignen, die von rechts instrumentalisiert werden, hat sie viel zu tun.

Es wird um die Deutungshoheit gerungen

So auch im Fall des Mannes, der ein Kind und seine Mutter Ende Juni auf dem Frankfurter Bahnhof ins Gleisbett gestoßen hatte. Das Kind wurde von einem einfahrenden Zug überrollt und starb. Zur Berichterstattung über die Tat hat "Spiegel Online" besonders viele Kommentare erhalten.
"Wir gehen davon aus, dass es natürlich ein legitimes Bedürfnis der Menschen gibt, ihren Abscheu und ihren Schmerz auszudrücken. Dieser Teil ist okay, das verstehen wir auch", erzählt Eva Horn. "Aber da gibt es dann auch wirklich, wirklich viele Accounts, die so eine Tat instrumentalisieren und es nutzen, um ihre Agenda voranzutreiben."

Der Ton wird vor allem auf Facebook immer rauer

Ähnliche Erfahrungen hat Christian Urban, Redakteur bei nordbayern.de, dem Onlineportal der "Nürnberger Nachrichten" und "Nürnberger Zeitung", gemacht. Auch wenn nordbayern.de im Gegensatz zu "Spiegel Online" kein bundesweit berichtendes Medium ist, muss er viele Kommentare moderieren – und sich genau so wie Eva Horn mit viel Hass auseinandersetzen.
Wer die bösen Botschaften versendet? "Ganz normale Leute, die haben einen Klarnamen, ein Profil, ihr Arbeitgeber steht dort, die schreiben Sachen, die justiziabel sind, wofür man sie anklagen könnte", hat Christian Urban beobachtet. Vor allem Gewalt durch Flüchtlinge oder Menschen mit Migrationshintergrund und die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg seien "Worst Case-Themen" für Social-Media-Manager.
Auch Christian Urban erinnert sich an die besonders gewaltverherrlichenden Kommentare zu dem Fall vom Frankfurter Bahnhof: "Bei dem getöteten Achtjährigen war sehr viel krasses Selbstjustizzeug dabei: Hängt ihn auf, schlitzt ihn auf, werft ihn über seinem Land ab ohne Fallschirm. Solche Geschichten, die unterste Schublade."
Die Kommentarmoderation hat ihn an dem Tattag stark belastet. Seit 2011 ist er Redakteur bei nordbayern.de und hat von Anfang an auch die sozialen Netzwerke mit aufgebaut. Mittlerweile hat er das Gefühl, dass vor allem auf Facebook die Diskussionskultur immer schlimmer wird, was er auch in seiner Arbeit spürt.
"Ich fühle mich leer nach so einem Tag. Das ist wahnsinnig anstrengend und man verliert ein bisschen den moralischen Kompass, wenn man sich den ganzen Tag nur durch diesen Hass quält. Wenn ich dann da rauskomme, dann brauche ich so ein bis zwei Stunden, um wieder in der Realität anzukommen und mich zu finden."

Jeder hat seine eigene Belastungsgrenze

Emotionale und physische Distanz seien wichtig für einen guten Umgang mit Hasskommentaren, meint Christina Jochim vom Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum. Sie ist psychologische Psychotherapeutin und Mitglied im Vorstand der Landesgruppe Berlin der deutschen Psychotherapeutenvereinigung. Zu Christina Jochim kommen unter anderem Social-Media-Redakteurinnen und -Redakteure.
"Den Betroffenen, sie sind ja auch Profis, ist klar: Das ist nicht gegen die eigene Person gerichtet. Und nichtsdestotrotz, wenn es ein bestimmtes Ausmaß überschreitet, wenn es eine bestimmte Kontinuität überschreitet, beginnt es, etwas mit einem zu machen. Deshalb gibt es nicht die klar definierte Grenze, sondern es ist etwas Individuelles, weil: Jede Betroffenheit hat auch eine eigene Geschichte."

Betroffene gehen unterschiedlich mit dem Druck um

Außer in absoluten Notfällen guckt Christian Urban nach Feierabend nicht mehr in seine Arbeitskanäle rein. Die Distanz hilft ihm abzuschalten. Ob psychologische Unterstützung helfen würde, weiß er nicht: "Was ich nach so einem Tag brauche, ist das Gefühl, dass die Menschheit nicht, um es salopp auszudrücken, völlig am Arsch ist. Das kann mir ein Psychologe nicht geben. Ich versuche, mir einen Ausgleich zu schaffen durch schöne Dinge, am nächsten Tag oder direkt danach."
Eva Horn von "Spiegel Online" nimmt die Hasskommentare sportlich. Für ihre Kolleginnen und Kollegen hat sie einen Rat: "Es gibt keinen Königsweg, dass muss jeder und jede selbst wissen, wie er sie damit umgeht. Zum anderen ist es so, dass man sich sagen muss, dass das nicht die Mehrheit der Leute ist." Sie selbst habe ein relativ dickes Fell und sieht es als ihre Aufgabe, Leserinnen und Leser vor Hasskommentaren zu bewahren. So würden gerade sexistische Kommentare von weniger Menschen gelesen werden.

Medienhäuser sollten ihre Mitarbeitenden aktiver schützen

Gibt es genug Angebote für psychologische Unterstützung seitens der Verlage? Christian Urbans Arbeitgeber, der Verlag Nürnberger Presse, bietet ihm zufolge keine Supervision an. Supervision heißt, dass die Mitarbeitenden eines Unternehmens psychotherapeutisch beraten werden. Solch ein Angebot kann bei Konflikten oder starker Arbeitsbelastung helfen.
Psychologin Christina Jochim meint, dass Medienhäuser aktiver werden müssten, um ihre Mitarbeitenden zu unterstützen: "Was da teilweise passiert, was mir da berichtet wird, schätze ich definitiv als psychosozialer Notfall ein und dem muss ich dann auch begegnen. Und da hat man aus meiner Sicht als Medien, als Arbeitgeber, als dort selbst tätiger auch die Verantwortung, darauf zu reagieren. In dem Job sollte Selbstfürsorge kein Luxus sein, sondern eine absolute Notwendigkeit und Selbstverständlichkeit."
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