Comic über die Sex Pistols

Fiktionaler Blick zurück im Zorn

08:04 Minuten
Auf der Zeichnung, einem Ausschnitt aus einer Seite des Buches, wird ein Konzert der Band "Sex Pistols" zeichnerisch dargstellt. Im Hintergrund steht "Dangerously close to art" - "Gefährlich nah an Kunst"
Ausschnitt aus der Graphic Novel "Sex Pistols": John Lydon und Sid Vicious sehen mitunter zu alt aus. © Jim McCarty / Steve Parkhouse./ erscheint bei Panini
Martin Böttcher im Gespräch mit Andreas Müller · 23.03.2021
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Die Graphic Novel "Sex Pistols" erzählt die Geschichte der gleichnamigen, legendären Punkband. Unser Comic-Experte Martin Böttcher kann insgesamt keinen großen Mehrwert erkennen, lobt aber das ausgedachte Ende.
Die Sex Pistols haben den Punk nicht erfunden, aber ihn bekannt gemacht. Zweieinhalb Jahre nur rockte die Band zwischen 1975 und 1978 erst Großbritannien und dann die ganze Welt.

Riesiger Einfluss auf die Popkultur

Der Einfluss auf die Musik und die Popkultur insgesamt ist riesig, obwohl die Band nur ein richtiges Album gemacht hat. Nun gibt es eine Graphic Novel auf Deutsch über die legendäre Gruppe um Sänger John "Johnny Rotten" Lydon, Steve Jones, Paul Cook und Glen Matlock, den später Sid Vicious ersetzte. "Sex Pistols - die Graphic Novel" erzählt die Geschichte der Band und von Manager Malcolm McLaren.
"Die besten Bilder in dieser Graphic Novel sind diejenigen, in denen die starke Bildsprache der Sex Pistols aufgenommen wird", findet unser Kritiker Martin Böttcher –zum Beispiel das ikonische Plattencover von "Never Mind The Bollocks", in knalligem Rosa und Gelb, mit Buchstaben, die aussehen, als wären sie aus einer Zeitschrift ausgeschnitten, wie in einem Erpresserbrief.
Jim McCarthy, der die Graphic Novel geschrieben hat, sagt: "Dass Punk auch eine starke visuelle Komponente hat, hat meiner Geschichte wirklich gut getan. Wie sie die britische Flagge, den Union Jack, auf sehr subversive Weise benutzt haben, dann die Bilder von der Queen mit Sicherheitsnadel durch die Lippen, das waren fantastische Plattencover. Auf dem Cover meines Buches finden sich deshalb auch der Union Jack und die Farben von 'Never Mind The Bollocks' wieder."

Eine Erzählung ohne großen Mehrwert

Die Graphic Novel fängt damit an, wie John Lydon, später bekannt als Johnny Rotten, vorsingen soll, und gleich seine späteren Bandkollegen nervt. Dann werden die prägnantesten Stationen der aufregenden zweieinhalb Jahre zwischen Gründung und Auseinanderfallen der Band erzählt, inklusive der Fahrt auf der Themse kurz vor dem 25. Throjubiläum der Queen, bei der die Sex Pistols "God Save The Queen" sangen, also den Song, den kein Radiosender in Großbritannien spielen wollte und für den sie von ihrer Plattenfirma gefeuert wurden.
Auf dem Cover der Graphic Novel ist eine Zeichnung der Band Sex Pistols zu sehen, rechts daneben ein Bild aus dem Buch, das Sänger Johnny Rotten zeigt, der in eine Mikrofon schreit.
Die Zeichnungen in der Graphic Novel stammen von Steve Parkhouse. Das Cover nimmt die Farbgebung des legendären Albums "Never Mind the Bollocks" auf.© Montage: Jim McCarty / Steve Parkhouse./ erscheint bei Panini
Auch die Geschichte, die die Sex Pistols bekannt gemacht hat - ein Interview im Fernsehstudio, bei dem sie Moderator Bill Grundy beschimpften, nachdem der sie dazu aufgefordert hatte - findet sich im Buch.
Martin Böttcher vermisst dennoch einen Mehrwert. Das Kapitel, das sich mit Sid Vicious beschäftigt, sei noch am ehesten geeignet, um Neues beizubringen, meint er. "Sid Vicious war ja heroinabhängig, hat wahrscheinlich seine Freundin Nancy getötet. Diese Bilder und auch die von seinem danach erzwungenen Entzug im Gefängnis und sein eigener Tod, nachdem er auf Kaution entlassen wurde, das ist schon gut umgesetzt", sagt Böttcher. Dann werde es allerdings auch kitschig, wenn Jesus Sid Vicious praktisch abhole und von seinem Leiden erlöse.

Starkes fiktionales Ende

Steve Parkhouse, ein gestandener Zeichner, seit den 1960er-Jahren aktiv und damit auch Zeitzeuge, war für das Visuelle zuständig. "Ich finde, er trifft manche der Gestalten, vor allem Johnny Rotten und Sid Vicious, nicht besonders gut. Die waren damals ja gerade erst so um die zwanzig, er zeichnet sie hier aber viel zu alt und manchmal auch zu dick. Das passt nicht so gut", sagt Böttcher. Zudem gehe auch in der deutschen Übersetzung viel verloren.
Auf dem Hauptbild ist ein Motorradfahrer mit schwarzer Jacke und Sonnenbrille zu sehen, der auf den Betrachter zuzufahren scheint.
Sid Vicious auf einem Motorrad: Später holt ihn Jesus ab.© Jim McCarty / Steve Parkhouse./ erscheint bei Panini
Das Ende findet Böttcher allerdings gut: McCarthy lässt in einer erfundenen Szene Johnny Rotten aus heutiger Sicht über die Sex Pistols von damals sinnieren. Er lässt ihn erklären, warum die Sex Pistols doch mehr waren als Marketing-Gag, mehr als nur schneller Rock'n'Roll, mehr als Sicherheitsnadeln, Springerstiefel und Stachelfrisur.
McCarthy selbst sagt zu dieser Idee: "Auf den letzten Seiten lässt er alles raus. Dass es keine Zukunft für den englischen Traum gibt und wie die Sex Pistols irgendwie vorausgesagt haben, wie sich die Gesellschaft entwickeln würde; wie die Ungleichheit zunehmen würde; dass sich alles nur noch um Geld und Macht drehen, alles den großen Firmen gehören wird. Ich wollte das Buch damit abschließen, wie der Lydon, wie wir ihn heute kennen, seine Gedanken von damals abfeuert."
(mfu)

Jim McCarthy/Steve Parkhouse: "Sex Pistols"
Aus dem Englischen von Stefan Dinter
Panini, Stuttgart 2021
100 Seiten, 19 Euro

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