'Common sense' in der neuen Regierung

Von Jochen Thies |
In die deutsche Politik ist wieder 'common sense' eingezogen. Jede Reise, die die Kanzlerin und der neue Außenminister Frank-Walter Steinmeier unternahmen, ist nachvollziehbar, jeder Akzent, der hier gesetzt wurde zwischen Paris, London, Warschau und Washington, saß. Symbole und Inhalte gingen nahtlos ineinander über, alles wirkte professionell. Und dazu passen auch die Regierungserklärung, die Aussprache, die neuesten Zahlen vom Arbeitsmarkt und die Umfragewerte.
Die Regierungserklärung und die Art und Weise, wie sie aufgenommen wurde, ist typisch für die Lage. Wie fast alle ihrer Vorgängerinnen war sie keine Rede, die in Erinnerung bleiben wird. Dazu eignen sich Regierungserklärungen nicht. Denn sie ähneln einem Weinberg, wo Helfer Korb um Korb in einen großen Behälter leeren, der dann zu Tale gebracht wird. Sprachliche Glanzleistungen sind unter solchen Umständen selten, denn an einer Regierungserklärung schreiben alle Ministerien mit. Kein Fachreferat will bei der Aufzählung zu kurz kommen. Es ist die Stunde der Bedenkenträger, der Einerseits-Andererseits-Formulierer. Und wie zu hören war, hat Frau Merkel noch keinen Chefredenschreiber berufen.

Unter solchen Umständen war sie gut beraten, mit ihrer Rede nicht wochenlang zu warten, was die Erwartungen auf die Spitze getrieben hätte, sondern mit einer "Arbeitsrede" an Parlament und Öffentlichkeit zu treten. Das Unternehmen gelang. Und mit der Fortune, mit der die 51-Jährige nach bleiernen politischen Wochen mit der Kanzlerwahl gestartet war, marschiert sie nun weiter. Die Öffentlichkeit wird im Ohr behalten, was sie den Deutschen bei ihrer gut einstündigen Rede im Parlament eingehämmert hat: den Gedanken der Freiheit, dass es das Land schaffen kann und dass nun eine Politik kleinerer Schritte einsetzen wird. Das Ganze erinnert an einen Zug im Zeitalter der Dampflokomotive, der in Fahrt gekommen ist und der seine Geschwindigkeit fortlaufend steigern wird, bis der Takt der Maschine zu einem imposanten Dauerton gerät.

Und noch etwas ist binnen weniger Tage passiert. Der politische Betrieb ist in das Parlament zurückgekehrt, sein neuer Präsident, der Rheinländer Norbert Lammert ebenso ein Glücksfall wie der neue SPD-Parteivorsitzende Mathias Platzeck, der mit gut platzierten Reden und Statements eine Vorfeldsicherung für diese Koalition betreibt, die sich binnen weniger Tage nach den Schlachten der zurückliegenden Jahre auf eine bemerkenswerte Weise gefunden hat. Und dies ist sicherlich auch Franz Müntefering, Peter Struck und Frank-Walter Steinmeier zu verdanken, ein Mann mit common sense, ein Glücksfall für die deutsche Außenpolitik in diesen schwierigen, von gefährlichen Untiefen bedrohten Zeiten.

Jeder Versuch, Steinmeier in den vermeintlich vorprogrammierten Konflikt mit der Kanzlerin hineinzuschreiben, wird scheitern. Die Außenpolitiker in der deutschen Hauptstadt hatten in den letzten Jahren einige Gelegenheiten, den aus Lippe stammenden Politiker, damals noch Kanzleramtschef, als humorvollen Mann mit profunden Einsichten über die internationale Politik kennen zu lernen. Seine Berufung war eine der besten Nachrichten, die es aus dem Regierungsviertel in den letzten Monaten gegeben hat.

Der nüchterne Stil von Merkel wird nicht ohne Auswirkungen auf die deutsche Fernsehdemokratie bleiben. Im günstigsten Fall ist die Zeit der ermüdenden Talkshows, der Omnipräsenz des Regierungschefs auf allen Kanälen vorbei. Und das wird den Inhalten und dem politischen Stil im Lande gut tun. Es kann sein, dass Angela Merkel die gefährlichsten Klippen bereits passiert hat.

Regierungserklärungen können Stimmungen einleiten. Man spürt im Lande eine leichte Bewegung hin zu mehr Optimismus, auch in den Reaktionen auf die Regierungserklärung. Ein gutes Abschneiden bei der Fußballweltmeisterschaft allein, das wissen die Menschen, kann die Sache nicht reißen.