Club der grünen Dichter

Von Maicke Mackerodt |
Der Tod von Kindern oder Kollegen, der Anblick verstümmelter Leichen und die Bedrohung des eigenen Lebens gehen an Polizisten nicht spurlos vorüber. Auf der Suche nach Normalität in einem Beruf, der viele abstumpfen lässt, hat Kriminalhauptkommissar Volker Uhl aus Ludwigsburg vor drei Jahren den Club der grünen Dichter gegründet. Die offizielle Bezeichnung im Internet: polizeipoeten de.
Volker Uhl: "Meine erste Leiche im Polizeidienst war mein Kaufmann vom kleinen Ort, wo ich aufgewachsen bin, der sich in seiner Garage umgebracht hat. Und ich kannte ihn natürlich von Kindesbeinen an, weil sein Laden war der Ort, wo wir uns getroffen haben und auf der Gaffel gesessen haben. Ich war 18, vielleicht 19, mit dem ersten Teil der Grundausbildung fertig und im Streifendienst, als wir dort hin gerufen wurden..."

Nun stand ich vor Pauls Leichnam. Er trug sein braunes Wollsakko, das ihm immer den Hauch an Eleganz und Würde hinter der Kasse gegeben hatte. Ich befragte seine Verkäuferinnen und seine Ehefrau. Dachte nicht darüber nach, was es bedeutet, einen geliebten Menschen zu verlieren, sondern machte einfach meine Arbeit. "Die erste Leiche vergisst man nicht!" Ja, das stimmt. Besonders wenn es ein Mensch ist, den du kennst.

Volker Uhl: "Ich glaube, wir Polizisten merken oftmals gar nicht, was wir für eine Arbeit machen, was wir Schreckliches erleben. Wir schreiben die Fakten für die Akten und können oftmals nicht mit unserem Partner in Kommunikation drüber treten, weil das Dienstgeheimnis ja oft entgegensteht. Und von daher war für mich - oder ist für mich - schreiben auch so eine Art innerer Dialog. "

Kriminalhauptkommissar Volker Uhl aus Ludwigsburg: Legere Kleidung, offener Hemdkragen, randlose Brille. Für gewöhnlich ermittelt der 45-Jährige gegen Autoschieber und Bankbetrüger. In seinen 25 Berufsjahren hat Uhl viel erlebt – und die Liste der ersten Male ist länger und länger geworden: der erste Raubüberfall, der erste Mord, der erste tote Kollege. Viele Jahre hat Uhl seine Fakten für die Akten aufgeschrieben - und die eigenen Gefühle ignoriert. Einfach weggedrückt. Bis eines Sonntags ein Mann aufs Revier kam und meldete, dass er seine Frau erstochen hat. Uhl vernahm ihn drei Stunden und schrieb sich anschließend zum ersten Mal sein Gefühlschaos von der Seele.

Volker Uhl: "Und dort habe ich dann auch die Passage geschrieben: Er musste erst ein Mörder werden, um jemand zu finden, der ihm zehn Minuten lang zuhört. Das war so für mich die Empfindung von diesem Text. So eine große Frage, die sich durch mein Berufsleben zieht, ist: Wieso machen Menschen das, oftmals findet man keine Antwort und bleibt mit seinen Fragen alleine zurück."

Stephanie von Guaita: "Mein erster Erhängter, der ging mir besonders nah, nicht weil er sich erhängt hatte, sondern wegen seines Abschiedsbriefes. Ganz unten an der Schweizer Grenze bei uns an einem stillgelegten alten Bahnhof, da hat er sich den Strick genommen und aufgehängt, mutterseelenallein. Das war einer von den vielen Fällen, die ganz still und leise ablaufen, wie es jeden Tag viele gibt. Ich glaub nicht, dass dazu irgendetwas in der Zeitung stand."

Wann hört man auf, Mensch zu sein?
Wenn man stirbt?
Sobald der Körper zerfällt?
Schon vorher? Die Arbeit am Tatort lässt keine Zeit für Gedankenspiele.


Als Stephanie von Guaita vor 17 Jahren ihren Dienst begann, schrieb die "Bild"-Zeitung: "Blond - schön - Polizistin". Die Kommissarin ist eine der wenigen Frauen, die Volker Uhls Aufruf vor drei Jahren gefolgt sind. Außer ihr schreiben inzwischen 60 Beamte verschiedenen Dienstgrades und unterschiedlichen Alters, von der Polizeischülerin bis zum über 80jährigen Inspekteur - und sogar ein singender Polizist ist dabei.

Jens Mayer: "Der Polizist im Großen und Ganzen ist eher der harte Typ, wo sich ungern von der schwachen Seite präsentiert. Wenn man dann natürlich schreibt, dann ist dann schon gleich eine Offenbarung, man öffnet sich, man zeigt vielleicht mal verletzliche Seite, dass man gewisse Situationen nicht einfach wegsteckt, ja, und dann kommt auch mal eine Bemerkung von anderen Kollegen, wie Weichei, aber gut."

Jens Mayer ist Streifenbeamter vom Polizeirevier Ulm-Mitte und hat längst den Spitznamen weg "Mayerle, der Poet". Um Ärger mit Kollegen zu vermeiden, schreibt er fiktive Erzählungen ohne dienstlichen Bezug. Mittlerweile kann man die Gedichte und Geschichten der Polizei-Poeten nicht nur im Internet lesen, sondern auch in dem Buch: "Die erste Leiche vergisst man nicht."

Volker Uhl: "Im Prinzip fasst es das Buch ein bisschen zusammen, was wir als Polizisten erleben, wie es uns selbst dabei geht und ein Stück weit die Wut, die wir selber haben, wenn wir einfach Dinge mitbekommen, gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, menschliche Ungerechtigkeiten, die wir nicht ändern können, die wir einfach so hinnehmen müssen."